Denkmaldatenbank

Wohnanlage "Konzepta"

Obj.-Dok.-Nr. 09097790
Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg
Ortsteil Kreuzberg
Adressen Ritterstraße 61, 62, 63, 64, 65, 66

Alte Jakobstraße 122-123

Lindenstraße 26, 27, 28, 28A, 29
Denkmalart Gesamtanlage
Sachbegriff Wohnanlage
Datierung 1977-1980
Entwurf Rob Krier & Böhm, Stephan & Stelzhammer, Walter (Architekt)
Entwurf Geist, Johann Friedrich & Maier, Helmut & Moldenschardt, Hans Heinrich & Voigt, Peter & Wehrhahn, Hans (Architekt)
Entwurf Eichenlaub, Alexander & Jockeit, Werner & Möhle, Peter & Petersen, Dieter & Schöning, Harald
Entwurf Hielscher, Horst & Mügge, Georg-Peter & Meerstein, Herbert & Schöning, Klaus-Pascal (Architekt)

Die Wohnanlage Ritterstraße-Süd, Ritterstraße 61-66, Alte Jakobstraße 122-123, Lindenstraße 28-29, nach ihrem Bauträger auch als Konzepta-Ritterstraße bekannt, war ein Pilotprojekt für die Internationale Bauausstellung (IBA 1987). Die Initiative ging von Senatsbaudirektor Hans Christian Müller aus. Erstmals nach dem Krieg entstand hier zwischen 1977 und 1980 eine Blockrandbebauung aus Einzelhäusern, deren Ausführung an unterschiedliche Architektengruppen vergeben wurde. Durch eine für diesen Zweck konzipierte Planungsmethodik sollte eine "Einheit in Vielfalt" hergestellt werden. Die durchgängig jungen Architekten stimmten ihre Arbeit in Seminaren und Workshops ab und entwickelten zusammen mit dem Bauherrn, Behörden und Koordinatoren die Anlage vom Städtebau bis in die Grundrisse.

Als gemeinsame Entwurfsgrundlage diente ein städtebaulicher Entwurf von Rob Krier, der das Konzept kleiner Blöcke mit einer zusätzlichen Durchwegung des Quartiers in den Prozess eingebracht hatte. Mit seinem Torhaus über einer verbindenden Nord-Süd-Passage errichtete Krier das prominenteste Gebäude der Anlage. Erstmals hatte der Architekt in Berlin die Gelegenheit bekommen, seine 1975 unter dem Titel "Stadtraum in Theorie und Praxis" in Stuttgart publizierten Thesen und Modelle umzusetzen und seine ungewöhnlichen Zentralraum-Grundrisse im Wohnungsbau zu erproben.

Um eine der neuen Bauaufgabe und den sich wandelnden Wohnvorstellungen adäquate Grundrissgestaltung zu ermöglichen, wurde die Ritterstraße-Süd vom Bundesbauministerium in das Förderprogramm für "Versuchs- und Vergleichsbauvorhaben" aufgenommen. Der Schwerpunkt sollte auf Großwohnungen liegen, die unterschiedlichen Wohnformen und Lebensformen gerecht wurden. Als gemeinsame Prinzipien wurden in den 13 Häusern das "Durchwohnen" zwischen Straße und Hof, kommunikative Verbindungen zwischen den Zimmern und "Rundwege" durch die Wohnungen entwickelt. Zum Hof orientierten sich Gemeinschaftsräume, über die alle Bewohner der Häuser verfügen konnten.

In keinem der folgenden Neubauprojekte in Berlin kam der - auch politisch mitgetragene - Paradigmenwechsel in der Planungskultur so deutlich zum Ausdruck wie in der Ritterstraße-Süd. Die Anlage changierte zwischen den Prinzipien und Gestaltungsvorstellungen aus dem 1974 aufgelegten Zweiten Stadterneuerungsprogramm und einer Neuausrichtung und Internationalisierung, wie sie sich in den Folgeprojekten der IBA noch weiter zeigen sollte. Als Pilotprojekt der IBA war die Ritterstraße-Süd als "Pilgerort für alle Berlin-bereisenden Architekten" (1) Objekt kontroverser Debatten in der Fachöffentlichkeit bis zum Ausstellungsjahr 1987.

