Denkmaldatenbank

Maria-Regina-Martyrum-Kirche mit Glockenturm und Vorplatz

Obj.-Dok.-Nr. 09096195
Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf
Ortsteil Charlottenburg-Nord
Adressen Heckerdamm 230
Denkmalart Gesamtanlage
Sachbegriff Kirche kath. & Glockenturm & Platzanlage
Datierung 1960-1963
Entwurf Schädel, Hans & Ebert, Friedrich (Architekt)
Bauherr Bischöfliches Ordinariat Berlin

Unweit der Gedenkstätte Plötzensee liegen am Heckerdamm zwischen Kleingärten und Paul-Hertz-Siedlung zwei Gedenkorte der katholischen und der evangelischen Kirche, die ebenfalls der Erinnerung an die Opfer der NS-Diktatur gewidmet sind. Hier überrascht ein mächtiger Campanile, der den Straßenraum dominiert. Der Glockenturm gehört zu einer Inkunabel des modernen Kirchenbaus nach 1945, die weit über die Grenzen Deutschlands Würdigung erlangte. Die Katholische Maria-Regina-Martyrum-Kirche, Heckerdamm 230 (1), entstand 1960-63 nach Plänen des Würzburger Dom- und Diözesanbaumeisters Hans Schädel und Friedrich Ebert, ebenfalls Architekt aus Würzburg. (2) Maria Regina Martyrum, gewidmet der Maria als Königin der Märtyrer, ist die zentrale Gedächtniskirche der deutschen Katholiken zu Ehren der Blutzeugen für Glaubens- und Gewissensfreiheit in den Jahren 1933 bis 1945. Hans Schädel, der in der modernen Sakralarchitektur Maßstäbe gesetzt hat, konzipierte einen Kirchenkomplex, der ganz auf zurückgezogenes, stilles Gedenken hin gerichtet ist. Dabei ist eine höchst modern wirkende Architektur entstanden, die in ihrer spirituellen Strenge für ein katholisches Kirchengebäude geradezu asketisch erscheint und deren meditativer Wirkung man sich nicht entziehen kann. Schädel entwarf ein von einer hohen Betonmauer umfriedetes Rechteck, das mit einer weiteren Mauer in zwei Bereiche unterschiedlicher Breite unterteilt wird: Auf dem schmaleren Teil entstand ein Pfarrbezirk, auf dem breiten Teil dominiert der weit von der Straße zurückgesetzte Kirchenbau einen großen Feierhof. Die Gedenkkirche wurde zunächst auch als Pfarrkirche der örtlichen Gemeinde genutzt. 1984 verlor sie diese Funktion als anstelle der Pfarrei ein Kloster der Karmeliterinnen aus Dachau entstand, die den Gedenkort fortan unterhielten. Das hohe Gemeindehaus am Heckerdamm wurde zu einem Besucherhaus umgebaut und in den Klosterbereich einbezogen, während der dahinterliegende Flachtrakt für Pfarrer- und Schwesternwohnungen und Kindertagesstätte für die Klosteranlage abgebrochen wurde.

Die Ähnlichkeit der räumlichen Aufteilung der Gesamtanlage mit der eines Konzentrationslagers ist auffallend. Dies wird besonders bedrückend erfahrbar, wenn man durch den Glockenturm in den Kirchenbereich eintritt. Vor dem Besucher weitet sich ein großer ummauerter, leicht abgetreppter Feierhof, der zusammen mit dem Glockenträger Assoziationen an einen Appellplatz mit Wachtturm weckt. Erst in 50 Meter Entfernung ragt querliegend der wuchtige Kirchenbau auf. Der Hof selbst, der bis zu 10.000 Menschen fassen kann, ist eine schlichte kopfsteingepflasterte Fläche. Hier hat der Bildhauer Otto Herbert Hajek vor der mit schwarz-grauen Basaltkieselplatten verkleideten östlichen Mauerwand einen in Bronze gegossenen Kreuzweg geschaffen, der Gedanken an Leiden und Tod nahe legt. Dargestellt sind sieben Gruppen, die "in Verbindung abstrakter, fast architektonischer Elemente, wie Balken, Stege, Gitterwege mit figürlicher Darstellung" Kreuzweg-Stationen nachvollziehen. "In der Lager-Assoziation könnten sie den Todeszaun darstellen. (3)

Am Ende des Kreuzwegs erhebt sich gleichsam schwebend die Oberkirche. Sie ist gelagert auf zwei dunklen Wandscheiben und der östlichen Umfassungsmauer, zwischen denen das gläserne Eingangsportal und der ebenfalls von Hajek entworfene Freialtar für kirchliche Großveranstaltungen im Feierhof sich befinden. Zwei mächtige mit hell leuchtenden Carraramarmor-Kieseln verkleidete Wandscheiben umspannen den Kubus des Kirchenschiffs. Die fensterlose, strahlend weiße Wand bildet einen starken Kontrast zum düsteren Feierhof. Mit dieser Ebene, dem Himmel ein Stück näher, wird Erlösung versprochen. So trägt sie über dem Eingang die in Gold gefasste abstrahierte Plastik "Das Apokalyptische Weib und die sieben Schlangen" des Bildhauers Fritz Koenig, die das Erlösungsversprechen in der Katastrophe bildhaft symbolisiert.

