Denkmaldatenbank

Reichsbahnausbesserungswerk (RAW) Tempelhof

Obj.-Dok.-Nr. 09066445,T
Bezirk Tempelhof-Schöneberg
Ortsteil Schöneberg
Adressen Alboinstraße 18, 20, 22, 24

Sachsendamm 47
Denkmalart Gesamtanlage
Sachbegriff Bahnbetriebswerk & Wohnhaus & Mahnmal & Werkhalle & Werkstatt
Datierung 1876-1945
Bauherr Berlin-Anhaltische Eisenbahn & Deutsche Reichsbahn

Ausgangspunkt der Entwicklung des Schöneberger Industriegeländes war in den 1870er Jahren die Königliche Eisenbahn-Hauptwerkstatt Tempelhof, Alboinstraße 18/24, Sachsendamm 47, die bis zum Zweiten Weltkrieg mehrfach umfangreich erweitert wurde. Im Dreieck zwischen Anhalter Bahn- und Ringbahntrasse wurden bis in die 1990er Jahre auf mehr als 140.000 Quadratmetern Fläche Lokomotiven und Wagen repariert und gewartet. In riesigen Hallen und zahllosen Gebäuden für Werkstätten, Verwaltung und Lagerzwecke arbeiteten um 1900 rund 1.300 Menschen. (1) Die ab 1927 als Reichsbahnausbesserungswerk Tempelhof (RAW) bezeichnete Anlage wurde 1994 stillgelegt; seit 2006 werden die weitgehend erhaltenen Hallen der Lokomotiv-Reparaturwerkstatt und die Schmiede von einem Baumarkt und verschiedenen Möbelgeschäften genutzt. (2) Am Standort der ehemaligen Wagen-Reparaturwerkstatt auf dem nordwestlichen Teil des Geländes hat das Möbelhaus IKEA 2003 einen Neubau errichtet. Im Südwesten des Grundstücks an der Eresburgstraße nimmt seit 1997 ein Briefverteilungszentrum der Deutschen Post die Fläche ein, auf der zuvor das Verwaltungsgebäude, die Lackiererei und einige Nebengebäude gestanden hatten. Auf diesem geschichtsträchtigen Gelände sind bei genauem Hinsehen jedoch einige Spuren der Vergangenheit erkennbar: Am Gebäude des Baumarktes sind zwischen Verblendungen und großflächigen Firmenschildern noch die Ziegelfassaden und Giebel der einstigen Werkstatt-Hallen zu sehen, im Inneren fallen beim Blick nach oben einige alte Fachwerkträger und -stützen sowie Laufkräne und Lampen auf. Die schräg auf dem Gelände stehende Schmiede mit ihren sechs Schornsteinen markiert noch den Standort der nicht mehr vorhandenen Hallen für die Wagen-Reparatur an ihrer Rückseite. Darüber hinaus sind am Sachsendamm, an der Nordostecke des Parkplatzes, Reste der Straße vorhanden, an der bis 2004 Wohnhäuser für Werksangehörige standen (3), sowie Teile der Einfriedungsmauer und ein Mahnmal für im Zweiten Weltkrieg gefallene Reichsbahner erhalten; im Bodenbelag sind die Gleise und der einstige Standort der Drehscheibe nachgezeichnet. An Hand dieser Markierungspunkte kann man sich noch in etwa die ursprünglichen Bauten mit ihren Standorten und Dimensionen vorstellen.

