Denkmaldatenbank

Wohnanlage, Mietshaus Charlottenstraße 96, 97, 97A, 97B

Obj.-Dok.-Nr. 09097785
Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg
Ortsteil Kreuzberg
Adressen Charlottenstraße 96, 97, 97A, 97B
Denkmalart Baudenkmal
Sachbegriff Wohnanlage & Mietshaus
Datierung 1986-1988
Entwurf Hejduk, John (Architekt)
Bauherr Katz KG im Erbbaurecht des Landes Berlin

Die nach Plänen von John Hejduk ausgeführte Wohnanlage in der Charlottenstraße 96-97B nimmt einen Großteil des Blockinnenbereichs ein und grenzt nur mit der östlichen Zeile an öffentliches Straßenland.

John Hejduk gehörte mit Peter Eisenman, Michael Graves, Charles Gwathmey und Richard Meier zu den New York Five und war durch seine künstlerischen Entwürfe und als Dean der Cooper Union einer der einflussreichsten Architekten und Theoretiker in New York, ohne dabei ein umfangreiches bauliches Oeuvre vorweisen zu können. (1)

Für die Wohnanlage erhielt der US-amerikanische Architekt einen Direktauftrag der Internationalen Bauausstellung (IBA 1987), nachdem sein Wettbewerbsbeitrag von 1981 für den Bereich der südlichen Wilhelmstraße einen Sonderpreis erhalten, sich aber - wie auch sein Entwurf "Berlin Victims" von 1984 - als nicht realisierbar erwiesen hatte. Auf Einladung der IBA hatte Hejduk in seinen Entwürfen "Berlin Masque" (auch: "Berlin Mask") und "Berlin Victims" verschiedene Kleinbauten und Figuren entwickelt, die er in die fragmentarisch bebauten Blöcke eingesetzt hatte. Aus dem Fundus seiner theaterhaften Rauminszenierungen bediente sich Hejduk, als er 1982 in direkter Vergabe drei Grundstücke von der IBA erhielt: In Tegel zitierte er das Dach mit den schrägen Aufsätzen aus der "Masque" Nr. 15 und in der Friedrichstraße 234 nutzte er den "Clock Tower" von 1981 und ein Torhaus aus den "Victims" als Ausgangsmotiv seines Entwurfs.

In der Wohnanlage an der Charlottenstraße, dem größten der drei Projekte, kamen mehrere Elemente aus seiner visionären Stadtinszenierung zur Ausführung: Der Wohnturm ist den Wohntürmen der "Masque" entlehnt, die nach innen geneigten Dächer der Zeilen tauchten im "Book Market" auf und die vor die Fassaden gehängten Balkone waren zuvor als autonome "Wall hung units" aufgetreten.

Die Anordnung des 14-geschossigen Wohnturms und der zwei flankierenden Zeilen orientiert sich am Vorderhaus und den zwei Querhäusern des benachbarten Gewerbehofs. Der mit glasierten Steinen verkleidete Seitenflügel des Altbaus bildet den Hintergrund und räumlichen Abschluss der neuen Wohnanlage.

Der Turm wurde einige Meter von der Nachbarbebauung abgerückt, die beiden fünfgeschossigen Zeilen schlossen direkt an die Brandwände der Altbauten an und übernahmen deren Traufhöhe. Durch die nach Innen geneigten Dächer entstanden im Dachgeschoss Wohnungen, die durch raumhohe Atelierfenster und Glasdächer in der Gebäudemitte belichtet werden. Die übrigen in Ost-West-Richtung orientierten Wohnungen öffnen sich mit tiefen Loggien zum Hof. Während die östliche Zeile über zwei Treppenhäuser als Zweispänner erschlossen wird, sind die Wohnungen in der westlichen Zeile über einen Laubengang erreichbar, der zu den nahegelegenen Nachbarhäusern an der Friedrichstraße großflächig verglast ist.

Den hohen Atelierturm mit seinen sieben Maisonettewohnungen setzte Hejduk aus mehreren Baukörpern zusammen: Im Zentrum steht ein Turm mit den Hauptwohnräumen und den verbindenden Treppen, dem an jeder Seite ein kleinerer Turm mit den Küchen und Nebenräumen angefügt ist. Im Norden liegen ein runder Treppenturm und ein rechteckiger Aufzugsturm. Alle nach Süden weisenden Fenster werden durch grün gestrichene Blechdächer verschattet, die am Hauptturm mit den vorgehängten Balkonen gruppiert sind. Die Fassaden wurden in einem für die Stadt typischen "Berlin Gray" ausgeführt und mit sternförmigen Aufsätzen versehen, die als kleinste Elemente aus den Masque-Skizzen übernommen wurden.

Die Wohnanlage von John Hejduk zählt zu den bekanntesten Projekten der Internationalen Bauausstellung 1987. Das zeichenhafte Ensemble aus einem Wohnturm und zwei flankierenden Zeilen ist ein vielbeachteter und vielfach veröffentlichter Beitrag zur Ausstellung, der jenseits von postmodernen Motiven auf einer Erzählung zur Stadt und ihren Bewohnern gründet.

Mit der Anlage in der Charlottenstraße, dem Torhaus in der Friedrichstraße 234 und dem Wohngebäude Am Tegeler Hafen 44 verfügt Berlin über einen Großteil des baulichen Ouvres des US-amerikanischen Architekten, der als Künstler, Theoretiker und Hochschullehrer bekannt wurde.


(1) IBA Projektübersicht 1991, S. 166-167; Baumeister 12 (1989), S. 34-35, 53; Deutsche Bauzeitung, 5 (1982) S. 8-9; John Hejduk. Theater Masque, Berlin Masque, Lancaster/Hanover Masque, Devil's Bridge, hrsg. v. ETH Zürich, New York 1983, S. 10-51; Hejduk/John, Müller, M.: Wohnanlage mit Atelierturm Charlottenstraße 96-98. In: IBA Neubaugebiete 1987, S. 200-201; John Hejduk. Mask of Medusa. Works 1947-1983, hrsg. v. Kim Shkapich, New York 1985, S. 183-195, 384-390.

Literatur:

  • Bauausstellung Berlin GmbH (Hg.): Internationale Bauausstellung Berlin 1987, Projektübersicht, Berlin 1987 / Seite 166-167
  • Baumeister (1989) 12 / Seite 34-35, 53
  • Deutsche Bauzeitung (1982) 5 / Seite 8-9
  • Kleihues, Josef Paul (Hg.): Internationale Bauausstellung Berlin 1984/87. Die Neubaugebiete. Dokumente, Projekte. Südliche Friedrichstadt, Band 3, Stuttgart 1987 / Seite 200-201
  • Shkapich, Kim (Hg.): John Hejduk. Mask of Medusa. Works 1947-1983, New York 1985 / Seite 183-195, 384-390
  • Topographie Friedrichshain-Kreuzberg/Kreuzberg, 2016 / Seite 128 f.

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Juliane Stamm
Landesdenkmalamt Berlin
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