Denkmaldatenbank

Mietshaus Friedrichstraße 43 Rudi-Dutschke-Straße 28

Obj.-Dok.-Nr. 09065008
Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg
Ortsteil Kreuzberg
Adressen Friedrichstraße 43

Rudi-Dutschke-Straße 28
Denkmalart Baudenkmal
Sachbegriff Mietshaus
Datierung 1980-1987
Entwurf Eisenmann, Peter (Architekt)
Entwurf Robertson, Jaquelin & Leeser, Thomas
Kontaktarchitekt Grötzebach, Dietmar & Plessow, Günter & Ehlers, Reinhold
Bauherr Hauert & Noack, Berlin

Das [...] Mietshaus Friedrichstraße 43 und Rudi-Dutschke-Straße 28 ist ein Beitrag Peter Eisenmans und Jacquelin Robertson zur Internationalen Bauausstellung Berlin (IBA 1987). Es ging aus dem 1980 ausgelobten Wettbewerb "Wohnen und Arbeiten in der Südlichen Friedrichstadt" für die Blöcke an der Kreuzung von Friedrich- und Kochstraße hervor. Für jeden der vier Blöcke waren zwei Berliner, zwei westdeutsche und zwei Planer aus dem Ausland eingeladen worden, die einen Bebauungsvorschlag für einen Bereich und zugleich eine Perspektive für das gesamte Planungsgebiet entwickeln sollten. Der Juryvorsitzende Max Bächer bezeichnete das Verfahren als den "bedeutendsten Wohnbauwettbewerb seit '44", der Preisrichter Tilmann Buddensieg lobte die Qualität der Beiträge als "Baugeschichte von morgen". (1)

Der Entwurf von Peter Eisenman für das Wohn- und Geschäftshaus, der von seinem erfahrenen Kollegen Jacquelin Robertson bis zur Fertigstellung des Gebäudes unterstützt wurde, konzentrierte sich auf den kleinen Block an der Friedrichstraße zwischen Rudi-Dutschke-Straße und Zimmerstraße, auf dem drei Altbauten erhalten waren. (2) Die Nordflanke des Blocks lag unmittelbar an der Zonengrenze, die westlich gelegene Friedrichstraße wurde durch die alliierte Kontrolleinrichtung Checkpoint Charlie eingenommen.

Als Direktor des New Yorker Institute for Architecture and Urban Studies (IAUS) und als Mitglied der Architektengruppe New York Five hatte Eisenman die Schlüsselposition in einem internationalen Architekten-Netzwerk eingenommen, bis dahin allerdings noch wenige Bauten ausgeführt. Nach einer Reihe von Entwurfsgutachten, Wettbewerben und einer Serie vielbeachteter Villen in den USA konnte Eisenman erstmals in Berlin - und erstmals im Ausland - ein größeres Projekt realisieren.

Der Beitrag für die IBA gehört als zweiter Entwurf zu einer neuen, elfteiligen Serie, die Eisenman 1978 mit einem Wettbewerbsbeitrag für das Stadtsanierungsgebiet Cannaregio-West in Venedig begründet hatte. Eisenman setzte sich dabei mit der Geschichte der jeweiligen Orte auseinander und inszenierte historische Planungen und bauliche Vorzustände als materielle und intellektuelle Grundlagen der Projekte und Ausgangspunkte der neuen Bebauung.

Für die IBA war Eisenmans Ansatz, der hier seinen Namen "Cities of Artificial Excavation" bekam, von großem Interesse. Für den Entwurf legten Eisenman und Robertson zwei Raster übereinander, die für den Ort bestimmend waren: 1. das Blockschema der barocken Friedrichstadt als historisches Grundgerüst und Verweis auf die Ortsgeschichte und 2. das Mercator-Raster als geographisches Koordinatensystem, in das der Ort an der Grenze der politischen Systeme in seinen globalen Bezügen eingemessen wurde. Die zwei überlagerten Raster bildeten für Eisenman das Bezugssystem, in das er die Bestandsbauten einbinden und in der Vertikalen unterschiedliche Zeitschichten und Bauzustände sichtbar machen konnte.

Der nördliche Blockbereich sollte als Park gestaltet werden und vis-à-vis zur Berliner Mauer die Stadtgeschichte in einem künstlichen archäologischen Grabungsfeld veranschaulichen. Auf den Linien des Mercator-Netzes waren im Park Mauern und Erschließungstürme vorgesehen, "die für die Grundmauern des alten Berlins stehen" sollten. (3) Während der Park trotz kompromissbereiter Überarbeitungen der Architekten und des Einsatzes der IBA im Bezirk Kreuzberg nicht durchsetzbar war, wurde der zugehörige Neubau an der Kreuzung von Friedrich- und Kochstraße (heute Rudi-Dutschke-Straße) 1985-86 ausgeführt.

Die Überlagerung der zwei Raster wurde von Eisenman und Robertson auf den Zuschnitt des Baukörpers und die Gestaltung der Fassaden übertragen. Die auf das Mercator-Netz bezogenen Bauteile liegen schräg auf dem Grundstück und sind durch eine Putzfassade mit einem großformatigen weißen Raster, einer roten Binnenteilung und grauen Feldern kenntlich gemacht. Die am Grundriss der Friedrichstadt orientierten Gebäudeteile sind durch eine klein gerasterte Vorhangfassade gekennzeichnet, in deren enge Lineatur große quadratische Fensteröffnungen eingesetzt wurden. Schmale Laubengänge mit Glasbausteinen übersetzten die geplanten Wegeverbindungen des Areals auf das Gebäude. In den Erschließungstürmen auf der Gebäuderückseite wiederholten sich die Türme, die als Vertikalakzente auch in die "Gedenklandschaft" eingesetzt werden sollten.

