Denkmaldatenbank

Jüdisches Gemeindehaus mit Portal der ehem. Synagoge und Mahnsäule

Obj.-Dok.-Nr. 09096152
Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf
Ortsteil Charlottenburg
Adressen Fasanenstraße 79, 80
Denkmalart Baudenkmal
Sachbegriff Gemeindehaus & Portal & Mahnsäule
Datierung 1911-1912
Entwurf 1957
Fertigstellung 1959
Entwurf Hessel, Ehrenfried (Architekt)
Ausführung Hoeniger, Johann (Architekt)
Entwurf Knoblauch, Dieter & Heise, Heinz
Bauherr Landsberger
Bauherr Jüdische Gemeinde Berlin

Nach Norden angrenzend an die Villa Ilse steht weit von der Straße zurückgesetzt das Jüdische Gemeindehaus, Fasanenstraße 79-80, als sichtbares Zeichen der Wiederbelebung jüdischen Lebens in Berlin nach der NS-Diktatur. (1) Am Standort der 1938 zerstörten Charlottenburger Synagoge wurde der Neubau 1957-59 nach Entwurf der Essener Architekten Dieter Knoblauch und Heinz Heise errichtet. (2) Die Jüdische Gemeinde und das Land Berlin hatten sich nicht für einen Wiederaufbau der 1912 nach Entwurf von Ehrenfried Hessel fertig gestellten Synagoge entschieden, die zu den größten und bedeutendsten Berlins gehörte und bis 1957 als Ruine an dieser Stelle stand, sondern für ein zeitgemäßes und multifunktionales Gebäude, das als Jüdisches Kulturzentrum und Begegnungsstätte einen radikalen Neuanfang demonstrieren sollte. Dabei zugleich an die Geschichte des Ortes zu erinnern und an den Vorgängerbau anzuknüpfen, gelang sowohl durch die Einbindung erhaltener Bauteile als Spolien in den Neubau wie auch durch eine Gedenkstätte im Vorhof. (3) Von der alten, in neoromanischen, orientalisierenden Formen gestalteten Synagoge wurde das prachtvolle Portal vor die neue Eingangstür gestellt und je drei übereinanderstehende Säulenpaare vom Mittelrisalit sind zu einer "Mahnsäule" zusammengefügt, die vor der Nordseite der Straßenfront das zweigeschossige Gemeindehaus überragt.

Der Stahlbetonskelettbau besteht aus einem breit gelagerten Trakt mit moderner Rasterfassade parallel zur Fasanenstraße und dem im Obergeschoss "kastenartig durchgesteckten Bauteil des großen Saales" (4), dessen geschlossene Stirnwand die Straßenfront prägt. Mit Mosaiksteinen in Blau- und Grautönen verblendet, bildet die Wand den Hintergrund für das feingliedrige, überkuppelte Portal der zerstörten Synagoge aus hellem Muschelkalk. Auch innen stellt der Saal den gestalterischen Höhepunkt des Gebäudes dar, das mit Bibliothek, Unterrichts- und Clubräumen, Büros, Restaurant und einer Wohnung über ein vielfältiges und zweckmäßiges Raumangebot verfügt. (5) Der Große Festsaal, der für Veranstaltungen, aber auch als Betraum an hohen Feiertagen genutzt und durch den seitlich anschließenden Kleinen Saal vergrößert werden kann, nimmt mit drei flachen Glasbetonkuppeln als Oberlichter motivisch Bezug auf die drei mächtigen Kuppeln, die einst den Vorgängerbau beherrschten. In dem mit zwei Säulenreihen sowie Wand- und Bodenbelag in hellem Holz gestalteten Raum ist die Ostseite geschmückt mit einer Glaswand in Davidstern-Raster und einer zeltförmigen Holzverkleidung, mit der Thora-Schrein und Leuchter verdeckt werden können.


