Denkmaldatenbank

Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik und Astrophysik, Institutsgebäude mit Versuchsturm

Obj.-Dok.-Nr. 09085047
Bezirk Steglitz-Zehlendorf
Ortsteil Dahlem
Adressen Boltzmannstraße 18, 20
Denkmalart Baudenkmal
Sachbegriff Institutsgebäude & Bunker
Datierung 1935-1937
Entwurf Sattler, Carl
Ausführung Arnold Kuthe (Baugeschäft)
Bauherr Kaiser-Wilhlem-Gesellschaft

Alle vier ehemals zum Institut gehörenden Gebäude des früheren Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physik, Boltzmannstraße 18/20 (1), das Laborgebäude mit dem Hochspannungsturm, das Kältelabor und die Direktorenvilla, die 1935-37 nach Plänen des Architekten Carl Sattler errichtet wurden, sind erhalten. (2) Wenn sie auch heute bis auf den Hochspannungsturm von der Freien Universität andersartig genutzt werden, so geben sie doch Zeugnis für eine Phase äußerst dynamischer Entwicklungsprozesse in der Kernforschung. Bis in die Kriegszeit hinein war das zuletzt gebaute Institut der KWG in Dahlem Zentrum physikalischer Spitzenforschung in Deutschland. Hier wirkten die Nobelpreisträger Peter Debye, Max von Laue und Werner Heisenberg auf dem Gebiet der Molekular- und Atomphysik. (3) An diesem Ort fanden auch die ersten Großversuche Deutschlands zum Bau eines Uranbrenners, wie man damals einen Kernreaktor bezeichnete, statt, die, vom nationalsozialistischen Deutschland vereinnahmt, zu einer militärischen Nutzbarmachung führen sollten.

Bereits 1917 gegründet und bis 1932 von Albert Einstein (4) geleitet, bekam das Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik erst Mitte der 1930er Jahre dank der Vermittlung Otto Warburgs und der Finanzierung durch die amerikanische Rockefeller-Foundation ein eigenständiges Institutsgebäude. Bisher hatte es sich mit den Gebieten der Atomphysik, der Spektroskopie und der Quantentheorie vor allem theoretisch beschäftigt. Die neuen Aufgabenfelder kamen jedoch nicht ohne experimentelle Kontrolle und eine entsprechende apparative Ausstattung aus. Vor allem Materialuntersuchungen, die den Vorgängen bei Reaktionen zwischen Atomkernen und der Erzeugung künstlicher radioaktiver Elemente nachgehen sollten, traten in den 1930er Jahren in den Mittelpunkt der Forschung. Dafür waren sehr große elektrische Spannungen nötig. Außerdem arbeitete man mit tiefsten Temperaturen und nahm Strukturuntersuchungen mit Röntgenstrahlen vor. Dieses vielfältige Aufgabenspektrum erforderte differenzierte, voneinander getrennte bauliche Einrichtungen, die bis heute die Gestalt des Institutes prägen.

Haupteinrichtung des Instituts ist das Labor- und Werkstattgebäude längs der Boltzmannstraße. Auf das Raumprogramm, die technische Ausstattung und auch auf die äußere Gestaltung nahm Peter Debye, Direktor des Instituts 1934-40, wesentlichen Einfluss. Debye, der 1936 den Nobelpreis für Chemie erhalten hatte, beschäftigte sich unter anderem mit der Kernphysik, während sein Stellvertreter Max von Laue - Nobelpreis für Physik 1914 - die Beugung von Röntgenstrahlungen untersuchte. So spiegeln sich in der L-förmigen Bauform des Institutsgebäudes mit dem angrenzenden Hochspannungsturm die Raumerfordernisse der unterschiedlichen Forschungsfelder wider. Da die experimentellen Laboratorien erschütterungsfrei und lärmgeschützt separat untergebracht werden mussten, ergab sich zwangsläufig eine zweiflüglige Gruppierung. Im lang gestreckten zweigeschossigen Trakt nach Westen kamen die physikalischen Laboratorien unter, wobei sich im Erdgeschoss zusätzlich Räume für den Direktor und ein Kolloquiumssaal befanden. Der eingeschossige Nordflügel längs der Boltzmannstraße, der ein ausgebautes Dachgeschoss mit einer markanten tonnenförmigen Gaubenreihe zeigt, nahm vor allem Werkstätten sowie Dienstwohnungen auf.

