Denkmaldatenbank

Der Mittelhof (heute Historische Kommission)

Obj.-Dok.-Nr. 09075246
Bezirk Steglitz-Zehlendorf
Ortsteil Nikolassee
Adressen Kirchweg 33
Denkmalart Baudenkmal
Sachbegriff Einfamilienhaus & Landhaus & Wohnhaus
Datierung 1914-1918
Entwurf Muthesius, Hermann (Architekt)
Bauherr Mertens, Wilhelm (Großindustrieller)

In Nikolassee einzigartig in Größe und Anlage und ebenso einmalig im umfangreichen Werk von Hermann Muthesius ist der Mittelhof, Kirchweg 33, Im Mittelbusch, den der Architekt 1914-18 als Landhaus für den Großindustriellen Wilhelm Mertens entworfen hat. (1) Auf dem etwa 10.000 Quadratmeter großen Grundstück am Osthang der Rehwiese schuf Muthesius einen gehöftartigen Komplex, in dem sämtliche Räume, auf einer Wohnfläche von fast 1.000 Quadratmetern, ebenerdig um zwei Innenhöfe gruppiert sind. Das für den wohlhabenden Bauherrn und seine Familie entworfene Haus zeichnet sich dadurch aus, dass es trotz seiner Dimensionen weder pompös noch auffallend groß wirkt. Eine besonders enge Anlehnung an englische Landhäuser wird hier in der landschaftsbezogenen Gesamtanlage und der schlichten Ziegelarchitektur deutlich, aber auch im Grundriss, der die individualisierten Wohn-, Schlaf- und Wirtschaftsräume funktional anordnet. Der Mittelhof, der nach dem Wunsch des Bauherrn, "die Bescheidenheit des Äußeren" zum "Leitsatz für die gesamte Gestaltung" (2) zu machen, und nach dessen ganz spezifischen Wohnbedürfnissen entworfen war, ist baulicher Ausdruck einer fortschrittlichen Haltung innerhalb des Großbürgertums vor dem Ersten Weltkrieg. Die wechselvolle Geschichte der Besitzverhältnisse - nach Verlust seines Vermögens musste Mertens den Mittelhof bereits 1920 verkaufen, seitdem wurde das Haus von unterschiedlichen Firmen, Einrichtungen und Institutionen genutzt (3) - dokumentiert darüber hinaus die Entwicklung und den Untergang dieser Gesellschaftsschicht.

Der Entwurf Muthesius' für die eingeschossige vierflügelige Anlage basierte auch auf der Vorgabe, den Kiefernbestand auf dem Grundstück so weit wie möglich zu erhalten, und zugleich auf dem bewährten Prinzip, das Haus nach Besonnung und Ausblick auf die Rehwiese zu organisieren. Die Ebenerdigkeit der Räume und tief heruntergezogene Fenster erlaubten den Ausblick unterhalb der Zweige und zwischen den Stämmen hindurch auf die Landschaft. Die Wohnräume mit Erkern und Vorbauten waren nach Süden und Westen, die Schlafräume um einen verglasten Lichthof nach Osten und der Wirtschaftstrakt nach Norden orientiert. Das graue Schieferwalmdach mit Giebeln, Quer- und Vordächern, die roten, lebhaft changierenden Ziegelwände mit wenigen, aber wirkungsvoll gesetzten Dekorsteinen, die weiß gerahmten, bündig mit der Wand abschließenden Sprossenfenster und die zarten Ornamente am weiß gestrichenen Dachüberstand gehören zu den Elementen, die dem Bau bei aller "Bescheidenheit" einen geschmackvollen und gediegenen Charakter verleihen. Das Innere des Hauses ist zwar nicht auf Repräsentation angelegt, es strahlt durch die Größe der Räume - allein das Esszimmer umfasste 70 Quadratmeter - und ihre reiche Ausstattung mit Stuckdecken, Holzvertäfelungen und Parkett jedoch Großzügigkeit und Wohlstand aus. (4)

Der Straßenzug Kirchweg und Am Mittelbusch wird weithin sichtbar geprägt durch die Einfriedung aus abwechslungsreichem Klinkermauerwerk mit Eisen- und Holzelementen des Mittelhofs, Kirchweg 33. (5) Die Toranlage an der Straßenecke im Nordosten und die aufwendig gestaltete Mauerecke, die den Aussichtsplatz im Südwesten umfängt, stecken in auffälliger Weise die Ausdehnung des Grundstücks ab. Die Klinkermauern setzen sich in der Gartenanlage in vielgestaltigen Formen fort und bilden zusammen mit den Treppen und Bodenbelägen aus dem gleichen Material eine überzeugende Einheit mit der Architektur des Hauses. (...)