1875 hatte die Berlin-Anhaltische Eisenbahn-Gesellschaft das riesige Gelände im Südosten Schönebergs erworben und im nördlichen Teil 1877-79 die Eisenbahn-Hauptwerkstatt mit Hallen für die Lokomotiv- und Wagen-Reparatur sowie mit Schmiede, Lackiererei, Wasserturm, Magazin- und Wirtschaftsgebäuden ausführen lassen. Der Entwurf der Anlagen stammte von Regierungsbaumeister Friedrich Lantzendörffer, Leiter des technischen Büros, und dem Maschinen-Inspektor L. Stoesger. (4) Ein repräsentatives Verwaltungsgebäude entstand 1877-78 nach Entwurf von Franz Heinrich Schwechten, dem Chefarchitekten der Bahngesellschaft. (5) Von diesen ersten Bauten sind nur die Schmiede und die Halle I für die Lokomotiv-Reparatur teilweise erhalten. Die Schmiede ist ein lang gestreckter Bau in Rohziegelbauweise, in dem einst zwei Reihen von Schmiedeessen an den Außenwänden angeordnet waren; der Innenraum wird von einer filigranen Stahlfachwerkbinderkonstruktion stützenfrei überspannt. An die erste sechsschiffige Halle I von 1879 südöstlich der Schmiede, deren Dachkonstruktion um 1930 mit Rahmenbindern und aufgesetzten Laternen erneuert wurde (6), fügte man nach und nach die heute ebenfalls noch vorhandenen Hallen II bis VI an: Um 1895 wurde die siebenschiffige Halle II errichtet, deren Tragwerk aus filigranen Stahlfachwerkbindern besteht. Die drei Hallen III-V, die 1909-11 an die Ostseite der Halle II angebaut wurden, zeigen robuste Gitterstützen, die schwere Parallelträger mit Kranbahnen für den Transport der Lokomotiven tragen. Die Dachbinder sind - wie auch in der um 1920 errichteten Halle VI - nach dem Prinzip eines Polonceau-Trägers konstruiert. (7) Zuletzt bestand die Lokomotiv-Werkstatt aus einem Hallenkomplex von etwa 200 x 160 Metern, der über einen Zeitraum von mehr als 40 Jahren entstanden und stets der sich wandelnden technischen Entwicklung angepasst worden war. Auch für die heutigen Nutzungsanforderungen an Feuerschutz, Dämmung und Fluchtwege wurden Innenräume und Fassaden verändert.

Das Mahnmal für die Kriegsopfer unter den Mitarbeitern wurde nach 1945 vermutlich von der Werksleitung aufgestellt und gehört zur Gesamtanlage. Das Triptychon aus Muschelkalkplatten mit Mahnsprüchen und Opferzahlen in schwarzer Schrift auf einem stufenförmigen Sockel aus Waschbetonblöcken steht heute etwa 120 Meter nördlich von seinem ursprünglichen Standort.


(1) Cremer, Christoph J.: Das gewerbliche Leben im Kreise Teltow, aus Veranlassung der "Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896" im Auftrag des Kreis-Ausschusses, Berlin 1900, S. 95. Laut Wikipedia (Stichwort Ausbesserungswerk) waren es im RAW Tempelhof 2.061 Beschäftigte im Jahr 1932.

(2) Bei einem Bombenangriff wurde das RAW 1943 stark zerstört und nach dem Krieg wiederaufgebaut. (Erfassung LDA)

(3) Die Zeile der sechs viergeschossigen Wohnhäuser (48 WE) war für die Stammarbeiter gebaut worden. (Erfassung LDA)

(4) Der neue Werkstättenbahnhof der Berlin-Anhaltischen Eisenbahn bei Tempelhof. In: Deutsche Bauzeitung 13 (1879), S. 431-34, 441-45; Pinkenburg: Der neue Werkstätten-Bahnhof der Berlin-Anhaltischen Eisenbahn-Gesellschaft bei Tempelhof. In: Organ für die Fortschritte des Eisenbahnwesens in technischer Beziehung 19 (1882), S. 45-49, 123-127, 168-173.

(5) Franz H. Schwechten (1841-1924), 1871-82 Chefarchitekt der Anhalter Bahn, baute 1871-74 den Anhalter Güterbahnhof und 1876-80 den Anhalter Personenbahnhof. Vgl. Streich, Wolfgang Jürgen: Franz Heinrich Schwechten. In: W. Ribbe/W. Schäche: Baumeister Architekten Stadtplaner, Berlin 1987, S. 259 f.

(6) Die westlich vorgelagerten Spezialwerkstätten besitzen noch die originale Dachkonstruktion mit gusseisernen Stützen, Trägern, Pfetten.

