Denkmaldatenbank

Gartenstadt Zehlendorf

Obj.-Dok.-Nr. 09075617
Bezirk Steglitz-Zehlendorf
Ortsteil Zehlendorf
Adressen Am Weißen Steg 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8

Berlepschstraße
17, 19, 21, 25, 27, 29, 31, 33A, 33B, 35, 35A, 35B, 37, 37A, 37B, 39A, 39B, 41, 41A, 41B, 41C, 43, 43A, 43B, 45, 45A, 45B, 45C, 47, 47A, 47B, 49, 49A, 49B, 51, 51A, 51B, 53, 53A, 53B, 55, 55A, 55B, 55C

Camphausenstraße
1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 12, 14, 16, 18, 20, 22, 24, 26, 28, 30

Dallwitzstraße
1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 53, 55, 57, 59

Grenzpfad 1, 3, 5, 7, 9, 11, 13, 15, 17, 19

Radtkestraße
1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24 , 25, 26, 27, 28, 29, 31, 33, 35, 37, 39, 41, 43, 45

Rotherstieg 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9

Schrockstraße 31, 33, 35, 37

Thürstraße
1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 21, 23, 25, 27
Denkmalart Ensemble
Sachbegriff Siedlung & Gartenstadt
Datierung 1912-1923
Datierung 1930
Entwurf Tonndorf (Architekt)
Entwurf Mebes und Emmerich (Architekt)

Die Gartenstadt Zehlendorf liegt heute inmitten des südwestlich an den Ortskern anschließenden Baubereichs. Im Norden wird sie von der Berlepschstraße tangiert, die auch die wichtigste Erschließungsstraße ist, im Süden grenzt sie an die Machnower Straße bzw. an die von ihr abzweigenden Straßen (Albertinen-, Gertraud-, Bismarckstraße); im Osten reicht sie beinahe bis an den Ortskern heran. Westlich schließen Wohnstraßen an, die im Verlauf der zwanziger und dreißiger Jahre bebaut wurden. Die Architektengemeinschaft Mebes & Emmerich errichtete die Gartenstadt von 1912 bis 1923 in drei Bauabschnitten; der Architekt Tonndorf ergänzte 1930 die in der Thür- und Radtkestraße noch vorhandenen Baulücken. (241)

Der erste Bauabschnitt mit 92 Einfamilienreihenhäusern wurde von 1912 bis 1914 zwischen Berlepsch-, Dallwitz- und Camphausenstraße erbaut. Die Häuser sind in elf Gruppen zusammengefaßt, die in offener Randbebauung parallel zu den Straßen gestellt sind. Die Grundrißgliederung richtet sich nach Typenentwürfen von Mebes und variierte entsprechend der unterschiedlichen Wohnfläche in der Raumzahl von drei bis sieben Zimmern. Zu jedem Haus gehören Vorratsraum, Waschküche, Bad und WC, ebenso Bodenraum und Kammer im Dachgeschoß.

Die Fassadenaufrisse der zu einer Gruppe zusammengefaßten Wohneinheiten differieren; Variationen treten vor allem bei der Anordnung von hervortretenden und bekrönenden Bauteilen - Dreiecks- und Segmentgiebel, pilasterartige Wandvorlagen, Erkertürmchen - und bei der Gestaltung des Eingangsbereiches auf. Auch bei der Fassadengliederung jeder einzelnen Einheit werden Symmetrien vermieden, indem die übereinanderliegenden Geschosse unabhängig voneinander konzipiert sind. Die zur Differenzierung eingesetzten Bauglieder sind aus der klassizistischen Palais- und Bürgerhausarchitektur übernommen worden, "für fast jedes Gestaltungselement (...) läßt sich ein entsprechendes Vorbild aus der Zeit zwischen 1780-1830 finden." (242)

Die zu den Gärten gerichteten Häuserfronten sind dagegen in ganz anderer Weise entwickelt. Heruntergezogene Dächer und Holzlauben im Erdgeschoß - Formen aus der Landhausarchitektur - weisen die Gartenfront als privaten Bereich im Gegensatz zur "öffentlichen" Eingangsseite aus.

