Denkmaldatenbank

Motivhaus (heute Renaissance-Theater)

Obj.-Dok.-Nr. 09096186
Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf
Ortsteil Charlottenburg
Adressen Hardenbergstraße 6

Knesebeckstraße 100
Denkmalart Baudenkmal
Sachbegriff Vereinshaus
Datierung 1901-1902
Umbau 1919
Umbau 1925-1927
Umbau 1936-1938
Entwurf Berlich, Otto (Architekt)
Entwurf Kaufmann, Oskar (Architekt)
Entwurf Bechler, Ernst
Bauherr Böckmann
Entwurf Reimer und Körte (Architekt)
Ausführung AG für Bauausführungen (Baugeschäft)
Ausführung R. Adam (Bauunternehmen)
Ausführung Carl Marschalleck
Bauherr Motivhaus-AG

Auf dem spitzwinkligen Grundstück zwischen Hardenbergstraße und Knesebeckstraße hat sich mit dem Renaissance-Theater einer der spektakulärsten Theaterräume der 1920er Jahre erhalten. Das Eckgebäude Hardenbergstraße 6, Knesebeckstraße 100, war 1901-02 vom Akademischen Verein Motiv, einer Studenten-Verbindung der Königlichen Bauakademie, als Vereinshaus, das so genannte Motivhaus, nach Entwurf der Architekten Konrad Reimer und Friedrich Körte errichten worden. (1) Bis zum Zweiten Weltkrieg wurde es mehrfach umgebaut: Der Nutzung als Vereinshaus folgte 1919 der Einbau eines Kinos im Erdgeschoss, das der Architekt Oskar Kaufmann 1926-27 in das Renaissance-Theater verwandelte und das weitgehend unverändert erhalten ist. (2) 1936-37 wurden die Fassaden stark vereinfacht und die Geschosse über dem Theater von Ernst Bechler für Büros der Reichsschrifttumskammer und der Wehrmachtsverwaltung ausgebaut. (3) Heute ist das Renaissance-Theater, das in dem grau verputzten Bürogebäude durch seinen runden Vorbau mit schmalen, blau verglasten Eingangstüren und einer Leuchtschrift vor allem in der Dunkelheit auf sich aufmerksam macht, ein bedeutender Bestandteil in der Berliner Theaterlandschaft. (4)

Von Anfang an war das Motivhaus als multifunktionaler Komplex mit Restaurants und Festräumen geplant, die vermietet werden sollten, um zur Finanzierung beizutragen. Das Konzept ging langfristig nicht auf und der Verein musste 1914 das viergeschossige Gebäude, das mit einem großzügigen Raumprogramm, der guten Lage im vornehmen Hochschulviertel und einer repräsentativen Gestaltung hohe Kosten verursacht hatte, verkaufen. 1919 ließ der neue Eigentümer ein Kino einbauen, die Decke über der Gastwirtschaft im Erdgeschoss an der Knesebeckstraße herausreißen und die großen Fensteröffnungen schließen; 1922 wurde ein Erker an der Straßenecke zum Eingang ausgebaut. (5) Diesen Kinosaal übernahm 1922 der Schriftsteller und Dramatiker Theodor Tagger und gründete hier das Renaissance-Theater. (6) Den Auftrag, den provisorisch genutzten Kinosaal zum Theater umzubauen, erhielt der bereits als Theaterarchitekt bekannte Oskar Kaufmann Mitte 1926. (7) In nur fünf Monaten Bauzeit fügte Kaufmann mit größtem Geschick in die beiden unteren Geschosse des schwierig geschnittenen Eckgebäudes einen großzügigen Zuschauerraum mit Rangempore, eine kleine Bühne sowie Foyers und Wandelgänge ein. Während er die oberen Geschosse sowie die Grundstruktur und das Äußere des Hauses, mit Ausnahme eines am Abend hell erleuchteten Vorbaus für Eingangs- und Kassenbereich, unangetastet ließ, zündete er im Inneren ein wahres Feuerwerk an Formen und Farben. Die Foyers und Wandelgänge mit gerundeten Wänden, die den unsymmetrischen Grundriss verschleiern, sind mit intensiven Farben (gelb, weinrot, zartrosa, grün) sowie mit Stuck und schmiedeeisernen Gittern und Geländern in verspielten, dem Repertoire des Neorokoko und des Expressionismus entlehnten Formen gestaltet. Der Zuschauerraum, nur an einer Seite verbreitert, wurde vollständig mit rötlichem Rosenholz ausgekleidet, wobei die gesamte Rückwand des ersten Ranges mit Intarsien nach Entwurf des Künstlers César Klein dekoriert ist. Einlagen aus farbigen Hölzern, Schildpatt, Perlmutt, Achat und silbrig schimmerndem Zinn zeigen Motive und Figuren aus der Commedia dell'arte. Die grandiose Gestaltung des Theaterraums, sein intimer Charakter und die gute Akustik ("wie in einer großen Violine") verleiteten schon Zeitgenossen zu enthusiastischen Lobeshymnen. (8)