Im Vergleich zu den früheren Dahlemer Instituten der KWG vermitteln die Fassaden etwas vom Zweck und vom inneren Aufbau der Forschungseinrichtung. Doch blieb Carl Sattler trotz der Versachlichung seiner Neigung zur süddeutschen Bauschule auch bei seinem letzten Berliner Institutsbau treu. Ein geschwungenes Walmdach, ein ehemals weiß geschlämmter Kratzputz und eine gleichförmige Fensterreihung sind die charakteristischen Merkmale. Einzig der im Gelenk liegende Haupteingang mit Treppenhaus ist repräsentativ mit Werksteinrahmung hervorgehoben. Hier weisen im Portalscheitel der Minervakopf als Signet der KWG sowie eine im Werksteingewände eingemeißelte Inschrift "Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik" auf die ursprüngliche Bestimmung des Hauses hin. Skurril erscheint die Eckbekrönung mit Zwiebeltürmchen, die sich Peter Debye, der ein Faible für die oberbayerische Baukultur hatte, eigens von Sattler gewünscht hatte. Nach dem Krieg demontierten die Sowjets die technischen Einrichtungen des Instituts. Kurz nach der Universitätsgründung bezogen 1949 das Physikalische und das Mathematische Institut der Freien Universität die Räumlichkeiten. Jetzt sind hier Teile des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften und das Archiv der FU untergebracht.

Der Labortrakt endet in einem mächtigen Rundturm - dem markantesten und wissenschaftsgeschichtlich wichtigsten Institutsbau. Der Turm und auch die angrenzende Bunkeranlage vergegenwärtigen ein bedeutendes Kapitel deutscher Atomforschung. Der fensterlose, 20 Meter hohe Turm nahm die von der Firma Siemens & Halske gelieferte Hochspannungsanlage für die kernphysikalischen Experimente von Debye und Heisenberg auf. Die sieben Meter hohe Versuchsanlage im geschossfreien Innenraum - ein so genannter Kaskadengenerator, der 2,8 Millionen Volt erzeugen konnte - wurde zur Untersuchung von Atomumwandlungsprozessen eingesetzt. In Deutschland gab es zur damaligen Zeit keine vergleichbare Anlage eines Teilchen-Beschleunigers. (5) Nach den mit diesem kernphysikalischen Großgerät gemachten Versuchen bekam der Bau seinen Namen "Turm der Blitze". Die Unterbringung eines Höchstspannungsraums für Versuche auf dem Gebiet der Molekular- und Atomphysik war technisch besonders schwierig umzusetzen. Die Intensität der dabei entstehenden Gamma-Strahlung verlangte als Strahlenschutz speziell dimensionierte Außenmauern. Um ihn in die Villenumgebung einzupassen, gab Carl Sattler ihm die Gestalt eines Wehr- oder Wasserturmes mit weiß geschlämmter Ziegelverkleidung, Lisenengliederung, Rundbogenblenden und flachem Pyramidendach. Allerdings entfernte man bereits während der Kriegszeit aus Gründen des Luftschutzes die weiße Schlämme, wodurch der Zusammenhalt mit dem ebenfalls weißen Laborgebäude verloren ging. Vom Labortrakt des Instituts war der Turmraum auf vier Ebenen über einen ellipsenförmigen Verbindungsbau mit balkonartigen Öffnungen - so genannten "Beobachtungskapseln" - zugänglich, von denen man die Versuche verfolgen konnte. Während des Zweiten Weltkrieges wurde das Institut - vor allem die Atomforschung mit dem Hochspannungslabor - dem Heereswaffenamt unterstellt. Unter der Leitung von Werner Heisenberg und Otto Hahn sollte erforscht werden, inwieweit sich die 1938 von Otto Hahn und Fritz Straßmann am Dahlemer KWG-Institut für Chemie entdeckte Kernspaltung für militärische Zwecke nutzen ließe. Da das so genannte "Uranprojekt" einer deutschen Atombombe keinen schnellen Erfolg zeitigte, bekam die KWG 1942 das Institut zurück. Für Heisenbergs folgende Versuche zum Bau eines Atomreaktors errichtete man 1943 am Fuße des Turms ein Bunkerlaboratorium in Stahlbeton-Skelettbauweise. (6) Dort gelang Heisenberg, der ab 1942 das Institut leitete, noch der Bau eines Modellreaktors. Dieser ging aber aufgrund des Krieges nicht in Betrieb und wurde dann nach Haigerloch in Württemberg verlagert. Hier setzte Heisenberg seine Versuche fort, wobei der Schwerwasserreaktor allerdings nicht kritisch wurde. Der Berliner Hochspannungsturm ist äußerlich unverändert erhalten. Das Innere - der Kaskadengenerator wurde schon nach dem Krieg demontiert - baute man 1999 für das Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft um, das im angrenzenden früheren Institut für Zellphysiologie von Otto Warburg seinen Sitz hat. Das dafür notwendige Stahlgerüst mit eingezogenen Ebenen ist so in den Turm eingestellt, dass der Raum in seiner ganzen Ausdehnung erlebbar bleibt. Das frühere Bunkerlaboratorium am Fußpunkt des Turmes nutzt heute das Archiv der Freien Universität Berlin.