Der Schwerpunkt des Projekts lag auf den Bauten entlang der Ritterstraße. Im Zentrum steht, als primus inter pares, das Torhaus von Rob Krier auf dem Doppelgrundstück Ritterstraße 63-64. Von den Abstimmungen der Architekten zur Baukörper- und Fassadengestaltung war Krier freigestellt worden. Das Haus auf H-förmigem Grundriss öffnet sich mit einem großen Hof und einer für Berlin relativ bewegten Geländemodulation zur Ritterstraße und einem schmalen Hof zum Blockinnenbereich. Seitlich des Hauptgebäudes bilden schmalere Bauten die Übergänge zu den Nachbarhäusern von Hielscher und Mügge. Während sich Krier für den Mittelteil mit dem prägnanten Durchgang für die Nord- Süd-Passage, im Blockinnenbereich und bei den Anschlussbauten im Osten und Westen für einen symmetrischen Aufbau entschied, variierte er die Fassaden der Flügel zur Ritterstraße und gab dem Hof eine lebendig wirkende Einfassung. Rob Krier hat die Wandöffnungen zu Großformen zusammengefasst und durch unterschiedliche Rücksprungstiefen und Einbauten in ihrer Wirkung noch gesteigert. (2) Ein zweites Motiv sind "Gebäudeteile als Brücken". Krier inszenierte einen Torbau, der an den Karl-Marx-Hof in Wien von 1927 erinnert. (3) Dort war "bereits der Versuch gemacht worden, die plebejische Gleichgültigkeit des sozialen Wohnungsbaus aufzulichten und identifikationsstarke Gestaltungsmotive herauszuholen."(4) Neben dem Ehrenhof und dem großen Torbogen gehörte zu den "Pathosformeln" auch die Figur, die Krier nach einen eigenem Entwurf und nach dem Vorbild des Karl-Marx-Hofs im Süden über dem Torbogen angebracht hatte.

Neben der intensiven Arbeit an städtebaulichen Figuren war der Grundriss mit Zentralraum das wichtigste Element in Kriers Berliner Arbeiten. Er schätzte diese Wohnungszuschnitte als besonders familiäre und ausgesprochen einfache Lösung: "Der zentrale Wohnraum, um den sich alle anderen Räume gruppieren, wird von beiden Seiten belichtet. So lässt er sich allen Himmelsrichtungen anpassen. Man braucht nur jeweils das Kinderzimmer an die beste Sonnenlage situieren. Dieser Grundriss ermöglicht die Orientierung der Wohnung ebenso zum Platz, zur Straße oder zum Hof hin. Je nach Himmelsrichtung sind dem Wohnraum Loggia oder Wintergarten vorgelagert."(5)An das Torhaus von Rob Krier schließen beidseitig - und jeweils in dieser Abfolge - ein Gebäude von Hielscher und Mügge, der Gruppe 67 und vom Planungskollektiv Nr. 1 an. Damit waren jeder Planergruppe zwei Gebäude in der für das Projekt besonders wichtigen Ritterstraße zugeteilt worden, hinzu kamen Bauten in der Linden- und in der Alten Jakobstraße.

Die beiden Nachbarhäuser zum Torbau Ritterstraße 62 und 65 wurden von Horst Hielscher und Georg-Peter Mügge ausgeführt. Die viergeschossigen Gebäude zeigen zur Ritterstraße einen hohen Ziegelsockel, darauf setzt eine grüne Putzfassade auf. Der symmetrische Aufbau der Häuser mit einem zweispännigen Treppenhaus in der Mitte und zwei gleich geschnittenen Wohnungen ist an der Fassade abzulesen. Die Grundrisse sind durch eine zentrale Diele bestimmt, um die herum die jeweils miteinander verbundenen Räume angeordnet sind.

In der Ritterstraße folgen die Bauten der Gruppe 67, zu der sich Alexander Eichenlaub, Werner Jockeit, Peter Möhle, Dieter Petersen und Harald Schöning zusammengeschlossen hatten. Auch ihre Häuser an der Ritterstraße 61 und 66 waren nach gleichem Plan als axialsymmetrische Zweispänner ausgeführt und mit Ziegelsockel und darübergelegenen Putzflächen - diesmal in einem hellen, blaugrauen Farbton - versehen. In einem tiefen Einschnitt zwischen zwei Erkern liegt das Treppenhaus mit zwei gekoppelten quadratischen Fenstern. Zum Hof reagierten die Architekten mit einer wesentlich ruhigeren Fassade. Zusammen mit den Nachbarhäusern sind die beiden Häuser an einen Tiefgarten angeschlossen, zu dem sich der im Keller gelegene Gemeinschaftsraum öffnete. Der Gruppe 67 war daran gelegen, in ihren Grundrissdarstellungen die Variabilität der Funktions- und Raumzuordnung zu demonstrieren. Fest stand nur die Lage des innenliegenden Bades mit der daran angeschlossenen Küche, die zur Straße und zum Hof gelegenen Räume konnten gleichermaßen gut als Kinder-, Schlaf- und Wohnzimmer genutzt werden.

Von den drei Berliner Architektengruppen hatte das 1968 gegründete Planungskollektiv Nr. 1 mit Johann Friedrich Geist, Helmut Maier, Hans Heinrich Moldenschardt, Peter Voigt und Hans Wehrhahn das größte Portfolio realisierter Bauten. Mit der wieder aufgenommenen Straßenrandbebauung tauchte auch das alte formale Problem wieder auf, Ecksituationen lösen zu müssen. (6) Weil sich das Planungskollektiv schon zuvor mit der Typologie von Eckwohnungen beschäftigt hatte, übernahm das Quintett jeweils zwei Doppelgrundstücke am Übergang der Ritterstraße zur Linden- und zur Alten Jakobstraße. Die besondere Herausforderung lag hier neben der Eckausbildung in der Aufnahme von Geschosssprüngen, denn die Bebauung an der Lindenstraße schloss mit sechs Stockwerken an die viergeschossige Ritterstraße an, die Alte Jakobstraße mit fünf Stockwerken. In dem verschachtelten Baukörper an der Ecke Alte Jakobstraße (Alte Jakobstraße 122-123) sind die Wohnungsgrundrisse einfach geschnitten und an der Diagonalen gespiegelt.

