Denkmaldatenbank

S- und Fernbahnhof Charlottenburg

Obj.-Dok.-Nr. 09096451,T
Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf
Ortsteil Charlottenburg
Adressen Stuttgarter Platz
Denkmalart Baudenkmal
Sachbegriff Bahnhof (F) & Bahnhof (S)

Der 1882 eröffnete Stadt- und Fernbahnhof Charlottenburg, Stuttgarter Platz, erhielt nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem 1970-71 nach Entwurf von Günter Hönow errichteten Empfangsgebäude ein vollkommen neues Erscheinungsbild. (1) Während der Neubau ein wichtiges Zeugnis für die Verkehrsplanung der 1960er Jahre darstellt, dokumentieren der Bahnhof selbst und seine erhaltenen bauzeitlichen Anlagen die historische und städtebauliche Bedeutung für das damals südlich der Stadt Charlottenburg gelegene Gebiet: 1882 war der Bahnhof Charlottenburg die einzige Station in einem noch völlig unbebauten Gelände, das sich in der Folgezeit sprunghaft entwickelte. Das erste, 1880-82 als Fachwerkkonstruktion ausgeführte, Empfangsgebäude war in seiner Schlichtheit der ländlichen Umgebung zunächst angemessen. (2) Doch bereits wenige Jahre später von repräsentativen Mietshäusern umgeben, wirkte es stets, auch schon vor der nur notdürftigen Beseitigung von Kriegsschäden, seltsam fremd. Von der ursprünglichen Ausstattung des Bahnhofes sind die Bahnsteigüberdachungen auf den Fernbahngleisen erhalten, die auf einen Umbau im Jahr 1906 zurückgehen, als die einfachen aufgeständerten Holzdächer durch offene Hallen mit eisernen Stützen des Wannseebahntyps ersetzt wurden. Ein weiteres bauzeitliches Bauteil ist der Fußgängertunnel mit Zugängen zu den Gleisen, in dessen gemauerte Wölbung die Stahltröge der Gleise tief einschneiden.

Beim 1971 eröffneten Empfangsgebäude handelte es sich um den einzigen Neubau eines S-Bahnhofs im West-Berlin der Nachkriegszeit; die Stadtbahn wurde in der geteilten Stadt bis 1984 durch die Reichsbahn der DDR verwaltet. Die Baumaßnahme stand im Zusammenhang mit dem umfassenden städtebaulichen Umbau im Bereich Stuttgarter Platz und Wilmersdorfer Straße: Ab 1969 wurde die neue U-Bahnlinie U7 zwischen Adenauerplatz und Bismarckstraße unter der Wilmersdorfer Straße entlang geführt, die nach der Fertigstellung 1978 zur ersten Fußgängerzone Berlins umgestaltet wurde. Zur Schaffung einer alternativen Nordsüdverbindung zwischen Bismarckstraße und Kurfürstendamm wurden die Kaiser-Friedrich-Straße verlängert (3), darüber hinaus eine Unterführung unter den Stadtbahngleisen und die Lewishamstraße als Durchbruch quer durch das historische Straßennetz neu geschaffen. (4) Bestandteil dieser Planungen war der Abriss des alten Bahnhofsgebäudes. Für den Neubau entwarf Günter Hönow ein Empfangsgebäude mit breitem Eingang und Vordach in Stahlskelettbauweise, das sich mit einem Kiosk an der Ostseite zur neuen Straße wendet, sowie einen dreigeschossigen Mauerwerksbau als Dienstgebäude. Die kubischen, mit braun-blauen Klinkern verblendeten und mit blau gerahmten Fensterbändern gegliederten Bauten sind funktional, an Vorbildern der klassischen Moderne orientiert, gestaltet. Bei der Sanierung der Stadtbahn waren 2003-06 die Bahnsteige der S-Bahn circa 200 Meter nach Osten zum U-Bahnhof Wilmersdorfer Straße verschoben, ein neuer Zugang geschaffen und der westliche Aufgang an der Windscheidstraße geschlossen worden. Die Fernbahnsteige blieben an alter Stelle und sind nun über den Tunnel zwischen Gervinusstraße (5) und Empfangsgebäude erreichbar, das 2018-19 aufwendig saniert wurde.

Für die Mietshausbebauung am Stuttgarter Platz spielte der Architekt und Bauunternehmer Alfred Schrobsdorff und seine 1892 gegründete "Terraingesellschaft am Stadtbahnhof Charlottenburg" eine bedeutende Rolle. (6) Schrobsdorff hatte hier 1887/88 vom Bankhaus Born & Busse große Flächen zu günstigen Preisen gekauft, die er in den 1890er Jahren parzellierte, zum Teil selbst bebaute und/oder weiterverkaufte. Der Firmensitz der Terraingesellschaft war im Haus Stuttgarter Platz 15, das Schrobsdorff selbst 1895 gebaut hatte und in dem er bis 1908 mit seiner Familie wohnte. 1901 wurde die Aktiengesellschaft aufgelöst, die Aktionäre mit hohen Gewinnen belohnt. Schrobsdorff verlagerte seine Aktivitäten nach Neu-Westend, wo er sich eine Villa in der Ahornallee errichtete. Die Mietshäuser am Stuttgarter Platz waren mit Drei- bis Vierzimmerwohnungen in den Vorderhäusern für die Mittelschicht wie auch mit Sieben- bis Neunzimmerwohnungen für wohlhabendere Bewohner gedacht. Badezimmer, Balkone und Mädchenkammern gehörten zur Ausstattung, nur in den Seitenflügeln und Quergebäuden gab es kleinere, einfachere Wohnungen. (7)


