Denkmaldatenbank

Kath. Herz-Jesu-Kirche

Obj.-Dok.-Nr. 09096074
Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf
Ortsteil Charlottenburg
Adressen Alt-Lietzow 21
Denkmalart Baudenkmal
Sachbegriff Kirche kath.
Entwurf 1873
Datierung 1875-1877
Umbau 1883-1884
Umbau 1936
Entwurf Stier, Hubert Ludwig Oswald (Architekt)
Ausführung Gerhardt, Ernst (Maurermeister)
Ausführung Schöltz, Wilhelm (Bauunternehmer)
Entwurf Linder, Paul (Architekt)
Bauherr Kirchenvorstand der r. k. Gemeinde

Am westlichen Ende des ehemaligen Dorfangers in Alt-Lietzow bilden die roten Backsteinbauten einer Kirche und des zugehörigen Pfarrhauses einen optischen Abschluss, auch wenn sich beide nicht unmittelbar dem Platz zuwenden. Die Katholische Herz-Jesu-Kirche, Alt-Lietzow 21, wurde 1875-77 nach Plänen von Hubert Stier als turmlose dreischiffige Basilika mit kleinem Dachreiter in gotisierenden Formen ausgeführt, aber erst 1883-84 mit dem Anbau des Chores vollendet. (1) Nach leichten Kriegsschäden wurde das Gebäude 1945-50 von Heinz Köster ohne den Dachreiter instand gesetzt; es gehört heute zu den ältesten katholischen Kirchenbauten im Berliner Stadtgebiet. (2) Im Inneren wird der Raumeindruck durch eine von Paul Linder 1936-38 geleitete Umgestaltung bestimmt, bei der die Ausstattung des 19. Jahrhunderts stark vereinfacht sowie im Chorbereich Glasfenster und Wandmosaiken nach Entwurf des Künstlers Egbert Lammers neu geschaffen wurden. (3) Die im Krieg zerstörten Fenster konnten 1962 nach den erhaltenen Kartons erneuert werden. Bei Renovierungsarbeiten 1993-95 näherte man die Ausmalung der Deckengewölbe wieder der bauzeitlichen Fassung an. Auch die Ausstattung der Kirche stammt überwiegend aus den 1930er Jahren, nur das große Holzkruzifix entstand im 19. Jahrhundert. Im linken Seitenschiff ist ein inschriftlich auf 1587 datierter, farbig gefasster Taufstein aus Werkstein aufgestellt, der schon in der ersten Kapelle stand. (4) In der Herz-Jesu-Kirche wirkte von 1913 bis 1930 Bernhard Lichtenberg als Pfarrer; seit 2002 ehrt eine Gedenktafel neben dem Eingang den 1996 selig gesprochenen späteren Dompropst der Berliner St. Hedwigs-Kathedrale. (5)

Nachdem sich die katholische Gemeinde in Charlottenburg 1854 als Filiale der Berliner St. Hedwigs-Gemeinde gegründet und das Grundstück am Lietzower Dorfanger erworben hatte, ließ sie eine Kapelle, eine Schule und das Kloster der Schwestern Vom Guten Hirten errichten. (6) 1873 erhielt Hubert Stier den Auftrag, für die rasch gewachsene Gemeinde auf dem südlichen Teil der Parzelle einen größeren Kirchenneubau zu entwerfen, der an die vorhandenen Gebäude anschließen und sie zum Teil ersetzen sollte. Unter der Bedingung größter Sparsamkeit schuf der Architekt einen schlichten dreischiffigen Bau ohne Querhaus, der mit der Eingangsseite an der Straße steht und sich in Nord-Süd-Richtung erstreckt. Ein hohes, von Obergadenfenstern belichtetes Mittelschiff und niedrigere fensterlose Seitenschiffe bilden den Kirchenraum, der durch Bündelpfeiler und Sandsteinsäulen in drei Joche unterteilt und von Kreuzrippengewölben überspannt ist. Der später angefügte Chor mit einem ungewöhnlichen 4/6-Schluss sollte ursprünglich von mehreren Nebenräumen für das Kloster umgeben sein, ausgeführt wurde 1883-84 jedoch nur eine Sakristei an der Ostseite. Bei der Gestaltung des Äußeren wählte Hubert Stier für die geschlossenen Wände der Seitenschiffe, die durch kurze Strebepfeiler unterteilt sind, eine einfache Ziegelverblendung, für die Straßenfassade jedoch eine in Material und Dekor aufwendigere Ausführung. (7) Hier tritt das Mittelschiff als Eingangsrisalit leicht vor, das Spitzbogenportal ist mit Christusmedaillon, Säulengewände und Wimperg dekoriert und von einem großen, heute zugemauerten Radfenster und drei Spitzbogenfenstern überfangen. Medaillon sowie Kapitelle und Basen der Säulen sind in Sandstein gefertigt. Das westlich anschließende Gemeindezentrum wurde 1971 eingeweiht. (8)


