Denkmaldatenbank

Jüdischer Friedhof mit Gedenkplatz und Gedenkstein für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus

Obj.-Dok.-Nr. 09096196
Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf
Ortsteil Westend
Adressen Heerstraße 141
Denkmalart Baudenkmal
Sachbegriff Friedhof
Entwurf 1954
Datierung 1955-1956
Umbau 1959-1960
Entwurf Guttmann, Hermann (Architekt)
Entwurf Lellek, J. M. (Architekt)
Ausführung Hagen und Rauch (Baugeschäft)
Ausführung Berliner Steinmetz- und Bildhauerinnung
Bauherr Jüdische Gemeinde Berlin

Inmitten des gegenüber der Wohnanlage am Scholzplatz gelegenen Ausläufers des Grunewaldes liegt der Jüdische Friedhof an der Heerstraße 141 in abgeschiedener Lage. Mit der Aufteilung Berlins in vier Sektoren nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war der Zugang zum Hauptfriedhof in Weißensee für die jüdischen Gemeindemitglieder der drei Westsektoren nur noch erschwert möglich. Ab 1955 wurde daher der Friedhof an der Heerstraße angelegt. (1) Unter Mitarbeit des Gartenarchitekten Bernhard Kynast entwarf Hermann Zvi Guttmann (2) die zunächst für etwa 3.000 Bestattungen ausgelegte Gesamtanlage einschließlich der Friedhofshalle und ihrer Nebengebäude. Die Bauausführung wurde jedoch dem Architekten Curt Leschnitzer übertragen. Mit gerastertem, geradlinigem Wegesystem, strenger Untergliederung der Grabfelder und lockeren Baumpflanzungen folgt die parkartige Friedhofsgestaltung gängigen Schemata der Nachkriegszeit, die auch für christliche Friedhöfe üblich waren. Damit wurde eine Entwicklung des 19. Jahrhunderts fortgeschrieben, bei der in die Gestaltung von Friedhöfen der liberalen Gemeinden zunehmend Elemente der christlichen Bestattungskultur Eingang fanden. Allerdings sind die Grabfelder in sieben unterschiedliche Abteilungen untergegliedert: Einzel-, Familien-, Wahl-, Urnen- und Kinderfelder, sowie das Feld für die nichtjüdischen und somit nicht beschnittenen Ehemänner und das Feld der Frommen, ein Friedhofsbereich, der vollständig auf Blumen- und Pflanzenschmuck auf den Grabstellen verzichtet. Die einzige Baugruppe der Anlage, bestehend aus Friedhofshalle und Verwaltungsgebäude, liegt im Osten am Friedhofszugang, eingebunden in die Einfriedung. Es wird ein Vorhof ausgebildet, den im Norden das riegelartige Verwaltungsgebäude, im Süden die Friedhofshalle und an den beiden weiteren Seiten Mauern mit Toranlagen begrenzen. Fassaden und Mauerzüge sind weiß verputzt und weisen insbesondere an der Außenseite des Friedhofes geschlossene Flächen auf. Die Trauerhalle überragt das ansonsten eingeschossige Ensemble und verweist an der östlichen Giebelseite über ein Rundfenster mit Füllung in Form eines Davidschildes auf ihre sakrale Funktion und ihre Zugehörigkeit zur jüdischen Gemeinde. Ihr Inneres mit Kassettendecke entspricht dem schlichten Äußeren und wird durch eine Reihe von Oberlichtfenstern im Norden belichtet. Der Trauerhalle, die auch eine Empore umfasst, ist im Westen ein Warteraum vorgelegt. Winkelförmig fügt sich zudem im Süden ein eingeschossiges Nebengebäude an. 1959-60 wurde der Baukomplex nach Plänen von Josef Lellek um einen eingeschossigen Anbau für die Gartenarbeiter des Friedhofes erweitert. (3) Auffallend ist die ausgesprochen zurückhaltende und konservative Gestaltung der Gebäude, auch im Vergleich zu zeitnah errichteten, deutlich aufwendigeren Bauten Guttmanns, wie etwa der bemerkenswerten Friedhofshalle in Hannover-Bothfeld. Mit Erweiterung der Friedhofsgebäude wurde 1960 auch eine Gedenkstätte für die von den Nationalsozialisten ermordeten Gemeindemitglieder eingerichtet. Der blockartige Gedenkstein trägt eine Pflanzschale und übereinander mehrere Inschriften: Oben die hebräische Inschrift "Der Allmächtige gedenke der Seele" (4), in der Mitte auf Deutsch "Denen, die unter der Herrschaft des Unmenschen ihr Leben lassen mussten zum ewigen Gedächtnis 1933-1945" und darunter abschließend auf Hebräisch "Möge die Seele im Bunde des ewigen Lebens aufgenommen sein." (5) Das Denkmal ist aus Muschelkalkquadern gefügt, die von der bis 1958 abgebrochenen Ruine der Gemeindesynagoge an der Fasanenstraße stammen. Umgebend sind weitere Gedenksteine von Überlebenden der Shoa für ihre ermordeten Angehörigen gesetzt worden. 1984 wurde zudem vor dem Mahnmal eine Ascheurne aus dem Vernichtungslager Auschwitz beigesetzt. An die wiederholt von Vertreibung und Neubeginn geprägte jüdische Geschichte Berlins erinnern in der Nähe zwei mittelalterliche Grabsteine des 13. Jahrhunderts. Sie wurden 1955 bei archäologischen Untersuchungen auf der Zitadelle Spandau geborgen und stammen vom sog. "Judenkiewer", dem 1510 zerstörten mittelalterlichen jüdischen Friedhof in Spandau. Im Umfeld der beiden Steine wurden Thorarollen und Kultgegenstände zerstörter Berliner Synagogen beigesetzt. 1966 und 1979 erfolgten jeweils Friedhofserweiterungen. (6) Als Bestattungsort der jüdischen Gemeinde Westberlins ist der Friedhof ein einmaliges Dokument für den Neubeginn jüdischen Gemeindelebens nach der Shoa in Berlin. Bedeutende Persönlichkeiten sind hier bestattet, darunter der Vorsitzende der jüdische Gemeinde Heinz Galinksi, der Fernsehmoderator Hans Rosenthal und der Fotograf Abraham Pisarek. Wiederholt erschüttern Anschläge auf Grabstätten das Gemeindeleben, so zuletzt 1998 und 2002.


