Denkmaldatenbank

Notaufnahmelager Marienfelde

Obj.-Dok.-Nr. 09097759
Bezirk Tempelhof-Schöneberg
Ortsteil Marienfelde
Adressen Marienfelder Allee 66, 68, 70, 72, 74, 76, 78, 80

Kaiserallee 36, 38, 40, 42, 44
Denkmalart Gesamtanlage
Sachbegriff Wohnsiedlung
Datierung 1952-1953
Bauherr Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen

Im Süden des zweiten Abschnittes der Siedlung Mariengarten in der Marienfelder Allee schließt ein Siedlungsgebiet an, das man für eine Fortsetzung des Siedlungsbaus nach dem Zweiten Weltkrieg halten könnte. Die Wohnhäuser wurden aber für eine ganz besondere Nutzung errichtet.

Das Notaufnahmelager Marienfelde, Marienfelder Allee 66-80, diente zwischen 1953 und 1990 der Aufnahme und Eingliederung von Flüchtlingen oder Übersiedlern, die die DDR oder den sowjetischen Sektor von Berlin verlassen hatten und sich in West-Berlin oder in Westdeutschland ansiedeln wollten.Die unterschiedlichen politischen Systeme und die verschiedenen Lebensverhältnisse in den beiden deutschen Staaten hatten eine enorme Flüchtlingsbewegung von Ost nach West zur Folge, zu deren Zahl noch reguläre Übersiedler hinzukamen. Die Bundesregierung und die Regierungsstellen in West-Berlin versuchten nach dem Bundesnotaufnahmegesetz von 1952 den Menschenstrom zu kanalisieren und die Lasten auf die gesamte Bundesrepublik gerecht zu verteilen.

Die Größe des Problems verdeutlicht schon die Zahlen der Flüchtlinge und Übersiedler: Von den rund 4 Millionen Menschen, die zwischen 1949 und 1990 den Weg vom Osten in den Westen gegangen sind, haben zwischen 1953 und 1990 über 1.350.000 Menschen das Notaufnahmelager Marienfelde durchlaufen. Die jährlichen Schwankungen dieser Zahlen kann man als Seismograph der innenpolitischen Entwicklung in der DDR interpretieren. 1952 trat der Grenzsicherungsbeschluss der DDR in Kraft. Die Grenzen zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland wurden geschlossen und gesichert, so dass der Flüchtlingsstrom nach Berlin gelenkt wurde, weil dort wegen des Viermächtestatus' eine Grenzschließung nicht einfach möglich war. 1953 verstärkten die Unruhen um den 17. Juni den Flüchtlingsstrom. Ab 1961 führte der Mauerbau zu einem drastischen Rückgang.

Bauherren des Lagers Marienfelde waren die Bundesregierung und der Senat von Berlin. Errichtet wurde ein zentrales Notaufnahmelager, das alle für die Registrierung, Aufnahme und Weiterleitung der Flüchtlinge und Übersiedler zuständigen Verwaltungsstellen und weitere Wohlfahrtseinrichtungen zusammenfasste und das im ersten Bauabschnitt 1.200 Menschen aufnehmen konnte.

Das Lager wurde als Wohnsiedlung gebaut, die sich wenig von einfachen zeitgenössischen Siedlungen unterschied, die zeitgleich überall in der Stadt entstanden. Nach der Veränderung der politischen Verhältnisse sollte die Siedlung dem normalen Wohnungsmarkt zur Verfügung stehen. Die Senatsverwaltung für Wohnungswesen arbeitete zusammen mit den Bundesministerien für Vertriebene, des Inneren und der Finanzen die Pläne aus.

Im ersten Bauabschnitt entstanden 13 dreigeschossige Wohnblocks und ein viergeschossiges Eingangsgebäude, ein Kinderhort und ein Speisesaal. Die Wohnblocks beinhalteten 220 Zweieinhalbzimmerwohnungen von 50 m², 48 Einzimmerwohnungen und 12 Dreizimmerwohnungen, sieben Ladenlokale, eine Kindertagesstätte und einen Speisesaal mit Küche. Die Büros der Verwaltungsdienststellen und Wohlfahrtseinrichtungen wurden in Wohnungen beziehungsweise in zusammengelegten Wohnungen untergebracht. Die Ladenzeile mit Schaufenstern im Erdgeschoss des Eingangsgebäudes wurde auch für Büros genutzt (heute Museum).

