Denkmaldatenbank

Mietshaus Stresemannstraße 105, 107, 109

Obj.-Dok.-Nr. 09097803
Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg
Ortsteil Kreuzberg
Adressen Stresemannstraße 105, 107, 109
Denkmalart Baudenkmal
Sachbegriff Mietshaus
Datierung 1982-1994
Entwurf Hadid, Zaha
Entwurf Wolfson, Michael & Gomersall, David & Smerin, Piers & Winslow, David & Jaaskelainen, Paivi
Kontaktarchitekt Schroth, Stefan
Bauherr DEGEWO im Erbbaurecht des Landes Berlin

Das Wohn- und Geschäftshaus an der Stresemannstraße 105-109 entstand in einem Entwurfsseminar der Internationalen Bauausstellung (IBA 1987), in dem nach neuen, auf "emanzipatorische Wohnformen" und "frauenspezifische Belange" zielenden Konzepten gesucht wurde. Eingeladen für die Mitarbeit am sogenannten "Frauenblock" wurden mit Christine Jachmann, Myra Warhaftig und Zaha Hadid drei Planerinnen für den nördlichen Teil des Blocks; mit den Bauten im Süden wurden zwei Architektenteams aus Polen - Romuald Loegler mit Michael Szymanowski und Wojciech Dobrzanski sowie Wojciech Obtulowicz und Daniel Karpinski - beauftragt. Für einen Neubau neben der Lukas-Kirche lieferte Peter Blake die Entwürfe.

Die Einbeziehung von Planerinnen in die Blockentwicklung war für die Feministische Organisation von Planerinnen und Architektinnen (FOPA) und die Union Internationale des Femmes Architectes (UIFA) eine Grundbedingung für die Glaubwürdigkeit und den Erfolg des Projekts; eine Forderung, der die IBA mit der Einladung von Zaha Hadid aus London entsprach. Während ihre Kolleginnen und Kollegen, allen voran Myra Warhaftig, den Schwerpunkt auf die Grundrissarbeit legten, arbeitete Zaha Hadid an einer städtebaulichen Landmarke gegenüber dem Martin-Gropius-Bau und im Anschluss an das Hotel-Hochhaus in der Stresemannstraße 95-97. (1)

Ausgehend vom 1981 von Oswald Mathias Ungers und Bernd Faskel vorgelegten Gutachten für die Friedrichvorstadt verfolgte IBA-Direktor Josef Paul Kleihues das Ziel, den dreieckigen Baublock an den Rändern zu schließen und für die Neubauten die Traufhöhe der Lukas-Kirche zu übernehmen. Schließlich einigten sich die Planerinnen und Planer auf eine viergeschossige Blockrandbebauung, in der entlang der Bernburger Straße die Traufhöhe der Kirche in den Fassaden der Neubauten eingezeichnet wurde.

Hadid erhielt die Möglichkeit, ihr Gebäude in zwei Abschnitte zu unterteilen, an die Kreuzung ein Hochhaus mit acht Geschossen zu setzen und den Baukörper an der Stresemannstraße entsprechend niedriger auszuführen. Die dreigeschossige Zeile an der Stresemannstraße korrespondierte auf diese Weise mit dem Sockelbau, den Sobotka & Müller vor ihr Hotelhochhaus gesetzt hatten.

Im verglasten Erdgeschoss der Zeile wurden Läden eingerichtet, die darübergelegenen Wohnungen orientierten sich mit den Haupträumen und den die Fassade bestimmenden Balkonen zum Hof. Das Flachdach war begehbar ausgeführt und sollte als Spielplatz für Kinder genutzt werden können. Die Grundrisse im skulptural geformten Hochhaus sind durch den mehrfach gefalteten Baukörper bestimmt. Wintergärten liegen zur Dessauer Straße, Balkone zum Hof und zur Südseite.

Als Vertreterin einer noch jungen Entwurfsauffassung war Zaha Hadid für die IBA von großem Interesse. Die Architektin hatte 1972-77 an der Architectural Association (AA) in London studiert und erste Berufserfahrungen im Office for Metropolitan Architecture (OMA) bei Elia Zenghelis und Rem Koolhaas gesammelt. 1979 hatte sie in London ein eigenes Büro gegründet und war seitdem durch ihre künstlerisch ausgeführten Wettbewerbsbeiträge aufgefallen, ohne jedoch einen größeren Bauauftrag erhalten zu haben.

