Denkmaldatenbank

Reichsmilitärgericht mit Vorgarten

Obj.-Dok.-Nr. 09096500
Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf
Ortsteil Charlottenburg
Adressen Witzlebenplatz 1, 2

Witzlebenstraße 4, 5, 6, 7
Denkmalart Baudenkmal
Sachbegriff Gericht & Wohnhaus & Vorgarten
Datierung 1908-1910
Entwurf Kayser und von Großheim (Architekt)

Auf dem der Schule gegenüberliegenden Eckgrundstück zum Witzlebenplatz wurde 1908-10 das Reichsmilitärgericht, Witzlebenplatz 1-2, Witzlebenstraße 4-5, nach Entwurf des renommierten Architektenbüros Kayser & von Großheim ausgeführt. (1) Der imposante Bau, Dienstgebäude für den von 1900 bis 1920 bestehenden obersten Gerichtshof in militärischen Strafsachen, hat in seiner mehr als einhundertjährigen Geschichte mehrere Nutzungsänderungen erlebt: 1936-45 war hier das berüchtigte Reichskriegsgericht untergebracht. (2) Nach dem Zweiten Weltkrieg diente das nur leicht beschädigte Gebäude dem Kammergericht, das erst 1997 zurück in sein ursprüngliches Gebäude am Kleistpark zog. Nach langem Leerstand ließ ein privater Investor 2006-07 mehr als 100 Wohnungen in das ehemalige Gerichtsgebäude einbauen, ohne das Äußere auffallend zu verändern. (3)

Unter den Gerichtsgebäuden Charlottenburgs nahm das Reichsmilitärgericht eine Sonderrolle ein, weil es sowohl Dienstgebäude als auch Residenz des Präsidenten war. Das Grundstück am Rande des Lietzenseeparks ermöglichte es, die Doppelfunktion des Gebäudekomplexes um drei Innenhöfe mit den städtebaulichen Rahmenbedingungen zur Deckung zu bringen. Das zur Witzlebenstraße hin orientierte Dienstgebäude ist, hierin dem Vorbild anderer Gerichtsbauten folgend, als großer Stadtpalast mit rückwärtigem Mittelflügel, Seitenrisaliten und einem Mittelrisalit mit Kolossalsäulen und Dreiecksgiebel gegliedert. (4) Zum Lietzensee befindet sich der in der Höhe gestaffelte Wohnsitz des Präsidenten, der als Schlossbau mit Ehrenhof ausgeführt ist. An der Straßenecke fügten die Architekten einen Treppenturm als Gelenkstück ein, der zwischen den unterschiedlich hohen Bauteilen vermittelt und am Witzlebenplatz eine Höhendominante bildet. Ein repräsentativer Vorgarten mit Eingangstor und Vorfahrt verweist auf den gegenüberliegenden Park. Der neobarock-klassizistische Fassadendekor folgt dem preußischen Repräsentationsstil und verdeutlicht den hohen architektonischen Anspruch des Gebäudes ebenso wie die Ausführung der Fassaden in Werkstein mit kräftigem Rustikasockel und die ausgesprochen aufwendige Gestaltung der Innenräume.