(1) Bauakten BWA-Charlottenburg, Heerstraße 141, Band 1-4; Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin, Stadt und Bezirk Charlottenburg, bearb. von Irmgard Wirth, Text- u. Tafelband, Berlin 1961, S. 482-483; Wirth, Irmgard (Hrsg.): Leistung und Schicksal. 300 Jahre Jüdische Gemeinde zu Berlin, Berlin 1971, S. 11, S. 26; Ribbe, Wolfgang (Hrsg.): Von der Residenz zur City - 275 Jahre Charlottenburg, Berlin 1980, S. 219; Architekten- und Ingenieur-Verein zu Berlin (Hrsg.): Berlin und seine Bauten, Teil X, Bd. A (3), Bestattungswesen, Berlin-München 1981, S. 47, S. 90; Remmlinger, Sophie/Hofmann, Klaus (Hrsg.): Hermann Zvi Guttmann. Vom Tempel zum Gemeindezentrum. Synagogen im Nachkriegsdeutschland, Frankfurt 1989; Etzold, Alfred/Fait, Joachim/Kirchner, Peter/Knobloch, Heinz: Die jüdischen Friedhöfe in Berlin, Berlin 1991, S. 151-156; Hammer/Nagel 1994, S. 166-167; Jochens, Birgit/May, Herbert: Die Friedhöfe in Berlin-Charlottenburg. Geschichte der Friedhofsanlagen und deren Grabmalkultur, Berlin 1994, S. 89-92, S. 165-168, S. 244-247; Hammer, Klaus: Friedhofsführer Berlin. Historische Friedhöfe und Grabmale in Kirchenräumen, Berlin 2001, S. 196-198; Nitsch, Ute: Charlottenburg-Wilmersdorf von A bis Z, Ein Lexikon, hrsg. v. Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf, Berlin 2003, S. 132.

(2) Hermann Zvi Guttmann, 1917-1977: Guttmann stammte aus einer streng gläubigen jüdischen Familie in Österreich-Ungarn und nahm 1938 zunächst das Studium der Philosophie und Germanistik in Krakau auf. Mit dem deutschen Überfall auf Polen floh er in das sowjetisch besetzte Lemberg, wo er mit dem Architekturstudium begann, im August 1941 jedoch in ein sibirisches Arbeitslager deportiert wurde. Da ihm eine Ausreise als displaced person aus Pocking 1946 versagt wurde, nahm er 1948 erneut ein Architekturstudium in München auf, das er 1950/51 abschloss. Bis zu seinem Tod 1977 schuf er in Deutschland mehrere jüdische Gemeindezentren und Trauerhallen und war damit maßgeblich an der Etablierung jüdischer Gemeinden in Nachkriegsdeutschland beteiligt.

(3) Bauakte BWA-Charlottenburg, Heerstraße 141, Band 1, fol. 90.

(4) Übersetzung ins Deutsche nach: Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin, Stadt und Bezirk Charlottenburg, bearb. von Irmgard Wirth, Text- u. Tafelband, Berlin 1961, S. 483.

(5) Übersetzung ins Deutsche ebenfalls nach: Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin, Stadt und Bezirk Charlottenburg, bearb. von Irmgard Wirth, Text- u. Tafelband, Berlin 1961, S. 483.

(6) Bauakte BWA-Charlottenburg, Heerstraße 141, Band 4, fol. 16.

Literatur:

  • Inventar Charlottenburg, 1961 / Seite 482 f.

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Juliane Stamm
Landesdenkmalamt Berlin
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