(1) db 34 (1900), S. 373 f.; db 35 (1901), S. 103, 248, 472, 515, 588; ZdB 22 (1902), S. 581-584, 587; db 37 (1903) 19, S. 121 f., T. 19; BAW 5 (1903), S. 421 f.; Unser Motivhaus, Jahresbericht des AV Motiv 1904, Berlin 1905; Architektur und Schaufenster 24 (1927) 12, S. 7; Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin, Stadt und Bezirk Charlottenburg, bearb. von Irmgard Wirth, Text- u. Tafelband, Berlin 1961, S. 319 f.; Kieslich, Gerhard, 125 Jahre Akademischer Verein Motiv, Berlin 1972; Architekten- und Ingenieur-Verein zu Berlin (Hrsg.): Berlin und seine Bauten, Teil VIII, Bauten für Handel und Gewerbe, Bd. B, Gastgewerbe, Berlin 1980, S. 147. Die Standortwahl für das Motivhaus ergab sich daraus, dass viele Vereinsmitglieder an der nahe gelegenen Technischen Hochschule Charlottenburg studierten; auch die Architekten Konrad Reimer und Friedrich Körte waren "Alte Herren" der Vereinigung Motiv.

(2) Innendekoration 38 (1927) H. 8, S. 298-304; Hajos, Elisabeth M./Zahn, Leopold: Berliner Architektur der Nachkriegszeit, Berlin 1928, S. 24; db 62 (1928) 91, S. 91; Der Stahlbau 1 (1928), S. 173-176, 190 f.; Bie, Oskar: Der Architekt Oskar Kaufmann, Berlin 1928, S. IX, Abb. 105, 106 u., 112; Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin, Stadt und Bezirk Charlottenburg, bearb. von Irmgard Wirth, Text- u. Tafelband, Berlin 1961, S. 319-322, Abb. 374-377; Architekten- und Ingenieur-Verein zu Berlin (Hrsg.): Berlin und seine Bauten, Teil V, Bd. A, Bauten für die Kunst, Berlin-München 1983, S. 85 f., 122 f.; Ribbe, Wolfgang/Schäche, Wolfgang (Hrsg.): Baumeister, Architekten, Stadtplaner; Biographien zur baulichen Entwicklung Berlins, Berlin 1987, S. 630; Warhaftig, Myra: Sie legten den Grundstein. Leben und Wirken deutschsprachiger jüdischer Architekten in Palästina 1918-1948. Tübingen/Berlin 1996, S. 164-166; Klemmer, Klemens: Jüdische Baumeister in Deutschland, Architektur vor der Shoah, Stuttgart 1998, S. 254 f.; Berents, Catharina: Art Déco in Deutschland, Das moderne Ornament (Werkbund-Archiv, Bd. 27), Frankfurt/M. 1998, S. 67 f.; Hansen, Antje: Oskar Kaufmann (Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin, Beiheft 28, hrsg. v. Landesdenkmalamt Berlin) Berlin 2001, S. 254-360; Recknagel, Steffi: Das Renaissance-Theater, Berlin 2002.

(3) Die Reichsschrifttumskammer diente den Nationalsozialisten zur Kontrolle u.a. des Verlagswesens, der Bibliothekare und der Autoren. Als berufsständische Organisation mit Zwangsmitgliedschaft konnte sie über den Ausschluss Berufsverbote ausgesprochen werden. Vgl. Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin, Stadt und Bezirk Charlottenburg, bearb. von Irmgard Wirth, Text- u. Tafelband, Berlin 1961, S. 319; Wikipedia, Stichwort "Reichsschrifttumskammer".