(1) Heinrich Kayser (1842-1917) und Karl von Großheim (1841-1911) gründeten 1871 ein gemeinsames Architekturbüro in Berlin mit Filialen im Rheinland und waren deutschlandweit erfolgreich. In Charlottenburg wurden nach ihrem Entwurf auch der Bahnhof Westend (1883-84) und die Hochschule für Musik/ Hochschule der Bildenden Künste (1898-1902) errichtet, in Berlin zahlreiche Wohn- und Geschäftshäuser, u.a. das Warenhaus Wertheim am Alexanderplatz (1910-11, zerstört). Vgl. db 44 (1910) 2, S. 709 f., S. 717 f., S. 725-727, mit Grundrissen, Schnitten und 12 fotographischen Abbildungen; BAW 13 (1910), S. 325; BW 1 (1910) Nr. 33, S. 21; Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin, Stadt und Bezirk Charlottenburg, bearb. von Irmgard Wirth, Text- u. Tafelband, Berlin 1961, S. 179-182, Abb. 182-186; Architekten- und Ingenieur-Verein zu Berlin (Hrsg.): Berlin und seine Bauten, Teil III, Bauwerke für Regierung und Verwaltung, Berlin-München 1966, S. 69-70, 75 und Abb. 90; Kreuter, Marie-Luise: Das Gerichtsgebäude Witzlebenstraße 4-5. In: Geschichtslandschaft Charlottenburg 1985, Bd. 2, S. 151-171; Ribbe, Wolfgang/Schäche, Wolfgang (Hrsg.): Baumeister, Architekten, Stadtplaner; Biographien zur baulichen Entwicklung Berlins, Berlin 1987, S. 620, 630 (Kurzbiografien und Werkauswahl von Karl von Großheim und Heinrich Kayser).

(2) Kreuter, Marie-Luise: Das Gerichtsgebäude Witzlebenstraße 4-5. In: Geschichtslandschaft Berlin, Orte und Ereignisse, Bd. 1, hrsg. v. Helmut Engel, Stefi Jersch-Wenzel, Wilhelm Treue, Charlottenburg, Teil 2, Der neue Westen, Berlin 1985, S. 158-165; Fritsch, Irene: Leben am Lietzensee, Berlin 2001, S. 93-99.

(3) Architekt: Gregor Fuchshuber. Für den Umbau des ehemaligen Gerichtsgebäudes wurden die Außenfassaden gereinigt und weitgehend unverändert belassen. Im Hofbereich wurden zahlreiche Balkone angebaut, sodass jede Wohnung über Balkon, Loggia oder Terrasse verfügt, zum Teil werden die Wohnungen über neue Laubengänge erschlossen. Im Inneren sind die Repräsentationsräume nahezu unverändert erhalten, nur der große Ballsaal ist vertikal und horizontal viergeteilt. Die Neben- oder Funktionsräume sind als moderne Kuben in die Räume eingestellt (Loftcharakter) oder in die ehem. Erschließungsflure integriert. Darüber hinaus entstanden im Hofbereich eine Tiefgarage und ein Neubau. Vgl. Simons, Kristina: Gebäude im Wandel, Umstrittene Gemütlichkeit. In: Berliner Mietermagazin 1+2/2008 [Online Version]; Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) (Hrsg.): Umwandlung von Nichtwohngebäuden in Wohnimmobilien - Dokumentation der Fallstudien. BBSR-Online-Publikation 10/2015, Bonn 2015, S. 3-12.

(4) Der Fassadenschmuck und die Zierschilde in den Giebelfeldern der beiden Dreieckgiebel an Witzlebenplatz und Witzlebenstraße stammen vom Bildhauer Otto Lessing. Vgl. Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin, Stadt und Bezirk Charlottenburg, bearb. von Irmgard Wirth, Text- u. Tafelband, Berlin 1961, S. 180; Architekten- und Ingenieur-Verein zu Berlin (Hrsg.): Berlin und seine Bauten, Teil III, Bauwerke für Regierung und Verwaltung, Berlin-München 1966, S. 75.

Literatur:

  • Inventar Charlottenburg, 1961 / Seite 179-182
  • BusB III 1966 / Seite 69-70, 75
  • Deutsche Bauzeitung 44 (1910) 2 / Seite 709 f., 717 f., 725-727
  • Berliner Architekturwelt 12 (1910) / Seite 325, Bemerkung; möglicherw. 13 (1911)?
  • Bauwelt 1 (1910) 33 / Seite 21
  • Kreuter, Marie-Luise: Das Gerichtsgebäude, in: Geschichtslandschaft, Charlottenburg 2, 1985 / Seite 151-171
  • Baumeister, Architekten, Stadtplaner, 1987 / Seite 620, 630 (Kurzbiografien Kayser und v. Groszheim)

Kontakt

Juliane Stamm
Landesdenkmalamt Berlin
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