Die städtebauliche Anlage ist sehr funktional auf die Unterbringung von vielen Menschen auf vergleichsweise engem Raum ausgerichtet. Entlang der Straßen folgen die Wohnblocks dem Straßenrand, im Blockinneren sind sie so dicht wie möglich in Zeilen angelegt und von Grünanlagen umgeben. An der Ecke Marienfelder Alle/Steigerwaldstraße wurde durch stufenweises Zurückweichen von Pförtner- und Eingangsgebäude ein rechteckiger Vorplatz angelegt. Er war für den Aufenthalt der zeitweise in großer Zahl ankommenden und noch nicht registrierten Flüchtlinge nötig. Das Lager ist aus Sicherheitsgründen vollständig von einem hohen Zaun umgeben und nur kontrolliert durch das Pförtnerhaus beziehungsweise durch das Eingangsgebäude zugänglich.

1955 verlegte die Bundesregierung ihre "Bundesaufnahmedienststellen" nach Marienfelde, was die Aufnahmekapazität des Lagers verringerte. Im Sommer des gleichen Jahres wurde ein zweiter Bauabschnitt mit 12 Wohnblocks in ähnlicher Bauweise wie beim ersten Bauabschnitt eröffnet, dadurch erhöhte sich die Unterkunftskapazität um 2.200 Plätze. Nach dem Mauerbau, der einen drastischen Rückgang der Flüchtlinge/Übersiedler zur Folge hatte, wurde 1962 der zweite Bauabschnitt bestimmungsgemäß der städtischen Wohnungsbaugesellschaft DEGEWO übergeben (1969 endgültig verkauft).

Der Optimismus der Bauherren, die das Lager in Form einer regulären Wohnsiedlung bauten, um die Bauten nach der Normalisierung der Verhältnisse weiter sinnvoll nutzen zu können, erfüllte sich für den ersten Bauabschnitt bis zur Wiedervereinigung 1990 und auch später nicht.

Heute wird das ehemalige Notaufnahmelager, seiner langjährigen Bestimmung gemäß, als Übergangswohnheim genutzt. Es ist die "Zentrale Aufnahmestelle des Landes Berlin für Aussiedler (ZAB)". (Spät-)Aussiedler, die durch die Erstaufnahmeeinrichtung des Bundes in Friedland auf das Land Berlin verteilt werden, finden dort ihre erste Unterkunft in Berlin.

Die Einrichtung des Notaufnahmelagers Marienfelde war eine unmittelbare Folge der Teilung Deutschlands und Berlins. Das vollständig überlieferte Lager ist ein authentisches Anschauungsobjekt der deutschen Nachkriegsgeschichte. Es ist Teil einer Infrastruktur, die notwendig wurde, um die Folgen der Teilung angehen zu können. Das Lager ist eng mit den Biographien von über 1,3 Millionen Menschen verknüpft, die aus geschichtlichen und politischen Gründen dort beinahe mittellos ein neues Leben anfangen mussten.

(2011aktualisierter Text:)Das große Erinnerungsbedürfnis an diesem Ort zeigt sich auch in der Gründung der "Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde" mit ihrer Dauerausstellung "Flucht im geteilten Deutschland". In der Dauerausstellung können sich Besucher auf 450 Quadratmetern mit 900 Exponaten über die Geschichte der deutsch-deutschen Fluchtbewegung informieren.Seit 2009 ist die Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde, die ursprünglich von einem Verein ins Leben gerufen wurde, Teil der Stiftung Berliner Mauer.Das Lager ist von der Bundesregierung als Gedenkstätte von gesamtstaatlicher Bedeutung eingestuft worden.

Literatur:

  • Effner, Bettina: "Eines der größten Wohnungsbauprojekte in Berlin", Zur Gründungsgeschichte des Notaufnahmelagers Marienfelde, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, Heft 1, Januar 2001 / Seite 290-296
  • Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde, 1953-2003, 50 Jahre Notaufnahmelager Marienfelde, Berlin o.J. (2003) / Seite .
  • Fluchtziel Berlin, Die Geschichte des Notaufnahmelagers Berlin-Marienfelde, Berlin 2000 / Seite .
  • Topographie Tempelhof, 2007 / Seite 215ff.

Kontakt

Juliane Stamm
Landesdenkmalamt Berlin
Redaktion Denkmalinformationssystem

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