Denkmaldatenbank

Haus Lewin

Obj.-Dok.-Nr. 09075288
Bezirk Steglitz-Zehlendorf
Ortsteil Schlachtensee
Adressen Waldsängerpfad 3
Denkmalart Baudenkmal
Sachbegriff Wohnhaus & Zweifamilienhaus
Datierung 1929-1930
Entwurf Behrens, Peter (Architekt)
Ausführung Gottheiner, Julius
Ausführung Bastian, Theodor
Bauherr Lewin, Kurt & Lewin, Gertrud (Psychologe)

Zwischen Reifträgerweg und Krottnaurerstraße verläuft der Waldsängerpfad, der erst um 1900 von der HAG angelegt worden war. Dort befindet sich eines der seltenen Wohnhäuser von Nikolassee, das nach den Prinzipien des avantgardistischen Bauens der 1920er Jahre errichtet wurde. Zwischen den anders gestalteten Nachbarhäusern sticht der breit gelagerte weiße Baukubus besonders hervor. Es ist das 1929 erbaute Haus Lewin, Waldsängerpfad 3, das sich die Eheleute Gertrud und Kurt Lewin von dem damals bereits berühmten Peter Behrens entwerfen ließen. (1) Zum Zeitpunkt des Hausbaus war Kurt Lewin, der seit 1927 eine Professur für Philosophie und Psychologie an der Berliner Universität inne hatte, im Begriff einer der bedeutendsten Sozial- und Kinderpsychologen zu werden. (2) Im neuen Heim in Schlachtensee sollte auch für Lewins Schwager eine kleine Einliegerwohnung geschaffen werden. (3)

Das Spätwerk des damals 61jährigen Behrens, der als Formgestalter und künstlerischer Berater der AEG bereits vor dem Ersten Weltkrieg großes Ansehen erlangt hatte, ist eines der wenigen Häuser, die der Architekt konsequent in der Formensprache des Neuen Bauens entwarf. Beim Haus Lewin bewies Behrens, dass er - ebenso wie seine Schüler Walter Gropius, Adolf Meyer oder Mies van der Rohe, die alle in seinem Neubabelsberger Büro beschäftigt gewesen waren - den modernen Formenapparat in beeindruckender und geradezu radikaler Weise bis ins Detail umzusetzen vermochte. Haus Lewin besticht durch seine asymmetrische Proportionierung einander durchdringender Kuben und einen funktionellen Grundriss, der konzipiert war, "nach der Gesinnung des Bewohners, die Einfachheit seines Wesens auszudrücken", wie Behrens selbst erläuterte. (4) Vergleichbar dem von Gropius bei den Dessauer Meisterhäusern praktizierten Baukastenprinzip verzahnen sich geometrische Körper wie Quader und Würfel ineinander, um eine variable Architektur zu schaffen, die die "Zweiteilung des Grundrisses auch in der äußeren Erscheinung" klar zum Ausdruck bringt. (5) Den Prinzipien des Neuen Bauens verpflichtet sind die bündig sitzenden Stahlfenster, das flache Dach, die verbindenden Garten- und Dachterrassen sowie die Ausrichtung zur Sonne.