Abgerückt vom Laborgebäude liegt mit der Giebelseite und dem alten Eingang zur Boltzmannstraße (Nr. 16) das ebenfalls 1935-37 erbaute Kältelaboratorium, in dem einst Temperaturen bis zu minus 270 Grad erzeugt werden konnten. Solche Versuche von Peter Debye zum Verhalten der Materie bei sehr tiefen Temperaturen waren bisher in Deutschland nicht durchgeführt worden und sie mussten wegen der Explosionsgefahr in einem separaten Gebäude stattfinden. Die basilikale Bauweise des Labors mit Oberlichtern war ebenfalls der Sicherheit geschuldet. Die oberen Fensterbänder sorgten für eine wirksame Durchlüftung während der Kälteerzeugung, da dabei neben Stickstoff und Helium auch der explosive Wasserstoff sukzessiv verflüssigt wurde. Nach 1945 diente das Laboratorium zunächst den Amerikanern als Kirche, dann ab 1951 als Hörsaalgebäude der Freien Universität. Sie ließ 1953 und 1959-61 das Gebäude für den Lehrbetrieb umbauen und auf der Westseite mit Erweiterungsbauten versehen.

Auch dieses letzte von der KWG vor dem Zweiten Weltkrieg gebaute Institut wurde nach dem "Harnack-Prinzip" geplant. Für den an die Spitze des Instituts berufenen bedeutenden Wissenschaftler wurden nicht nur ausgezeichnete Forschungsmöglichkeiten geschaffen, sondern für ihn wurde auch eine Direktorenvilla erbaut. Das Wohnhaus für Peter Debye entstand mit Garage, Schwimmbad und Garten im rückwärtigen Teil des Institutsgrundstücks, heute Harnackstraße 5. Carl Sattler schuf für die Direktorenfamilie ein Haus mit allem Komfort im von ihm und auch vom Hausherrn bevorzugten konservativen süddeutschen Baustil, ausgestattet mit ausgebautem Dachgeschoss unter dem Walmdach, Erker, Balkonen, Terrassen und Loggia. Traditionell umfasste das Erdgeschoss die Gesellschaftsräume mit einer Enfilade aus Ess-, Wohn- und Musikzimmer zur Gartenseite. In der oberen Etage befanden sich verschiedene Schlafzimmer mit Bädern für das Ehepaar Debye und ihren Sohn, während im Dachgeschoss noch Fremdenzimmer und Wirtschaftsräume für das Personal lagen. Debye bewohnte das Haus bis zu seiner Emigration in die USA 1939. Die in der äußeren Gestalt weitgehend erhaltende Villa ist nach Institutsaufgabe ab 1949 für die Nutzung durch die Freie Universität im Inneren verändert worden. (7) Heute sind hier zentrale Verwaltungseinrichtungen der Freien Universität untergebracht.

---------------------------------------------------------

(1) Lemmenich, Jost: Physik. In: Wissenschaften in Berlin 1987, Bd. 2, S. 50-55; Braun 1987, S. 86-88, 93 f.; Gill/Klenke 1993, S. 100-103; Villen, Rost- und Silberlauben 1993, S. 27 f.; Henning/Kazemi 1993, S. 125-134; Henning/Kazemi 2002, S. 221-236; Horst Kant, Albert Einstein, Max von Laue, Peter Debye und das Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik in Berlin (1917-1939). In: Die Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft und ihre Institute, Studien zu ihrer Geschichte, Das Harnack-Prinzip, hrsg. v. Bernhard vom Brocke und Hubert Laitko, Berlin-New York 1996, S. 227-262; BusB V B, S. 213 f., 310; Scherer 2007, Bd. 1, S. 222 f., Abb. 109-111; Bd. 2, Obj. 285, S. 382-387.

(2) Baudurchführung lag in den Händen von Georg Schrank von der Bauabteilung der KWG.