(4) Im Zweiten Weltkrieg kaum beschädigt, wurde das Renaissance-Theater im Juli 1946 wiedereröffnet und das Gebäude bis 1953 schrittweise instandgesetzt. 1984 wurden bei umfassenden Restaurierungsmaßnahmen der Originalzustand der Eingangshalle mitsamt der blauen Verglasung der fünf Lanzettfenster durch die Künstlerin Hella Santarossa wiederhergestellt, ab 1995 auch die Foyers und Wandelgänge sowie der Zuschauerraum denkmalgerecht restauriert. Vgl. Hansen, Antje: Oskar Kaufmann (Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin, Beiheft 28, hrsg. v. Landesdenkmalamt Berlin) Berlin 2001, S. 356.

(5) Der zweigeschossige Kinosaal wurde 1919 von Otto Berlich eingebaut, die Neugestaltung und der Anbau für den Eingang an der Ecke 1921 von A. v. Goedecke. Im Ersten Weltkrieg hatte das Motivhaus unter anderem als Lazarett gedient.

(6) Theodor Tagger (1891-1958), in Sofia/Bulgarien geboren und in Wien aufgewachsen, Schriftsteller und Lyriker, gab die Leitung des Renaissance-Theaters 1927 an Gustav Hartung ab. Ab 1928 veröffentlichte er Stücke und Texte unter dem Pseudonym Ferdinand Bruckner. Vgl. Wikipedia, Stichwort "Ferdinand Bruckner".

(7) Oskar Kaufmann (1873-1956), in Ungarn geboren, jüdischer Abstammung, Studium in Budapest und Karlsruhe, Abschluss 1899, danach in Berlin zunächst im Büro von Bernhard Sehring tätig, ab 1905 eigenes Büro. Bauten in Berlin u.a.: Hebbeltheater (1906-08), Volksbühne (19010-14), Umbau Krolloper (1920-29), Theater am Kurfürstendamm (1921-31). Vgl. Hansen, Antje: Oskar Kaufmann. In: Baumeister, Ingenieure, Gartenarchitekten, hrsg. v. J. Hänsel, J. Haspel, Chr. Salge, K. Wittmann-Englert, Berlin 2016, S. 243-257.

(8) Osborn, Max: Das Renaissance-Theater in Berlin. In: Innendekoration 38 (1927), H. 8, S. 299 f.

Literatur:

  • BusB VIII B 1980 / Seite 147
  • Berliner Architekturwelt 5 (1903) / Seite 421
  • BusB V A 1983 / Seite 122
  • Hajos/Zahn: Berliner Architektur, 1928 / Seite 24
  • Architektur und Schaufenster 24 (1927) 12 / Seite 7
  • Deutsche Bauzeitung 62 (1928) 91 / Seite 91
  • Der Stahlbau 1 (1928) / Seite 173-176, 190f.
  • Deutsche Bauzeitung 34 (1900) / Seite 373f.,
  • Deutsche Bauzeitung 35 (1901) / Seite 103, 248, 472, 515, 588
  • Deutsche Bauzeitung 37 (1903) 19 / Seite 121f.
  • Zentralblatt der Bauverwaltung 22 (1902) / Seite 581-584, 587
  • Inventar Charlottenburg, 1961 / Seite 319-322
  • Ribbe, Wolfgang; Schäche, Wolfgang (Hg.): Baumeister, Architekten, Stadtplaner. Biografien zur baulichen Entwicklung Berlins, Berlin 1987 / Seite 630
  • Kieslich, Gerhard: 125 Jahre Akademischer Verein Motiv, Berlin 1972 / Seite .
  • Warhaftig, Myra: Sie legten den Grundstein. Leben und Wirken deutschsprachiger jüdischer Architekten in Palästina 1918-1948, Tübingen 1996 / Seite 164-166
  • Klemmer: Jüdische Baumeister in Deutschland, 1998 / Seite 254-255
  • Hansen, Antje: Oskar Kaufmann. Ein Theaterarchitekt zwischen Tradition und Moderne, Berlin 2001 / Seite .
  • Der Architekt Oskar Kaufmann, Berlin 1928 / Seite .
  • Unser Motivhaus, Jahresbericht des AV Motiv 1904, Berlin 1905 / Seite .
  • Deutsch Biographische Enzyklopädie, Bd. 5, München 1997 / Seite .

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