(1) Sellenthin, Hans-Gerd: Geschichte der Juden in Berlin und des Gebäudes Fasanenstraße 79/80, Festschrift anlässlich der Einweihung des Jüdischen Gemeindehauses, hrsg. v. der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Berlin 1959; Knoblauch, Dieter: Jüdisches Gemeindehaus Berlin, Fasanenstraße. In: Der Baumeister 58 (1961) 1, S. 96-100; Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin, Stadt und Bezirk Charlottenburg, bearb. von Irmgard Wirth, Text- u. Tafelband, Berlin 1961, S. 96-103; Zehn Jahre Jüdisches Gemeindehaus. Bilder, Plakate, Dokumente, Ausstellungskatalog, hrsg. v. der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Berlin 1969; Zivier, Huder: 300 Jahre Jüdische Gemeinde zu Berlin (Berliner Forum 8/1971), Berlin 1971; Ribbe, Wolfgang (Hrsg.): Von der Residenz zur City, 250 Jahre Charlottenburg, Berlin 1980, S. 214-224; Hammer-Schenk, Harold: Synagogen in Berlin, 2. Bde., Berlin 1983, S. 129-138; Reissig, Harald: Die Synagoge (1912-1958) und das Jüdische Gemeindehaus (seit 1959). In: Geschichtslandschaft Berlin, Orte und Ereignisse, Bd. 1, hrsg. v. Helmut Engel, Stefi Jersch-Wenzel, Wilhelm Treue, Charlottenburg, Teil 2, Der neue Westen, Berlin 1985, S. 410-423; Metzger, Karl-Heinz/Dunker, Ulrich: Der Kurfürstendamm, Leben und Mythos des Boulevards in 100 Jahren deutscher Geschichte, Berlin 1986, S. 92-95; Eschwege, Helmut: Die Synagoge in der Deutschen Geschichte: eine Dokumentation, Wiesbaden 1988, S. 316; Korn, Salomon: Synagogenarchitektur in Deutschland nach 1945. In: Die Architektur der Synagoge, Ausstellungskat. Frankfurt, hrsg. v. Hans Peter Schwarz, Stuttgart 1988, S. 287 ff., 300-302, 312 f.; Architekten- und Ingenieur-Verein zu Berlin (Hrsg.): Berlin und seine Bauten, Teil VI, Sakralbauten, Berlin 1997, S. 296-299 (Abb. 667-671), 309 f. (Abb. 686), 436, 439; Wörner, Martin/Mollenschott, Doris/Hüter, Karl-Heinz: Architekturführer Berlin, 6. Aufl., Berlin 2001, S. 166; Bongiorno, Biagia: Spolien im 20. Jahrhundert, Das Jüdische Gemeindehaus in Berlin. In: Das Münster (2007) 1, S. 52-56; Slevogt, Esther: Das Jüdische Gemeindehaus in der Fasanenstraße (Jüdische Miniaturen, Bd. 88), Berlin 2009; Baukunst der Nachkriegsmoderne, Architekturführer Berlin 1949-1979, hrsg. v. Adrian von Buttlar, Kerstin Wittmann-Englert, Gabi Dolff-Bonekämper, Berlin 2013., S. 19-20.

(2) Grundsteinlegung war am 10. November 1957, dem 19. Jahrestag des Pogroms von 1938, das Richtfest genau ein Jahr später am 10. November 1958. Eröffnet wurde das Haus am 27. September 1959. Vgl. Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin, Stadt und Bezirk Charlottenburg, bearb. von Irmgard Wirth, Text- u. Tafelband, Berlin 1961, S. 97 f.

(3) Eine Gedenkwand mit Davidstern und den Namen von 22 Ghettos und Konzentrationslagern sowie einer Schale mit ewigem Feuer befindet sich im Vorhof an der südlichen Grundstücksgrenze, die 1987 aufgestellte Skulptur von Richard Heß stellt eine stilisierte Thorarolle dar. Im Inneren des Hauses wurde die Eingangshalle mit Löwenköpfen aus der alten Synagoge geschmückt.

(4) Knoblauch, Dieter: Jüdisches Gemeindehaus Berlin, Fasanenstraße. In: Der Baumeister 58 (1961) 1, S. 96.

(5) Die Bibliothek war ursprünglich im Untergeschoss untergebracht, wurde aber 1986 nach einem Umbau durch den Architekten Harry May in den ehemaligen, nun verglasten Säulenhof an der Rückseite des Gebäudes verlegt. Bis 2006 war hier der Sitz der Jüdischen Gemeinde Berlin, heute wird das Gebäude für kulturelle Veranstaltungen, als Volkshochschule, Bibliothek und Seniorentreffpunkt genutzt.

Literatur:

  • Festschrift anläßlich der Einweihung des JüdischenGemeindehauses, hrsg. v. der Jüdischen Gemeinde zu Berlin,Berlin 1959Knoblauch/ Jüdisches Gemeindehaus Berlin, Fasanenstraße=Baumeister 58 (1961) 2 / Seite 96-100
  • Inventar Charlottenburg, 1961 / Seite 96-103
  • Zehn Jahre Jüdisches Gemeindehaus. Bilder - Plakate -Dokumente, Ausstellungskatalog, hrsg. v. der JüdischenGemeinde zu Berlin, Berlin 1969Zivier, Huder/ 300 Jahre Jüdische Gemeinde zu Berlin(=Berliner Forum 8/1971), Berlin 1971Von der Residenz zur City, 1 / Seite 214-224
  • Geschichtslandschaft, Charlottenburg 2, 1985 / Seite 410-423
  • Eschwege/ Die Synagoge, 1988 / Seite 316
  • Korn/ Synagogenarchitektur in Deutschland nach 1945 in
    Die Architektur der Synagoge, Ausstellungskatalog desDeutschen Architekturmuseums Frankfurt/M., hrsg, v.Hans-Peter Schwarz, Stuttgart 1988 / Seite 300-302, 312-313
  • Reissig/ Die Synagoge (1912-1958) und das JüdischeGemeindehaus (seit 1959) in
    Geschichtslandschaft, Charlottenburg 2, 1985 / Seite 410-423

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Juliane Stamm
Landesdenkmalamt Berlin
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