Denkmaldatenbank
Villa Herz, Jugenderholungsheim Tiergarten
09075512 | |
Bezirk | Steglitz-Zehlendorf |
Ortsteil | Wannsee |
Adressen | Am Großen Wannsee 52, 54 |
Denkmalart | Baudenkmal |
Sachbegriff | Wohnhaus & Villa & Stall |
Datierung | 1891-1892 |
Entwurf | Martens, Wilhelm |
Bauherr | Herz, Paul (Fabrikbesitzer) |
Ausführung | AG für Bauausführungen |
Ein gutes Beispiel für einen großbürgerlichen Landsitz im Schlösserstil des späten 19. Jahrhunderts vermittelt das Haus Herz, Am Großen Wannsee 52/54. Die außerordentlich große Neorenaissancevilla und ihr stattliches Stallgebäude wurden 1891-92 von Wilhelm Martens für den Fabrikanten Paul Herz aus Berlin-Tiergarten als Sommerwohnsitz errichtet. (1) Das vor einigen Jahren geteilte, aber immer noch sehr weitläufige Seegrundstück ist von einer hohen Stabgittereinfriedung mit prächtiger dreiteiliger Toranlage umgeben; die Villa liegt hinter einer platzartigen Vorfahrt. Linkerhand befindet sich das ehemalige Stallgebäude, rechts steht ein Flachbau der 1970er Jahre. Die Villa, platziert auf einer leichten Anhöhe, bietet weite Ausblicke über den Wannsee. Noch heute bildet sie einen markanten Blickpunkt. Dazu trägt neben der Lage die imposante, an Schlossbauten der Renaissance erinnernde Erscheinung des ziegelsichtigen Baus bei: Der dreigeschossige, vielgliedrige Baukörper besitzt eine bewegte Dachlandschaft mit steilen Schieferdächern, hohen Schornsteinen und trutzigen Türmen, außerdem steile Giebel, Erker, Balkons und Loggien. Seine gelben Backsteinfassaden sind mit beschlagwerk-artigen Gliederungselementen aus hellem Sandstein belegt. An der Straßenfront bildet die dreiteilige Arkadenloggia im Obergeschoss des mächtigen Giebelrisalits ein prägendes Motiv, das als dreigeteiltes Rundbogenfenster zweimal wiederholt wird. Darunter liegt das von einer kräftigen Sandsteinrahmung eingefasste Hauptportal mit Oberlicht und schwerer Metall beschlagener Tür. An der Seeseite bilden ein Turm mit zweigeschossigem Erker links, ein Giebelrisalit rechts, eine im Rücksprung liegende Loggia mit aufgesetztem Balkon und eine Freitreppe die bestimmenden Fassadenelemente. Das Gebäudeinnere mit klar gegliedertem symmetrischem Grundriss besitzt in weiten Teilen noch die ursprüngliche Ausstattung in Form von Holzkassetten- und Stuckdecken sowie Parkettböden. Raumgreifendes und beherrschendes Element ist die zweigeschossige zentrale Halle von 60 Quadratmeter Größe - mit mannshohem Kamin, repräsentativer, einmal gewendeter Holztreppe, umlaufender gedrechselter Galerie im Obergeschoss sowie Belichtung durch zwei raumhohe Fenster an der Gartenseite. Mit dieser Ausbildung einer herrschaftlichen, den Mittelpunkt des Hauses bildenden und der Repräsentation der Bewohner dienenden Wohnhalle bildet die Villa Herz ein seltenes und herausragendes Beispiel für eine historistische Baugattung, die - beeinflusst durch altdeutsche und englische Vorbilder - ab 1890 vorwiegend in Berlin ihren Ausdruck fand. (2)
Das 1892 gleichzeitig mit dem Haupthaus fertig gestellte, sehr bemerkenswerte Stallgebäude befindet sich heute auf dem Nachbargrundstück Nr. 54. Formal erinnert es mit der Komposition zweier im rechten Winkel angeordneter Gebäudeflügel, deren Achse ein schräg gestellter übergiebelter Mittelteil bildet, an das Landhaus "the barn" des englischen Architekten E. Prior, das Anfang des 20. Jahrhunderts Vorbild für zahlreiche Gebäude der Landhausbewegung werden sollte. Stilistisch und im Material passt sich der helle Putzbau mit gelben Backsteinelementen, Sandsteingliederung und Schieferdach dem Hauptgebäude an; allein das Obergeschoss ist - dem Rang als Nebengebäude entsprechend - in Fachwerk ausgeführt; auf dem Dach gibt es zwei auffällige Schornsteinköpfe mit Verdachungen. Neben Stallung, Remise und Kutscherstube waren im Obergeschoss zwei Kleinwohnungen eingerichtet.