(1) BW 66 (1975), S. 480 f.; DBZ 1977, S. 1305 f.; Rave, Rolf/Knöfel, Hans-Joachim: Bauen der 70er Jahre in Berlin, Berlin 1981, Nr. 262; Architekten- und Ingenieur-Verein zu Berlin (Hrsg.): Berlin und seine Bauten, Teil X, Bd. B (2), Fernverkehr, Berlin-München-Düsseldorf 1984, S. 47 (Abb. 55), 185; Bauen in Berlin, 1900-2000, hrsg. v. Josef Paul Kleihues, Jan Gerd Becker-Schwering, Paul Kahlfeldt, Ausstellungskat., Berlin 2000, S. 320; Baukunst der Nachkriegsmoderne, Architekturführer Berlin 1949-1979, hrsg. v. Adrian von Buttlar, Kerstin Wittmann-Englert, Gabi Dolff-Bonekämper, Berlin 2013, S. 278.

(2) Zeitschrift für Bauwesen 35 (1885), Sp. 441-449; Gundlach, Wilhelm: Geschichte der Stadt Charlottenburg, Bd.1, Berlin 1905, S. 646 f.; Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin, Stadt und Bezirk Charlottenburg, bearb. von Irmgard Wirth, Text- u. Tafelband, Berlin 1961, S. 587, Abb. 774; BusB X B (2), S. 46, 149; Schmidt, Hartwig/Eilhardt, Eva-Maria: Die Bauwerke der Berliner S-Bahn, Die Stadtbahn, Berlin 1984 (Arbeitshefte der Berliner Denkmalpflege 1), S. 100-111. Als Bahnhof für das Schloss Charlottenburg war das alte Gebäude mit einem Wartesaal für "Königliche Herrschaften" ausgestattet.

(3) Die Kaiser-Friedrich-Straße wurde zwischen Kantstraße und Stuttgarter Platz zudem leicht nach Osten verschwenkt und die zum Teil kriegszerstörten Häuser an der Stelle abgerissen. Zur Schließung des Blockrandes wurde 1971-73 nach Entwurf von Werner Düttmann das Wohn- und Geschäftshaus Kaiser-Friedrich-Straße 56-57 errichtet. Vgl. Werner Düttmann, verliebt ins Bauen: Architekt für Berlin 1921-1983, bearb. von Haila Ochs, Basel/Berlin/Boston 1990, S. 302.

(4) Die Neubauten an den Straßenecken wurden 1978-81 nach Entwurf von Jürgen Sawade errichtet. Vgl. Rave, Rolf/Knöfel, Hans-Joachim: Bauen der 70er Jahre in Berlin, Berlin 1981, Nr. 263; Bauen in Berlin, 1900-2000, hrsg. v. Josef Paul Kleihues, Jan Gerd Becker-Schwering, Paul Kahlfeldt, Ausstellungskat., Berlin 2000, S. 342.

(5) Der Tunnelzugang von der Gervinusstraße wurde 2011 mit einem Seniorenheim überbaut und ist über einen Durchgang im Haus zu erreichen.

(6) Alfred Schrobsdorff (1861-1940), hatte bereits 1883 mit nur 22 Jahren sein erstes Bauunternehmen gegründet. Mit der Terraingesellschaft am Stadtbahnhof Charlottenburg, die mit Unterstützung der Deutschen Bank zahlreiche Grundstücke am Stuttgarter Platz gekauft und bebaut hat, hatte er seinen ersten großen Erfolg. Mit eigenen Ziegeleien, Sägewerk, Stein- und Schifffahrtsunternehmen verkaufte Schrobsdorff später auch in anderen Teilen Charlottenburgs vom Grundstück über den Bauentwurf bis zum fertigen Haus alles aus einer Hand. Als Nachfolger gibt es noch heute die Bau-Verwaltungsgesellschaft Dr. Schrobsdorff GmbH & Co. KG in Charlottenburg-Westend. Vgl. Reichshandbuch der Deutschen Gesellschaft, Berlin 1931, S. 1709; Jochens, Birgit/May, Herbert: Die Friedhöfe in Berlin-Charlottenburg, Berlin 1994, S. 180; Jochens, Birgit: Bruchstücke Stuttgarter Platz, Berlin 1999, S. 12 ff.

(7) Jochens 1999, S. 31-55.

Literatur:

  • BusB X B 2 1984 / Seite 149, 185
  • Rave, Knöfel/ Bauen der 70er Jahre in Berlin, 1981 / Seite Nr. 262
  • Schmidt, Stadtbahn, 1984 / Seite 32, 100-111

Teilobjekt Bahnhofsanlage mit Personen- und Gepäcktunnel

Teil-Nr. 09096451,T,001
Sachbegriff Bahnhofsanlage
Datierung 1881-1882
Entwurf Dircksen, Ernst August?

Teilobjekt Eingang Windscheidstraße mit Kartenschalter

Teil-Nr. 09096451,T,002
Sachbegriff Eingangsbauwerk
Datierung 1905
Entwurf Wambsgans

Teilobjekt Bahnsteigüberdachung (Fernbahnsteig "B")

Teil-Nr. 09096451,T,003
Sachbegriff Bahnsteig
Datierung 1906
Entwurf Korth

Teilobjekt Stationsgebäude

Teil-Nr. 09096451,T,004
Sachbegriff Bahnstationsgebäude
Datierung 1972-1975
Entwurf Hönow, Günter

Kontakt

Juliane Stamm
Landesdenkmalamt Berlin
Redaktion Denkmalinformationssystem

Verkehrsanbindungen