Aus der Wand vorkragende Bauteile, abschließende Giebelwände und aus der Bauflucht versetzte Hauseinheiten dienen auch der abwechslungsreichen Gestaltung des Straßenraumes. Ein besonders vielfältiges Bild ergibt sich an der Stelle, an der die in Ost-West-Richtung angelegte Dallwitzstraße ihren Verlauf ändert und auf die Berlepschstraße zuführt: Durch die versetzte Anordnung der Häuser entsteht hier eine platzartige Erweiterung; die Häuser im Süden und Osten sind nicht wie alle anderen Siedlungshäuser als Putzbauten, sondern in Sichtmauerwerk ausgeführt; weitere raumgestaltende Akzente setzen Giebel und Erkertürme an den Bauten auf der Nord- und Ostseite.

Der zweite Siedlungsabschnitt wurde 1919-1921 ausgeführt. An der Dallwitz-, Thür- und Radtkestraße wurden 58 Einfamilienhäuser in elf Hausreihen gruppiert. Der Zwang zur Wirtschaftlichkeit, der sich aus der ökonomischen Situation im Nachkriegsdeutschland ergab, wirkte sich auf Wohnungsgröße und äußere Gestaltung aus. Durch Verringerung der Raumzahl ist die Wohnfläche in den einzelnen Bauten gegenüber den Vorkriegshäusern reduziert. Der Grundriß ist dabei in allen Hauseinheiten identisch, nur die Eckhäuser haben eine etwas größere Grundfläche. Die Bauten werden unter einem Satteldach zusammengefaßt, der Fassadenaufriß wird stark vereinfacht. Aus der Fläche treten nur die erhöhten Eingänge, die durch ein Vordach auf kräftigen Holzstützen überfangen werden, hervor; sie gliedern in regelmäßiger Abfolge die Straßenfronten. Als gestalterisches Mittel zur Differenzierung und Individualisierung der einzelnen Häuser wird nun die Farbe eingesetzt. Rahmen- und Friesbänder sowie Spiegelfelder über den Fenstern in unterschiedlichen Farben heben sich von der hell verputzten Wand ab. Die Farbflächen sind größtenteils heute noch - wenn auch verblaßt - sichtbar.

Auch für die Bauten im dritten Siedlungsabschnitt, den Mebes & Emmerich 1921-1923 östlich der Camphausenstraße bis zur Schrockstraße errichteten, spielte Farbe als Gestaltungsmittel eine wesentliche Rolle. In diesem Abschnitt kommt es zum ersten Mal zu einer Mischung von Einfamilienhäusern und Geschoßbauten. Die Einfamilienhäuser werden als Doppelhäuser in leicht versetzter Anordnung an den südlich verlaufenden Grenzpfad, die zweistöckigen Geschoßbauten mit jeweils vier Mietwohnungen (243) in offener Randbebauung parallel zu Schrockstraße und Camphausenstraße und zu beiden Seiten der neu angelegten Privatstraße Am Weißen Steg gestellt. Die räumliche Trennung von Geschoß- und Einfamilienhäusern wird durch die abweichende Gestaltungsweise unterstrichen. Die Doppelhäuser mit Krüppelwalm haben horizontal gegliederte Straßenfronten, die Eingänge liegen an den Giebelseiten; die Farbigkeit des Putzanstrichs wechselte ursprünglich von Haus zu Haus.

Die Geschoßbauten sind unter einem Satteldach zusammengefaßt; durch Backsteinrahmungen hervorgehobene Eingangsbereiche und Treppenhäuser (im Eingangsbereich wurde die Rahmenfläche durch Kragsteine verstärkt) durchbrechen in regelmäßigem Rhythmus die Wandfläche. Wie im ersten Bauabschnitt sind die Straßeneinmündungen und -kreuzungen am Weißen Steg bzw. an Camphausenstraße und Berlepschstraße durch hervortretende Bauteile und Giebelformen akzentuiert. Die Fassadenwand der Hausgruppe am Beginn der Camphausenstraße ist durch spitzwinklige Erkervorsprünge gegliedert.