(1) DBZ 11 (1877), S. 251 f.; Architekten-Verein zu Berlin u. Vereinigung Berliner Architekten (Hrsg.): Berlin und seine Bauten, Bd. II/III, Berlin 1896, S. 177 f.; Wilhelm Kraatz: Geschichte der Luisengemeinde zu Charlottenburg, Charlottenburg 1916, S. 159 ff.; Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin, Stadt und Bezirk Charlottenburg, bearb. von Irmgard Wirth, Text- u. Tafelband, Berlin 1961, S. 68-70; Streicher, Gerhard/Drave, Erika: Berlin, Stadt und Kirche, Berlin 1980, S. 260 f.; 125 Jahre Herz-Jesu-Kirche Charlottenburg, Festschrift, Berlin 2002; Architekten- und Ingenieur-Verein zu Berlin (Hrsg.): Berlin und seine Bauten, Teil VI, Sakralbauten, Berlin 1997, S. 107 f., 121, 368; Nitsch, Ute: Charlottenburg-Wilmersdorf von A bis Z, Ein Lexikon, hrsg. v. Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf, Berlin 2003, S. 121 f.; Hubert Stier (1838-1907) hatte an der Berliner Bauakademie studiert, war ab 1876 in Hannover tätig, wo er ab 1883 eine Professur inne hatte. Sein bekanntestes Bauwerk ist der Bahnhof von Hannover (1875-77), in Charlottenburg hatte er 1872-74 das Vergnügungslokal "Flora" (1902 abgebrochen) gebaut. Die Herz-Jesu-Kirche war sein erster Sakralbau. Vgl. Streicher/Drave 1980, S. 261; BusB VI, S. 121.

(2) Lange war die St. Hedwig-Kirche die einzige katholische Kirche im protestantischen Berliner Raum, erst Mitte des 19. Jahrhunderts kamen 1848 in Spandau die Marienkirche am Behnitz und 1868 in Schöneberg die ehemalige St. Matthias-Kirche (heute St. Ludgerus) an der Potsdamer Straße hinzu. Vgl. Streicher/Drave 1980, S. 340.

(3) Ausgeführt wurden die Arbeiten von der Firma "August Wagner, Vereinigte Werkstätten für Mosaik und Glasmalerei in Berlin", die aus der 1889 gegründeten Firma Puhl & Wagner hervorgegangen war. Nachdem 1935 der künstlerische Kopf des Unternehmens, Gottfried Heinersdorff, vom NS-Regime als Halbjude Berufsverbot erhalten hatte und 1937 nach Frankreich emigriert war, stattete August Wagner in den 1930er Jahren zahlreiche Staatsbauten aus. Vgl. Geisert, Helmut/Moortgat, Elisabeth: Wände aus farbigem Glas, Das Archiv der Vereinigten Werkstätten für Mosaik und Glasmalerei Puhl & Wagner, Gottfried Heinersdorff, Berlinische Galerie, Berlin 1989.

(4) Er stammt vermutlich aus einer protestantischen Kirche, Mitte des 19. Jahrhunderts wurde er im Garten der Brauerei Pfefferberg entdeckt, wo er als Blumenkübel diente. Vgl Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin, Stadt und Bezirk Charlottenburg, bearb. von Irmgard Wirth, Text- u. Tafelband, Berlin 1961, S. 70.

(5) Bernhard Lichtenberg (1875-1943) wurde 1932 zum Pfarrer und 1938 zum Dompropst der St. Hedwigs-Kathedrale berufen. 1941 wurde er wegen Widerstand gegen den Nationalsozialismus verhaftet und starb zwei Jahre später bei der Deportation in das KZ Dachau in Hof. Vgl. Knauft, Wolfgang: Lichtenberg, Bernhard. In: Neue Deutsche Biographie 14 (1985), S. 449.

(6) Die Kapelle war 1854-55 von Maurermeister Thiele und Zimmermeister Zeitler als erster katholischer Kirchenbau Charlottenburgs errichtet worden. Von den Schwestern des Münchner Ordens Vom Guten Hirten wurde 1858 eine "Rettungsanstalt für Gefallene Mädchen" eingerichtet, die zeitweilig als Krankenhaus und ab 1894 als Ausbildungsstätte für Gefängniswärterinnen betrieben wurde. Das Kloster zog 1905 von Charlottenburg nach Marienfelde. Das Gelände nördlich der Kirche wird heute von der Caritas als Generationen-Zentrum genutzt. Vgl. Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin, Stadt und Bezirk Charlottenburg, bearb. von Irmgard Wirth, Text- u. Tafelband, Berlin 1961, S. 68; Wikipedia, Stichwort "Kloster Vom Guten Hirten".

(7) Für die Verblendung der Seitenwände wurden Rathenower, für die Straßenfront dunkelrote Hansbacher Ziegel verwendet. Vgl. DBZ 11 (1877), S. 252.

(8) Dominiak, Günter: Gemeindezentrum Herz-Jesu, Charlottenburg. In: 125 Jahre Herz-Jesu-Kirche Charlottenburg, Festschrift, Berlin 2002, S. 64 f.

Literatur:

  • Inventar Charlottenburg, 1961 / Seite 68-70
  • Deutsche Bauzeitung 11 (1877) / Seite 251f.
  • Inventar der Bau- und Kunstdenkmäler Provinz Brandenburg, 1885 / Seite 289
  • BusB II/III 1896 / Seite 177f.
  • Kraatz, Wilhelm, Geschichte der Luisengemeinde zu Charlottenburg, Charlottenburg 1916 / Seite 159-161
  • 1858-1983. 125 Jahre Kirchengemeinde Herz Jesu Charlottenburg, Festschrift

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