Die Kirche, ein zweigeschossiger Längsbau, gliedert sich in die Oberkirche und die um zwei Stufen abgesenkte Unterkirche, die Krypta. In der Eingangsachse liegend, zeichnet sie sich rückwärtig als eigenständige Gedenkkapelle ab. Ursprünglich war sie ein ungeteilter Raum, bevor man sie Mitte der 1980er Jahre verlängerte (4) und mit einer frei stehenden goldfarbenen Trennwand in einen Gedenkraum und eine Andachtskapelle der Schwestern des Klosters der Karmelitinnen unterteilte. In Gedenken an die vielen getöteten Menschen, die aus christlichen Motiven ihr Leben für die Glaubens- und Gewissensfreiheit eingesetzt hatten, versammeln sich hier täglich Schwestern zum Gebet. Stellvertretend werden im als flache Grablege gestalteten Gedenkraum an vier Opfer des Nationalsozialismus namentlich erinnert: Erich Klausener, der Vorsitzende der Katholischen Aktion in Berlin, dessen Urnengrab sich auch hier befindet, der Berliner Dompropst Bernhard Lichtenberg, der Jesuitenpater Alfred Delp und der Protestant Helmuth James Graf von Moltke. Vor der Goldwand verkörpert eine bronzene Pietà, ebenfalls von Fritz König geschaffen, das Thema der Trauer und des Gedenkens mit der Inschrift zu ihren Füßen: Allen Blutzeugen, denen das Grab verweigert wurde. Allen Blutzeugen, deren Gräber unbekannt sind.

Von der Eingangshalle führt eine offene Treppe in die Oberkirche, zunächst zu einer kleinen Taufkapelle mit der Sakristei, dann rechts in den weiten, stützenfreien Kirchenraum. Von ihm geht eine ungemein kontemplative Wirkung aus. Sichtbeton der Stahlbetonkonstruktion, noch die Spuren der Holzverschalung als rhythmische Muster zeigend, und helles Holz prägen die Ästhetik des fensterlosen, von Betonwänden eingefassten tiefen Raums. Raumbestimmend ist das Licht, das auf indirekte Weise durch Lichtbänder über die eingehängte Holzdecke und zuseiten der Stirnwände eindringt. "Die Lichtführung ist von so prägender Schönheit und Eigenwilligkeit, dass alle Materialien, Flächen und Körper von ihr Leben und Farbe erhalten." (5) So auch das monumentale farbige Wandbild von Georg Meistermann, das als Höhepunkt des Kirchenraums die ganze 123 Quadratmeter große Altarwand einnimmt. Es stellt abstrahierend in dynamisch bewegten Formen ein Werk zur Apokalypse des Johannes dar. Zugleich ist es symbolischer Abschluss und Hinweis: Es schließt den Kirchenraum nach Osten zur aufgehenden Sonne ab und ist ausgerichtet auf die Gedenkstätte Plötzensee, die etwa 1,5 Kilometer östlich der Kirche liegt. Gegenüber dem Altar schließt die von schmalen Betonpfeilern gestützte Orgel- und Sängerempore mit dem Orgelprospekt den Kirchenraum. Zur künstlerischen Ausstattung gehören eine im Altarbereich aufgestellte hölzerne Madonna, die wohl aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts stammt. Sie bildet einen wirkungsvollen Kontrast zur moderner Betonbaukunst der Kirche, die hier mit einem Taufstein und Tabernakel von Fritz Koenig passend ergänzt wurde. So bilden "Konstruktion und Form, Materialität und Oberflächen, Licht und Farbigkeit der Architektur eine kongeniale ästhetische wie ikonographische Einheit mit den Skulpturen und Bildern. (6)

Das benachbarte ehemalige Gemeindehaus setzt mit seiner kantigen klaren Scheibenform und der markanten Betonlamellenfassade einen wirkungsvollen architektonischen wie städtebaulichen Akzent in der Komposition des Kirchenkomplexes. Seit dem Umbau 1983-84 durch Theo Wieland, der auch das dahinterliegende Karmel-Kloster anstelle des abgebrochenen Flachtrakts der Pfarrei entwarf, wird der dreigeschossige Bau als Besucherhaus des Klosters genutzt. Der Umbau schuf im Inneren umfassende Veränderungen, verschonte aber das Äußere mit der charakteristischen beidseitigen Betonlamellenverkleidung. Die vertikalen Lamellen vor der Stahl-Glasfassade des Gemeindesaales sollten neben ästhetischen Überlegungen vor direkter Sonneneinstrahlung schützen. Ursprünglich nahm dahinter ein zweigeschossiger Gemeindesaal die beiden oberen Etagen ein, während im Erdgeschoss Gruppenräume und Pfarrbibliothek neben der Eingangshalle mit der Treppenanlage lagen. Durch den Einzug einer Zwischendecke im Saal wurden Räume für Gästezimmer geschaffen. Zur Erschließung der umgestalteten oberen Etagen entstand vor der Straßenfassade ein freistehender Treppenturm mit Übergängen. (7)