Der Riegelbau am Weißen Steg ist zwischen Geschoßbauten und Doppelhäusern eingeschoben; seine Fassadengestaltung ist auf der Nordseite den Geschoßzeilen angeglichen, am Grenzpfad entspricht sie den im Osten und Westen anschließenden Doppelhausbauten. Ein dunkler Farbanstrich setzte das quergestellte Gebäude ursprünglich von den hell verputzten Geschoßzeilen ab. Die differenzierende Farbgebung ist heute nicht mehr vorhanden. Auch die Bausubstanz wurde in diesem Abschnitt durch Wiederaufbau und Restaurierungsarbeiten stark verändert - vor allem die Doppelhäuser am Grenzpfad wurden weitreichenden Umbaumaßnahmen unterzogen, die sich insbesondere auf die Fassadengestaltung auswirkten. Bei den Wiederaufbaumaßnahmen in den anderen Siedlungsteilen nahm man dagegen größere Rücksicht auf die vorhandene Substanz, indem die wiederaufgebauten Häuser in Maßstab, Kubatur und Fassadengliederung weitgehend den bestehenden angepaßt wurden.

An Thür- und Radtkestraße wurden 1930 Einfamilienhäuser und ein Doppelhaus ergänzt. Der Architekt Tonndorf orientierte sich an der Gestaltungsform der im zweiten Abschnitt errichteten Bauten. Allerdings wurden entsprechend den abermals veränderten Siedlungsbaurichtlinien die Fenstergrößen verringert; außerdem fehlen den zuletzt entstandenen Häusern die für den Gartenstadtcharakter wesentlichen Elemente, die Holzlauben ebenso wie die hölzernen Vordächer.

Die vier Bauabschnitte der Gartenstadt Zehlendorf besitzen baugeschichtlichen Zeugniswert für die Entwicklung des Massenwohnungsbaus in der Zeit von 1910 bis 1930. Der erste Bauabschnitt entstand vor dem Hintergrund von Wohnungsreform und Gartenstadtbewegung. Obwohl nicht alle Kriterien, die eine Wohnsiedlung nach den zeitgenössischen Vorstellungen als Gartenstadt auswiesen, in Zehlendorf erfüllt sind (es gibt weder Gemeinschafts- noch Versorgungseinrichtungen, die Siedlung ist kein autarkes, von anderen Wohn- und Siedlungsbereichen getrenntes Gebiet), gehört die Gartenstadt Zehlendorf (244) in die Reihe der frühen Reformsiedlungen, die auf den Vorstellungen der Gartenstadtbewegung basieren. Im Gegensatz zu anderen Gartenstadtsiedlungen wie etwa Staaken orientiert sich die formale Gestaltung ausschließlich an der von Mebes als vorbildhaft verstandenen bürgerlichen Architektur des deutschen Klassizismus. Die Bauabschnitte, die nach dem ersten Weltkrieg errichtet wurden, dokumentieren mit der Reduktion von Form und Wohnkomfort den Einfluß der neuen Richtlinien für den Siedlungsbau, die vom Primat der Wirtschaftlichkeit determiniert waren. Sie veranschaulichen darüber hinaus aber auch die Auseinandersetzung des Architekten mit dem Problem des geeigneten Wohnhaustypus für den Massenwohnungsbau (Mebes entwickelte das zweistöckige Geschoßhaus mit vier Mietwohneinheiten) und den Einfluß der zeitgenössischen architekturtheoretischen Auseinandersetzung um neue Gestaltungsformen (Farbe als Gestaltungsmittel). Trotz der formalen und typologischen Unterschiede werden die Bauten aus den verschiedenen Bauphasen durch Raumordnung und Straßenführung miteinander in Beziehung gesetzt und die Gartenstadt auf diese Weise zu einer städtebaulichen Einheit zusammengefaßt, die sowohl im Plangrundriß wie auch in der optischen Wahrnehmung deutlich von den angrenzenden Gebieten zu unterscheiden ist.


241) Vgl. Meyer, S. 71.

242) Ebenda.

243) Zu Mebes' Auseinandersetzung mit der Frage des Mietshaustypus vgl. Meyer, S. 79 f.

244) Mebes selbst setzte die Bezeichnung Gartenstadt in den Planunterlagen und Erläuterungen in Anführungszeichen, ein Hinweis darauf, daß auch dem Architekten diese Zuweisung nur bedingt zutreffend erschien.

Literatur:

  • Topographie Zehlendorf/Zehlendorf, 1995 / Seite 45 & 252

Kontakt

Juliane Stamm
Landesdenkmalamt Berlin
Redaktion Denkmalinformationssystem

Verkehrsanbindungen