1) Muthesius, Hermann: Der Mittelhof. In: Dekorative Kunst 27 (1919), S. 281-298; Der Baumeister 18 (1920), S. 16-18, Taf. 22 f., 28; Muthesius 1922, S. 77-84; BusB IV C, S. 142 f.; Posener, Julius: Hermann Muthesius und der Mittelhof. In: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands, Bd. 25, Berlin 1976; Schmädicke, Jürgen: "Mittelhof Manor": Ein Haus und seine Geschichte. In: Historische Kommission zu Berlin, Informationen, H. 14, 1989; Kaak, Heinrich: Der Mittelhof, Berlin-Nikolassee, Kirchweg 33. In: Geschichtslandschaft Berlin, Orte und Ereignisse, Bd. 4: Zehlendorf, Berlin 1992, S. 378-394; Finger 2009, S. 105, 138. Wilhelm Mertens (1862 geb.) war Inhaber der Firma W. Mertens & Co. GmbH, Bergbau-, Handels- und Pflanzungs-Unternehmen.

2) Hermann Muthesius, Der Mittelhof. In: Dekorative Kunst 1919, S. 281.

3) 1920-21 Spekulationsobjekt des Fürsten Henckel von Donnersmarck, 1921-38 Eigentümer Gustav Ramin, Sitz seiner Grundstücks- und Versicherungsunternehmen, 1938-45 Nutzung durch den Landeskulturwart Gau Berlin, 1945-47 amerikanischer Red Cross Club, 1945-50 Nachbarschaftsheim der Quäker ("American Friends Service Committee"), 1950-55 Mutterhaus und Altenheim der "Diakonissenanstalt Krankenhaus der Barmherzigkeit" aus Königsberg, 1975 von der Volkswagen Stiftung erworben und zur Nutzung durch die Historische Kommission dem Land Berlin überlassen. Seit 1997 Sitz des Zentrums Moderner Orient. Vgl. Kaak, Heinrich: Der Mittelhof, Berlin-Nikolassee, Kirchweg 33. In: Geschichtslandschaft Berlin, Orte und Ereignisse, Bd. 4: Zehlendorf, Berlin 1992, S. 378-394.

4) Trotz der vielen Umbauten haben sich die tonnengewölbte Stuckdecke im Esszimmer, Holzvertäfelungen und die Ausstattung der Diele mit Kamin, wandfesten Einbauten und Kassettendecke erhalten. Das Dachgeschoss war zunächst nur teilweise ausgebaut und enthielt Gästezimmer sowie Wirtschaftsräume, wurde aber bereits 1921 nach dem Verkauf des Hauses komplett ausgebaut.

5) Gartendenkmale in Berlin: Privatgärten 2009, S. 164 mit weiterführenden Literaturangaben.

Literatur:

  • BusB IV C 1975 / Seite 142
  • Weber/ Kleine Baugeschichte Zehlendorfs, 1970 / Seite 60
  • Koch, Hugo, Der Garten, Berlin 1927 / Seite 43
  • Muthesius, Die schöne Wohnung, 1922 / Seite 17, 170, 226, 231, 234
  • Muthesius, Landhäuser, 1922 / Seite 77 f.
  • Muthesius, Hermann/ Der Mittelhof in Nikolassee =Dekorative Kunst 22 (1919) 27 / Seite 281-288
  • Posener, Julius/ Hermann Muthesius und der "Mittelhof". Zur Kulturfunktion einer Architekturschöpfung, Berlin 1976 =Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands, Bd. 25 Schmädeke, Jürgen/ "Mittelhof Manor". Ein Haus und seine Geschichte =Histor / Seite 378-394

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Juliane Stamm
Landesdenkmalamt Berlin
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