Denkmaldatenbank

Untersuchungshaftanstalt Moabit

Obj.-Dok.-Nr. 09050319
Bezirk Mitte
Ortsteil Moabit
Adressen Alt-Moabit 12A, 13

Rathenower Straße 79A, 80, 81
Denkmalart Baudenkmal
Sachbegriff Gefängnis
Entwurf 1877
Datierung 1877-1881
Umbau 1905, 1912
Entwurf Herrmann, Heinrich (Architekt)
Entwurf Busse, August Wilhelm Martin Heinrich (Architekt)
Bauherr Kgl. Ministerial-Bau-Kommission (Justizfiskus)

(...) dort, wo Invalidenstraße, Alt-Moabit und Rathenower Straße zusammentreffen, erhebt sich abweisend hinter einer hohen Mauer die massive Baugruppe der Untersuchungshaftanstalt Moabit, Alt-Moabit 12 A-13 und Rathenower Straße 79 A-81. (1) Zusammen mit dem Land- und Amtsgericht Berlin nehmen die Justizeinrichtungen den gesamten Block bis zur Turmstraße und zur Wilsnacker Straße ein. Die monumentalen Bauten formen einen stadtbildprägenden Baukomplex im Osten Moabits. Seitdem das kriegszerstörte Alte Kriminalgericht abgerissen ist, das die dreieckige Spitze zwischen Alt-Moabit und Rathenower Straße besetzt hatte, fällt der Blick ungehindert auf die kargen Ziegelwände der Gefängnisbauten. Die Untersuchungshaftanstalt wurde 1877-81 von Oberbaudirektor Heinrich Herrmann unter Mitwirkung von August Busse errichtet. (2) Zuerst blickt man auf den konkav gebogenen Baukörper des früheren Frauengefängnisses, der ursprünglich zwischen den beiden Flügeln des Kriminalgerichts eingespannt war. Dahinter erstreckt sich das sternförmige Männergefängnis mit der überkuppelten 26 m hohen Zentralhalle. An der Rathenower Straße liegt zunächst das 1912-13 umgebaute Krankenhaus, dann folgt ein zweigeschossiges Küchen- und Wirtschaftsgebäude. Anstelle des zerstörten Verwaltungsgebäudes an der Straße Alt-Moabit wurde 1963-67 ein zeittypischer wuchtiger Betonneubau errichtet. (3) Das benachbarte Beamtenwohnhaus musste 1983 "übergeordneten Gründen der öffentlichen Sicherheit" weichen. (4) Die Fläche blieb bis heute unbebaut.

Während das mit gelben Klinkern verkleidete Frauengefängnis 1974-77 im Inneren für den Wohngruppenvollzug völlig umgestaltet wurde, blieb die Zellen- und Gangaufteilung des Männergefängnisses weitgehend bewahrt. Die Haftanstalt gehört zu den wenigen noch erhaltenen Gefängnissen des 19. Jahrhunderts, die nach dem panoptischen System angelegt worden sind. Die Zellenflügel gehen sternförmig von einer Zentralhalle ab. Das Aufsichtspersonal kann vom Inspektionspunkt der Zentralhalle alle Flügel und Zellentüren ohne Stellungswechsel überwachen. Vorbild war das 1840-42 erbaute Gefängnis von Pentonville in England. War das vorgelagerte Kriminalgericht seiner staatlichen Bedeutung entsprechend als Repräsentationsbau im Rundbogenstil gestaltet, zeigen die heute freigestellten Gefängnisgebäude den nüchternen, sparsamen preußischen Baustil der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sie sind ein anschauliches Beispiel für die Architektur von Heinrich Herrmann, der in der Tradition der Berliner Schinkelschule große öffentliche Bauten entwarf. (5) Durch den Verzicht auf historisierendes Beiwerk, mit der sachlichen Reduktion der Baumassen, entwickelt aus Materialhaftigkeit und Konstruktion, brachte der Architekt den repressiven Zweck des Gebäudes unmissverständlich zum Ausdruck. (6) Dass die gelben und roten Backsteinfassaden dennoch nicht monoton wirken, ist der ausgewogenen Gliederung und dem zielgerichteten Einsatz antikisierenden Dekors zu verdanken. So werden die Fronten des Zellengefängnisses durch Lisenen, Blendfelder und aufgereihte Stichbogenfenster gegliedert, während am Kranzgesims ein Bogenfries zu sehen ist. Mit den gebäudehohen Korridorfenstern der Stirnseiten zeichnet sich das innere Gang- und Überwachungssystem ab. Die Zentralhalle, das für den panoptischen Aufbau wichtigste Element, wurde architektonisch besonders herausgestellt. Die Kuppel ist mit ihren rundbogigen Drillingsfenstern im Tambour das weithin erkennbare Signum des Gefängnisses. Der nicht mehr vorhandene, von Heinrich Herrmann beabsichtigte reizvolle Gegensatz zur reicheren Architektur des Kriminalgerichts lässt sich heute nur noch anhand der Bauten längs der Rathenower Straße erahnen. Hier sind die roten Backsteinflächen kontrastierend von hellen Werksteinelementen eingefasst. Gesimse und Fenstereinfassungen bestehen aus gelbgrauem Sandstein.