Das gesamte Anwesen wurde nach dem Tod von Paul Herz an den Schokoladenfabrikanten Nelson Faßbaender verkauft. 1936 ging es an die Deutsche Arbeitsfront, die dort die "Führerschule Haveleck" unterhielt. (3) Nach dem Zweiten Weltkrieg war es fast 50 Jahre lang Jugenderholungsheim des Bezirks Tiergarten von Berlin. Heute kommt der in Privatbesitz befindlichen Anlage eine bedeutende Rolle innerhalb der Villenkolonie Alsen zu, denn mit der Villa Herz, ihrem Nebengebäude und dem zugehörenden Garten ist eine der wenigen großen Villenanlagen in Wannsee über ein Jahrhundert hinweg trotz ihrer wechselvollen Geschichte weitgehend unbeschadet erhalten geblieben. Haus und Garten bilden immer noch ein außerordentlich eindrucksvolles Gesamtkunstwerk großbürgerlicher Kultur des ausgehenden 19. Jahrhunderts.
1) BusB 1896, S. 170 f.; Heinisch/Schumacher 1988, S. 159 f. Paul Herz entstammte einer angesehenen jüdischen Kaufmannsfamilie. Er betrieb eine Ölmühle und eine Konfitürenfabrik. Seine Grabstätte befindet sich auf dem neuen Friedhof Wannsee. Vgl. Horbat, Gabriele: Denkmalpflegerisches Konzept für den Villengarten Herz in Berlin-Wannsee, unveröff. Diplomarbeit TUB 1994. Wilhelm Martens (1842-1910) war ein Schüler von Martin Gropius; er baute zahlreiche Bankgebäude in Berlin, Bremen, Düsseldorf und München; sein Atelier- und Wohnhaus befindet sich in der Berliner Fasanenstraße 26. Vgl. Kieling 1987, S. 109, 112, 229-231.
2) Brönner 2009, S. 339.
3) Über Nelson Faßbaender und die Nutzung der Villa während der NS-Zeit. Vgl.: Villenkolonien 2000, S. 61 f.
Literatur:
- Heinisch, Tilmann/ Schumacher, Horst: Colonie Alsen, Berlin 1988 / Seite 159 f.
- Topographie Zehlendorf/Wannsee, 2013 / Seite 102
- Horbat, Gabriele: Denkmalpflegerisches Konzept für den Villengarten Herz in Berlin-Wannsee, unveröff. Diplomarbeit TUB 1994 / Seite .
- Kieling, Uwe: Berlin, Baumeister und Bauten, Berlin 1987 / Seite 109, 112, 229-231
- Brönner, Wolfgang: Die bürgerliche Villa in Deutschland 1830-1890, Worms 2009 / Seite 339
- Kampe, Norbert: Villenkolonien in Wannsee 1870-1945, Austellungskat., Berlin 2000 / Seite 61 f
- BusB II/III 1896 / Seite .
Kontakt
Juliane Stamm
Landesdenkmalamt Berlin
Redaktion Denkmalinformationssystem
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