Das auf dem Grundstück Alte Jakobstraße 123 gelegene Haus ist axialsymmetrisch aufgebaut und wirkt mit seinen beiden abgerundeten Erkern und den zwischen ihnen gelegenen Balkonen deutlich ruhiger als das Eckhaus. Wie beim Eckhaus liegt das Treppenhaus auf der Hofseite und erschließt jeweils zwei spiegelbildlich geschnittene Wohnungen.

Die Besonderheit an der sechsgeschossig bebauten Lindenstraße lag in den Geschäftsräumen, die in den Erdgeschossen unterzubringen waren. Wie an der Alten Jakobstraße kommt auch das an das Eckhaus angrenzende Gebäude mit weitaus weniger architektonischen Gesten aus. Über dem Erdgeschoss mit der Ladenzone setzten zwei Erker auf konsolartigen Wandscheiben auf, zwischen denen die Balkonplatten eingespannt waren.

Im Anschluss an die Bauten des Planungskollektivs folgten in der Lindenstraße 28-28A zwei weitgehend baugleiche Häuser von Hielscher und Mügge, die hier ihre Grundrisse aus der Ritterstraße variierten.

Das in den Neubaukomplex integrierte repräsentative Geschäftshaus in der Lindenstraße 27 wurde 1912 von den Fabrikanten Jacobson und Weiß errichtet. Es vermittelt zusammen mit den beiden Geschäftshäusern im Norden und der Victoria-Versicherung im Süden einen Eindruck von der Bebauung der Straße bis zu den Kriegszerstörungen im Februar 1945. Im Hof schließt an das achtachsige Gebäude ein Seitenflügel mit zwei Querhäusern an, sodass hier eine besondere, auf den Bestandsbau abgestimmte Planung erforderlich war. Der Erhalt einer früheren Tabakfabrik im Hof wurde als städtebauliches Ziel festgeschrieben und zur Unterbringung von Arztpraxen, einer Apotheke und einer Kindertagesstätte vorgesehen. In dem Seitenflügel und den Querhäusern sollten zudem Wohnungen und Ateliers eingerichtet und die künftigen Mieter an Planung und Ausbau beteiligt werden. Die Gruppe 67 entwickelte einen Mustergrundriss mit einer Vielzahl von Variationen.

In die Baulücke zwischen dem Geschäftshaus und der Victoria-Versicherung (Lindenstraße 26) setzte die Gruppe 67 einen schmalen Neubau, der sich wegen der Lage zwischen den Bestandsbauten nicht mehr an den für die Neubauten im Quartier vereinbarten Fassadenaufbau mit Ziegelsockel und Putzfläche zu halten hatte. Die Zonierung entwickelten die Architekten aus einer Modulation der Fassade mit Ladengeschoss und aufgesetztem Mezzanin, Mittelrisalit und zwei turmartigen Aufbauten.

Die zeitgenössische Berichterstattung über das Wohnprojekt Ritterstraße-Süd reflektiert im wesentlichen die herausgehobene Rolle als erstes Pilotprojekt für die Internationale Bauausstellung. Weil sich die Anlage als beispielhaft für das nahende Großprojekt erweisen sollte (7), waren zugleich die (fach-)öffentliche Anteilnahme wie die Erwartungen an die Bauten außerordentlich hoch. Die Ritterstraße-Süd und das Nachfolge-Projekt Ritterstraße-Nord waren als "Planungsimpuls wichtig gewesen" und bildeten bis in die Realisierung hinein den "Probelauf für die IBA."(8)


(1) Rumpf, Peter: Ritterstraße in Berlin. In: Bauwelt, 23 (1981).

(2) Krier, Rob: Das Quartier zwischen Linden- und Alte Jakobstraße. In: Baumeister 7 (1983), S. 688.

(3) Krier, Rob: Das Quartier zwischen Linden- und Alte Jakobstraße. In: Baumeister 7 (1983), S. 692.

(4) Klotz, Heinrich. In: Frankfurter Rundschau vom 17.01.1981.

(5) Krier, Rob: Hallen für alle. Rob Krier im Gespräch mit Dietmar Steiner. In: Arch+ 79 (1985), S. 30.

(6) Krier, Rob: Das Quartier zwischen Linden- und Alte Jakobstraße. In: Baumeister 7 (1983), S. 682.

(7) Schmidt-Thomsen, Jörg: Konzepta-Ritterstraße, Leserbrief. In: Bauwelt 2 (1979), S. 51.

(8) Leitfaden. Projekte, Daten, Geschichte. Berichtsjahr 1984, hrsg. v. Bauausstellung Berlin GmbH, Berlin 1984, S. 85.

Literatur:

  • Topographie Friedrichshain-Kreuzberg/Kreuzberg, 2016 / Seite 143 ff.

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Juliane Stamm
Landesdenkmalamt Berlin
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