Spätestens mit ihrem siegreichen Entwurf für den Club The Peak in Hongkong erregten ihre vom russischen Suprematismus inspirierten Entwürfe internationale Aufmerksamkeit und wurden in die Gruppe dekonstruktivistischer Entwürfe eingeordnet. Zeitgleich mit dem IBA-Entwurfsseminar erhielt Hadid 1986 den ersten Preis für ihren Entwurf eines Bürohauses am Kurfürstendamm, dessen dynamisch geformter Baukörper eine Verwandtschaft zum Hochhaus an der Stresemannstraße zeigte. Während die Entwürfe für The Peak in Hongkong, das Bürohaus am Kurfürstendamm und ihr 1988 vorgelegter Plan für das Victoria-Areal an der Joachimsthaler Straße in Charlottenburg nicht realisiert wurden, konnte das Wohn- und Geschäftshaus nach mehreren Überarbeitungen ab 1990 ausgeführt werden.

Die Architektin verstand die Abstimmungen in den gemeinsamen Entwurfsseminaren, die Regularien der IBA und die Vorgaben des Sozialen Wohnungsbaus als Eingriff in ihr Konzept und die künstlerische Autonomie. (2) Anders als die mit großen Freiheiten zeitgleich ausgeführte Feuerwache auf dem Vitra-Betriebsgelände in Weil am Rhein spiegelt das Wohn- und Geschäftshaus an der Stresemannstraße auch die städtebaulichen, wirtschaftlichen und sozialen Ansprüche, die aus dem Umfeld auf das Projekt einwirkten und von der Architektin eine Anpassung ihres Entwurfs verlangten. An Stelle von Lofts entstanden nach den geltenden Richtlinien förderfähige Wohnungen, die Betonbauteile erhielten eine Plattenverkleidung.

Das Wohn- und Geschäftshaus von Zaha Hadid ist zusammen mit der ebenfalls 1993 fertig gestellten Feuerwache auf dem Vitra-Werksgelände in Weil am Rhein das erste größere Bauprojekt der bis dahin vornehmlich durch ihre Entwürfe bekannten Architektin. Der aus einer Zeile an der Stresemannstraße und einem Hochhaus an der Kreuzung bestehende Bau ist ein frühes und bedeutendes Beispiel für die Übersetzung der utopisch wirkenden dynamischen Entwürfe in ein bewohnbares Gebäude. 2004 erhielt Zaha Hadid den renommierten Pritzker Architecture Prize.


(1) IBA Projektübersicht 1991, S. 106-107; Hadid, Zaha: Wohnhaus in Berlin. In: Bauwelt (1987) 40, S. 1505; Hadid, Zaha: Wohnhaus - Block 2 - Stresemannstraße, Dessauer Straße. In: IBA Neubaugebiete 1987, S. 47; Hadid, Zaha: Das Gesamtwerk, Stuttgart 1998; Hadid, Zaha: Zaha Hadid. Bauten, Projekte, Design, München 2009.

(2) Zaha M. Hadid, GA Document Extra, 3, hrsg. v. Takashi Yanai, Tokyo 1995, S. 24-30.

Literatur:

  • Bauausstellung Berlin GmbH (Hg.): Internationale Bauausstellung Berlin 1987, Projektübersicht, Berlin 1987 / Seite 104-105
  • Bauwelt, 40, 1987 / Seite 1505-1507
  • Baumeister, 10, 1993 / Seite 5
  • Hadid, Zaha: Das Gesamtwerk, Stuttgart 1998 / Seite 38-41
  • Kleihues, Josef Paul (Hg.): Internationale Bauausstellung Berlin 1984/87. Die Neubaugebiete. Dokumente, Projekte. Südliche Friedrichstadt, Band 3, Stuttgart 1987 / Seite 88-89
  • Kleihues, Josef Paul (Hg.): Internationale Bauausstellung Berlin 1984/87. Die Neubaugebiete. Dokumente, Projekte, Band 7, Stuttgart 1993 / Seite 47
  • Noever, Peter: Zaha Hadid. Architektur, Wien, Ostfildern 2003 / Seite 158
  • Yanai, Takashi: Zaha M. Hadid, GA Document Extra, 03, Tokyo 1995 / Seite 24-37
  • Topographie Friedrichshain-Kreuzberg/Kreuzberg, 2016 / Seite 167 f.

Kontakt

Juliane Stamm
Landesdenkmalamt Berlin
Redaktion Denkmalinformationssystem

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