Die Untersuchungshaftanstalt für Kriminaldelikte, die ursprünglich mehr als 1.200 Gefangene aufnehmen konnte, ist eine bedeutende Stätte der Berliner Justizgeschichte. Im Gefängnis waren prominente Personen inhaftiert, unter anderem solche, denen politisch motivierte Straftaten vorgeworfen wurden. (7) Zu ihnen gehörten Franz Mehring, Rosa Luxemburg, Georgi Dimitroff und Ernst Thälmann, die Mitglieder der so genannten Rote Armee Fraktion Ulrike Meinhof und Andreas Baader sowie der letzte Staatschef der DDR, Erich Honecker.


1) Der Neubau des Criminalgerichts-Etablissements zu Berlin. In: Wochenblatt für Architekten und Ingenieure 2 (1880), S. 304-306, 310-312; Hermann, H.: Das Criminalgerichts-Etablissement zu Berlin, im Stadttheile Moabit. In: Zeitschrift für Bauwesen 35 (1885), Sp. 521-536, Atlas, Tafeln 62-65; Matz, R.: Bauliche und wirthschaftliche Einrichtung des Untersuchungs-Gefängnisses Alt-Moabit 11/12. Berlin 1887; BusB 1896, Bd. 2, S. 337-340, 348; Wirth 1955, S. 99; BusB III, S. 80-81; Grzywatz, Berthold: Die Untersuchungshaft- und Aufnahmeanstalt Moabit, Alt-Moabit 12 a. In: Geschichtslandschaft 1987, S. 187-201; Klinkott 1988, S. 328-334.

2) zum Werk des Architekten Heinrich Herrmann (1821-1889) siehe Börsch-Supan 1977, S. 582. Vor dem Bau des Moabiter Gerichts- und Gefängnisgebäudes war Herrmann mit dem Bau der Strafanstalt in Plötzensee (1869-76) betraut.

3) Entwurf durch die Senatsbauverwaltung für Wohnungswesen unter Leitung von Gerhard Rümmler und Siegfried Römer, siehe BusB III, S. 81.

4) Grzywatz, Berthold: Die Untersuchungshaft- und Aufnahmeanstalt Moabit, Alt-Moabit 12 a. In: Geschichtslandschaft 1987, S. 189.

5) zum Werk von Heinrich Herrmann (1821-89) siehe Börsch-Supan 1977, S. 582. Vor dem Bau des Moabiter Gerichts- und Gefängnisgebäudes war Heinrich Herrmann mit dem Bau der Strafanstalt am Plötzensee (1869-76) betraut.

6) Klinkott 1988, S. 325.

7) Historische Stätten in Berlin. Hrsg. v. Richard Schneider. Berlin 1987, S. 15-16.

Literatur:

  • Zeitschrift für Bauwesen 35 (1885) / Seite 521-536
  • Inventar Tiergarten, 1955 / Seite 99
  • Grzywatz, Berthold/ Die Untersuchungshaft- undAufnahmeanstalt Moabit =Geschichtslandschaft, Tiergarten 2,1987 / Seite 187-201
  • BusB II/III 1896 / Seite 348
  • BusB III 1966 / Seite 80f
  • Berlin/ Residenzstadt, 1981 / Seite 573-583 (Nachweis Pentonville etc.)
  • Topographie Mitte/Tiergarten, 2005 / Seite 205

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Juliane Stamm
Landesdenkmalamt Berlin
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