Der Zugang erfolgt von der Straße über eine haushohe Lücke, die in das Zentrum des Hauses und zu zwei Erschließungstürmen führt. Im Erdgeschoss und in Teilen des ersten Obergeschosses sind Gewerberäume eingerichtet. Das Haus enthält 37 öffentlich geförderte Wohnungen. In den Grundrissen wurden - wo immer es möglich war - die Nebenräume in L-Form um den Hauptwohnraum gelegt; ein für Eisenman typisches Motiv, das er auch beim Zuschnitt des Gebäudekörpers benutzte. Die Wohnzimmer liegen unmittelbar an den Fassaden, die Schlafzimmer wurden (wie die Bäder und Küchen) meist ins Zentrum der Wohnungen gelegt und durch Wintergärten belichtet.

Der von den Kontaktarchitekten Grötzebach und Plessow gezeichnete Anbau in der Friedrichstraße folgte einer Vorgabe des Bezirksamts, das eine Schließung der bis dahin vorgesehenen Lücke zum Nachbarbau forderte. Günter Plessow passte die Fassade des Anbaus an das gründerzeitliche Nachbarhaus an und übernahm mit dem Erker, den Fenstern des Attikageschosses und dem Dachrand dessen markanteste Elemente.

Im Ausstellungsjahr 1987 war der im Vorjahr fertig gestellte Eisenman-Bau eines der wichtigsten und bildmächtigsten Projekte, das mit Stolz präsentiert wurde. Die markante Ansicht des Gebäudes von der Straßenkreuzung wurde schließlich als Motiv für die 80-Pfennig-Briefmarke ausgewählt, die 1987 von der Bundespost aus Anlass der Internationalen Bauausstellung 1987 herausgegeben wurde.


(1) Grötzebach, Dietmar: Stadtreparatur im alten Zeitungsviertel. Rekonstruktion eines Blockes - ideal und real. In: Arch+ 66 (1982), S. 26.

(2) IBA Projektübersicht 1991, S. 172-174; Peters, Paulhans: Die Grundrisse hinter den Fassaden. In: Baumeister (1987) 5, S. 39, 44; Rumpf, Peter: Ungewöhnliches für einen ungewöhnlichen Ort. In: Bauwelt (1981) 10, S. 349-359; Forster, Kurt W.: Eisenman/Robertson's Cities of Artificial Excavation. In: The Work of Peter Eisenman, 1978-1988, hrsg. v. Jean-François Bédard, Montreal 1994; Peter Eisenman. Bauten und Projekte, hrsg. v. Pippo Ciorra, Stuttgart 1995, S. 66-71; Auf den Spuren von Eisenman, hrsg. v. Cynthia Davidson, Sulgen - Zürich 2006; Eisenman, Peter: Museum der künstlich ausgegrabenen Stadt am Checkpoint Charly. In: IBA Neubaugebiete 1987, S. 186-187; Grötzebach, Dietmar; Plessow, Günter; Ehlers, Reinhold: Wohn- und Geschäftshaus Kochstraße 62- 63/Friedrichstraße 43. In: IBA Neubaugebiete 1987, S. 188-189; Internationale Bauausstellung Berlin 1987. Beispiele einer neuen Architektur, hrsg. v. Heinrich Klotz und Josef Paul Kleihues, Stuttgart 1986, S. 164-169; Peter Eisenman. Barfuß auf glühenden Mauern, hrsg. v. Peter Noever, Wien - Ostfildern 2005, S. 112-115.

(3) IBA Projektübersicht 1991, S. 174.

Literatur:

  • Bauausstellung Berlin GmbH (Hg.): Internationale Bauausstellung Berlin 1987, Projektübersicht, Berlin 1987, S. 172-174; Baumeister (1987) 5 / Seite 39, 44
  • Bauwelt (1981) 10 / Seite 349-359
  • Ciorra, Pippo (Hg.): Peter Eisenman. Bauten und Projekte, Stuttgart 1995 / Seite 66-71
  • Klotz, Heinrich; Kleihues, Josef Paul (Hg.): Internationale Bauausstellung Berlin 1987. Beispiele einer neuen Architektur, Stuttgart 1986 / Seite 164-169
  • Noever, Peter (Hg.): Peter Eisenman. Barfuß auf glühenden Mauern, Wien, Ostfildern 2005 / Seite 112-115
  • Kleihues, Josef Paul (Hg.): Internationale Bauausstellung Berlin 1984/87. Die Neubaugebiete. Dokumente, Projekte. Südliche Friedrichstadt, Band 3, Stuttgart 1987 / Seite 186-189
  • Davidson, Cynthia (Hg.): Auf den Spuren von Eisenman, Sulgen, Zürich 2006 & Bédard, Jean-Francois (Hg.): Cities of Artificial Excavation; The Work of Peter Eisenman, 1978-1988, Montreal 1994 / Seite .
  • Topographie Friedrichshain-Kreuzberg/Kreuzberg, 2016 / Seite 122 ff.

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Landesdenkmalamt Berlin
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