Unter geschickter Ausnutzung der Höhendifferenz des Geländes legte Behrens den länglichen Baukörper so in das Geländerelief, dass zur Straße ein Hochkeller entstand, der neben dem Eingang zur Einliegerwohnung auch die beiden Garagen aufnahm. Zum Garten können sich dadurch die Wohnzimmer der beiden Wohnungen ebenerdig mit breiten Glastüren öffnen. Hier zeichnet sich deutlich die eingeschossige Einliegerwohnung mit einem eigenen Baukubus neben dem zweigeschossigen Hauptbau ab. Einzig eine große, zum Teil überdeckte Dachterrasse verbindet die beiden Wohnungsteile. Nach der Vorstellung der Lewins sollte sich die Modernität des Hauses auch im Inneren widerspiegeln. Wegen Unstimmigkeiten mit Behrens wählten sie für die Innenausstattung den nicht minder bedeutenden Architekten und Designer Marcel Breuer. (6) Der gerade vom Bauhaus kommende junge Breuer unterhielt damals in Berlin ein eigenes Büro. Er suchte den Räumen einen betont sachlichen und funktionalen Charakter zu verleihen, was zum klaren Grundriss gut passte. Hierbei griff Breuer auf speziell nach seinem Entwurf angefertigte Einbauten und Regalwände, vor allem auf die in Serie produzierten, von ihm selbst gestalteten Stahlrohrmöbel zurück. Derartig ausgestattet, entstand ein modernes großbürgerliches Wohnhaus, das bis ins Detail den neuen Lebensstil eines liberal eingestellten jüdischen Bürgertums verkörperte. Die Lewins konnten ihr Haus jedoch nur kurze Zeit nutzen. Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten bestand für den jüdischen Wissenschaftler Lewin keine Möglichkeit mehr zur Berufsausübung in Deutschland; bereits 1933 emigrierte er in die USA.


1) Peter Behrens, Ein Landhaus in Schlachtensee. In: Die Neue Linie 4 (1932/33), H. 3, S. 16 f.; Noth, Herbert: Blumenerker von außen. In: Gartenschönheit 16 (1935), S. 91; BusB IV C 1975, S. 241, Obj. 1934; Dehio Berlin 2006, S. 594; Gisbertz, Olaf: Ein Landhaus in Berlin-Schlachtensee. In: Volkskundliche Grenzgänge, Festgabe der Schülerinnen und Schüler H.L. Cox zum 60. Geburtstag, hrsg. v. H. Mannheims, G. Kehren, P. Oberem (= Bonner kleine Reihe zur Alltagskultur, 3. Sonderdruck); Nerdinger, Winfried/Tafel, Cornelius: Architekturführer Deutschland, 20. Jahrhundert, Berlin-Basel-Boston 1996, S. 130; Wörner/Mollenschott/Hüter 1997, S. 442, Obj. 696.

2) Kurt Lewin (1890-1947) wird zu den bedeutendsten Psychologen dieses Jahrhunderts gezählt. Er hat Wesentliches zu entwicklungs- und erziehungspsychologischen Erkenntnissen beigetragen, war Mitbegründer einer experimentellen Sozialpsychologie und begründete die Aktionsforschung. 1933 musste er in die USA emigrieren und lehrte dort an verschiedenen Universitäten.

3) Wilk, Christopher/Breuer, Marcel: Furniture and interiors, hrsg. v. Museum of Modern Art New York 1981, S. 92-95. Nach anderen Angaben war die Wohnung allerdings für seine Tochter gedacht. Vgl. BusB IV C, S. 241.

4) Peter Behrens, Ein Landhaus in Schlachtensee. In: Die Neue Linie 4 (1932/33), H. 3, S. 16.

5) Peter Behrens, Ein Landhaus in Schlachtensee. In: Die Neue Linie 4 (1932/33), H. 3, S. 16.

6) Wilk, Christopher/Breuer, Marcel: Furniture and interiors, hrsg. v. Museum of Modern Art New York 1981, S. 92-95 (hier Abb. von der Innenausstattung).

Literatur:

  • BusB IV C 1975 / Seite 241
  • Weber: Kleine Baugeschichte Zehlendorfs, 1970 / Seite 59
  • Gisbertz, Olaf: Ein Landhaus in Berlin-Schlachtensee, in: Mannheims, Hildegardt, Georg Kehren und Peter Oberem (Hg.): Volkskundliche Grenzgänge. Festgabe der Schülerinnen und Schüler H.L. Cox zum 60. Geburtstag, Erkelenz 1995 / Seite 113-132 (dort weitere Lit.)

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Juliane Stamm
Landesdenkmalamt Berlin
Redaktion Denkmalinformationssystem

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