Der Charlottenburger Karmel Regina Martyrum wurde 1982 von den Unbeschuhten Karmelitinnen des Karmels Heilig Blut in Dachau gegründet. "Wie in Dachau wollen die Schwestern hier in der Nähe der ehemaligen Hinrichtungsstätte Plötzensee durch ein Leben des Gebetes und der Fürbitte angesichts von Leid und Schuld der Vergangenheit und Gegenwart, (...) ein Zeichen der Hoffnung geben, die in Christus gründet." (8) Theo Wieland schuf einen zweiflügeligen dreigeschossig terrassierten Wohnkomplex, verbunden mit einem eingeschossigen Gemeinschaftshaus, das an das frühere Gemeindehaus rückwärtig anschließt. So bilden identitätsstiftend Kirche, Turm und das Kloster mit dem umgestalteten Gemeindehaus, zwischen denen der weite Feierhof eingespannt ist, ein kirchliches Zentrum, das den Gedenkcharakter des Ortes eindrücklich Geltung verleiht.


(1) Gedächtniskirche der deutschen Katholiken Maria Regina Martyrum, zu Ehren der Blutzeugen für Glaubens- und Gewissensfreiheit in den Jahren 1933-1945. Berlin 1963; Maria Regina Martyrum Berlin-Charlottenburg. Gedächtniskirche der deutschen Katholiken zu Ehren der Blutzeugen für Glaubens- und Gewissensfreiheit in den Jahren 1933-1945. Berlin 1965; DBZ 100 (1966), S. 172 f.; Die Bauverwaltung 10 (1963), S. 510 f.; Streicher, Gerhard/Drave, Erika: Berlin, Stadt und Kirche, Berlin 1980, S. 266 f.; Smith, Maria Theresia: Maria Regina Martyrum Berlin-Charlottenburg, München/Zürich 1988; Kahle 1990, S. 103, 142, 176, 178; Lange, Christian: Zum Werk von Hans Schädel, Weimar 1995, S. 199-211; Architekten- und Ingenieur-Verein zu Berlin (Hrsg.): Berlin und seine Bauten, Teil VI, Sakralbauten, Berlin 1997, S. 239, 427; Endlich, Stefanie: Wege zur Erinnerung. Gedenkstätten und -orte für die Opfer des Nationalsozialismus in Berlin und Brandenburg. Berlin 2007, S. 35-40; Gedenkkirche Maria Regina Martyrum Berlin, hrsg. v. Franz Pfeiffer im Auftrag des Erzbistums Berlin, Lindenberg 2013; Jesuiten 2013, H. 1, Die Sprache der Steine; Flösch, Karl-Philipp Maria: Nichts erschrecke Dich! Leben an Leid-geprägten Orten am Beispiel des Karmel Regina Martyrum Berlin, Nordhausen 2013.

(2) Der ausgeführte Entwurf ist das Ergebnis eines 1957 vom Bischöflichen Ordinariat ausgeschriebenen Wettbewerbs. Aufgefordert waren neben Hans Schädel Reinhold Hofbauer, Willy Kreuer und Rudolf Schwarz. Die örtliche Bauleitung hatte Hermann Jünemann, Baudirektor des Bischöflichen Bauamts Berlin, theologische und künstlerische Beratung durch P. Urban Rapp aus der Abtei Münsterschwarzach.

(3) Endlich, Stefanie: Gedenkstätten in Berlin. In: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus, Eine Dokumentation, Bonn 1999, S. 38.

(4) Für die tägliche Heilige Messe und das Chorgebet der Schwestern des benachbarten Karmel-Klosters wurde die Krypta nach Norden um einen Kapellenraum erweitert.

(5) Rapp, Urban: Die Gedenkstätte und Pfarrkirche Maria Regina Martyrum. In: Gedächtniskirche der deutschen Katholiken Maria Regina Martyrum, zu Ehren der Blutzeugen für Glaubens- und Gewissensfreiheit in den Jahren 1933-1945, Berlin 1963, S. 49.

(6) Schulz, Sibylle/Lütjohann, Maria: Maria Regina Martyrum, Katholische Gedächtniskirche, Faltblatt des Landesdenkmalamtes Berlin, Erkennen und Erhalten in Berlin, 2008, Nr. 19, hrsg. v. Erzbischöflichen Ordinariat Berlin.

(7) 2005 wurde die Eingangssituation vom Heckerdamm her umgestaltet. Es entstanden eine neue Außentreppenanlage mit Behinderten-Rampe sowie ein separater Eingang des Klosterladens. 2010 schuf Gernot Candolini im Vorgarten ein begehbares Labyrinth.

(8) Gedenkkirche Maria Regina Martyrum, Zu Ehren der Märtyrer für Glaubens- und Gewissensfreiheit, hrsg. v. Franz Pfeiffer, im Auftrag des Erzbistums Berlin, Lindenberg/Allgäu 2013, S. 55.

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Landesdenkmalamt Berlin
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