(3) Der Niederländer Peter Debye (1884-1966) erhielt 1936 den Nobelpreis für Chemie für seine Beiträge "zu unserer Kenntnis der Molekularstrukturen durch seine Forschungen über Dipolmomente" (Debye-Gleichung), über Beugung der Röntgenstrahlen und Elektronen in Gasen. Nach Kriegsausbruch emigrierte er 1939 in die USA. Werner Heisenberg (1901-1972) bekam 1932 für die Begründung der Quantenmechanik den Nobelpreis für Physik verliehen. 1942-45 leitete Heisenberg das Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik in Berlin-Dahlem, wo er führend am "Uranprojekt" des Heereswaffenamtes beteiligt war.

(4) Albert Einstein (1879-1955, Nobelpreis für Physik 1921) war bis zu seiner Emigration 1932 Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physik.

(5) Während in Amerika in diesen Jahren eine Reihe modern ausgerüsteter kernphysikalischer Laboratorien mit Hochspannungsanlagen oder gar Zyklotronen - Mehrfachbeschleuniger - eingerichtet wurden, gab es 1939 in Deutschland nur zwei derartig ausgerüstete Institute, die Kaiser-Wilhelm-Institute in Heidelberg und in Berlin-Dahlem. Ein Zyklotron stand deutschen Forschern damals in Deutschland noch nicht zur Verfügung. Erstmals 1938 wurde am Heidelberger Kaiser-Wilhelm-Institut für medizinische Forschung mit dem Bau eines derartigen Gerätes begonnen. Es war 1943 fertig gestellt, diente aber ausschließlich medizinischer Forschung.

(6) 1960-61 Aufstockung des Turmanbaues (Isotopenlabor) durch die Bauabteilung der Freien Universität.

(7) 1964 Umbauten für die Freie Universität, Sitz der Kuratorialverwaltung, hierbei Grundrissänderungen und Teilschließung der Terrasse zum Garten.

Literatur:

  • Scherer, Benedikt Maria / Der Architekt Carl Sattler. Leben und Werk (1877-1966). München 2007 / Seite Bd.1, S. 222 f.; Abb. 109-111, Bd. 2 Katalog-Nr. 285, S. 382-387.
  • Lemmenich, Jost/ Physik in
    Wissenschaften in Berlin, hrsg. v. Buddensieg, Düwell, Sembach. Bd. 2 Disziplinen (=Begleitband zur Ausstellung "Der Kongreß denkt") Berlin 1987 / Seite 50-55
  • Braun, Hardo / Die Entwicklung des Institutsbaus dargestellt am Beispiel der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft, Dissertation TU München 1987 / Seite 86-88, 93 f.
  • Topographie Dahlem, 2011 / Seite 171
  • Gill, Glenys, Klenke, Dagmar / Institute im Bild. Teil I. Bauten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften. (=Veröffentlichungen aus dem Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft. Bd. 5). Berlin 1993 / Seite 100-103
  • Villen, Rost- und Silberlauben. Baugeschichtliche Spaziergänge über den Campus der Freien Universität Berlin, hrsg. von der Presse- und Informationsstelle der FU Berlin, Berlin 1993 / Seite 27 f.
  • Henning,Eckart, Kazemi, Marion, Dahlem - Domäne der Wissenschaft. Ein Spaziergang zu den Berliner Instituten der Kaiser-Wilhelm/Max-Planck-Gesellschaft im "deutschen Oxford" in
    Max-Planck-Gesellschaft. Berichte und Mitteilungen 1993, Heft 3 / Seite 125-134
  • Dahlem - Domäne der Wissenschaft. Ein Spaziergang zu den Berliner Instituten der Kaiser-Wilhelm/Max-Planck-Gesellschaft im "deutschen Oxford". Hg. v. Eckart Henning, Marion Kazemi (= Veröffentlichungen aus dem Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellsc / Seite 221-236
  • Kant, Horst / Albert Einstein, Max von Laue, Peter Debye und das Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik in Berlin (1917-1939) in
    Die Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft und ihre Institute, Studien zu ihrer Geschichte BusB V B 2004 / Seite 213 f., 310
  • Das Harnack-Prinzip. Hrsg. v. Bernhard vom Brocke und Hubert Laitko, Berlin-New York 1996 / Seite 227-262

Kontakt

Juliane Stamm
Landesdenkmalamt Berlin
Redaktion Denkmalinformationssystem

Verkehrsanbindungen