(7) Ein vom französischen Eisenbahningenieur Camille Polonceau (1813-1859) entwickelter Bindertyp für weit gespannte Bahnhofshallen (z.B. Gare du Nord, Paris, Westbahnhof, Budapest). Dabei werden die hölzernen Sparren eines Satteldaches als unterspannte Träger aufgefasst, die mit einem horizontalen Zugband verbunden sind. Für die Unterspannung und das Zugband hatte Polonceau Schmiedeeisen vorgesehen, sodass es sich ursprünglich um eine Mischkonstruktion handelte. Wegen der Brandgefährdung wurden die Binder später ausschließlich aus Eisen gefertigt. Vgl. www.beuth.de/baulexikon (zuletzt geprüft am 17.02.2017).

Literatur:

  • Der neue Werkstätten-Bahnhof der Berlin-Anhaltischen Eisenbahn bei Tempelhof, in: Deutsche Bauzeitung 13 (1879) 85 / Seite 431-434
  • Der neue Werkstätten-Bahnhof der Berlin-Anhaltischen Eisenbahn bei Tempelhof, in: Deutsche Bauzeitung 13 (1879) 87 / Seite 441-445
  • Pinkenburg: Der neue Werkstätten-Bahnhof der Berlin-Anhaltischen Eisenbahngesellschaft bei Tempelhof, in: Organ für die Fortschritte des Eisenbahnwesens 19 (1882) 2/3, Neue Folge / Seite 45-49
  • Pinkenburg: Der neue Werkstätten-Bahnhof der Berlin-Anhaltischen Eisenbahngesellschaft bei Tempelhof, in: Organ für die Fortschritte des Eisenbahnwesens 19 (1882) 4, Neue Folge / Seite 123-127
  • Pinkenburg: Der neue Werkstätten-Bahnhof der Berlin-Anhaltischen Eisenbahngesellschaft bei Tempelhof, in: Organ für die Fortschritte des Eisenbahnwesens 19 (1882) 5, Neue Folge / Seite 168-173
  • Streich, Wolfgang Jürgen: Franz Heinrich Schwechten, in: Baumeister, Architekten, Stadtplaner, 1987 / Seite 259
  • Landesdenkmalamt Berlin (Hrsg.): Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland. Bezirk Tempelhof-Schöneberg, Ortsteil Schöneberg, Petersberg 2018 / Seite S. 268

Teilobjekt Wohnhaus Sachsendamm 47B & 47C & 47D & 47E & 47F

Teil-Nr. 09066445,T,001
Sachbegriff Wohnhaus
Datierung 1908
Entwurf Schwartz und Lücking (Architekt)
Adressen Sachsendamm 47B, 47C, 47D, 47E, 47F

Teilobjekt Kesselschmiede (Schmiede der Wagenreparaturwerkstatt)

Teil-Nr. 09066445,T,002
Sachbegriff Werkstatt
Datierung 1877-1878
Entwurf Lantzendörffer, Friedrich & Stoesger, L.

Teilobjekt Lokomotiv-Reparaturwerkstatt

Teil-Nr. 09066445,T,003,T
Sachbegriff Hallenbau & Werkstatt
Datierung 1877-1879
Entwurf Lantzendörffer, Friedrich & Stoesger, L.

Teilobjekt Halle I

Teil-Nr. 09066445,T,003,T,001
Sachbegriff Fabrikhalle
Datierung 1877-1879
Entwurf Lantzendörffer, Friedrich & Stoesger, L.

Teilobjekt Halle II

Teil-Nr. 09066445,T,003,T,002
Sachbegriff Fabrikhalle
Datierung um 1895

Teilobjekt Halle III & Halle IV & Halle V

Teil-Nr. 09066445,T,003,T,003
Sachbegriff Fabrikhalle
Datierung 1909-1911

Teilobjekt Halle VI

Teil-Nr. 09066445,T,003,T,004
Sachbegriff Fabrikhalle
Datierung um 1920

Teilobjekt Mahnmal Sachsendamm 47

Teil-Nr. 09066445,T,005
Sachbegriff Mahnmal
Datierung nach 1945
Adressen Sachsendamm 47

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