Denkmaldatenbank

Viktoria-Areal, Bilka, Café Kranzler, Viktoria-Haus

Obj.-Dok.-Nr. 09040517
Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf
Ortsteil Charlottenburg
Adressen Kurfürstendamm 19, 20, 24

Joachimsthaler Straße 5, 6

Kantstraße 160
Denkmalart Gesamtanlage
Sachbegriff Kaufhaus & Bürogebäude & Café
Datierung 1955-1963
Entwurf Dustmann, Hanns (Architekt)
Bauherr Viktoria Versicherungs AG
Ausführung Wayss und Freytag AG

In die Zeit des frühen Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg führt das ehemalige Victoria-Areal, Kurfürstendamm 19-20, 24 u.a., das 1955-63 für die Victoria-Lebensversicherungs AG nach dem Entwurf von Hanns Dustmann auf einem knapp 20.000 Quadratmeter großen Gelände entlang der Joachimsthaler Straße zwischen Kantstraße und Kurfürstendamm ausgeführt wurde. (1) Es stellte in den 1950er Jahren neben dem nahe gelegenen Zentrum am Zoo und dem Ernst-Reuter-Platz eines der wichtigsten Bauprojekte im Westen der Stadt dar. Mit der berühmten Rotunde des Café Kranzler und dem überkuppelten Kubus des ehemaligen Bilka-Kaufhauses wurde der Baukomplex zu einem überregional bekannten Wahrzeichen im Zentrum West-Berlins. Trotz eines einschneidenden Umbaus der gesamten Anlage 1997-2000 nach Entwurf des Chicagoer Architekten Helmut Jahn, bei dem ein gläserner Hochhausriegel wie ein Keil zwischen die eleganten, mit Travertin verkleideten Bauten der 1950er Jahre getrieben wurde, sind wichtige Elemente der ursprünglichen Anlage erhalten: Neben dem Kaufhausbau sind das die Ladenpassage an der Joachimsthaler Straße, die Ladenzeile am Kurfürstendamm mit dem Eckgebäude, in dem sich bis Februar 2000 das Café Kranzler befand, und das achtgeschossige Bürogebäude, das ehemalige, heute von einem Hotel genutzte Victoria-Haus. (2) In seiner heutigen Gestalt verkörpert der Gesamtkomplex mit dem so genannten Neuen Kranzler Eck und dem ehemaligen Victoria-Areal besonders anschaulich den permanenten Wandel der Bauten am Kurfürstendamm.

Auf ehemals elf Mietshausparzellen entstand die Anlage aus einzelnen, aber miteinander verbundenen Bauten, die entsprechend ihrer Funktion - Bürogebäude, Kaufhaus, Läden, Gastronomie - in Form und Höhe unterschiedlich, jedoch durch eine gemeinsame Gestaltung und mit öffentlich zugänglichen Innenhöfen zusammengefasst waren. Städtebaulich folgte der Entwurf Dustmanns der Konzeption der verkehrsgerechten Stadt an der stark verbreiterten Joachimsthaler Straße. In Verbindung mit dem gegenüberliegenden, kurz zuvor fertig gestellten Allianz-Gebäude wurde dadurch der Kreuzungsbereich mit dem Kurfürstendamm zu einem großflächigen Stadtraum aufgeweitet. (3)

Das im ersten Bauabschnitt 1955-56 errichtete ehemalige Bilka-Kaufhaus, Joachimsthaler Straße 5-6, war das erste Kaufhaus in Berlin mit einer vollständig fensterlosen Straßenfassade am vorkragenden Obergeschoss und ausschließlich künstlicher Beleuchtung im Inneren. (4) Dies ermöglichte die Stahlbeton-Skelettbauweise, in der die gesamte Anlage errichtet war. Für die Gestaltung der riesigen Wandflächen über der Schaufensterzone des Erdgeschosses wählte der Architekt eine dekorative Travertin-Verkleidung, die mit einem textil anmutenden, rautenförmigen Muster mit Intarsien aus grauem Muschelkalk und rotem Kalkstein versehen ist. (5) Im Inneren ist das zentrale Atrium, das mit Treppen und Rolltreppe vom Untergeschoss durch alle drei Geschosse reicht und über eine künstlich beleuchtete Kuppel erhellt wird, trotz mehrfacher Umgestaltungsmaßnahmen der Verkaufsräume erhalten.

Die anschließende, 1957-58 errichtete zweigeschossige Ladenzeile Joachimsthaler Straße 7-9 wurde wegen der Verbreiterung der Straße etwa 13 Meter hinter die ursprüngliche Bauflucht zurückgesetzt. Das weit vorkragende Obergeschoss, mit seinen großen Fensterflächen ebenfalls für Verkaufsräume gedacht, überfängt vor den Schaufenstern des Erdgeschosses einen passagenartigen Gang, der ehemals durch Vitrinen zur Straße hin abgegrenzt war. (6) Die schmalen Wandflächen sind wie das Kaufhaus mit Travertin verkleidet. Im Bauteil an der Straßenecke zum Kurfürstendamm erhielt das Café Kranzler 1958 auf beiden Etagen einen neuen Standort am traditionellen Ort. Bereits 1896 befand sich hier mit dem "Café des Westens" im Erdgeschoss eines herrschaftlichen Mietshauses das erste Caféhaus am Kurfürstendamm, das um 1900 zum Treffpunkt der literarischen Szene wurde. (7) 1932 übernahm das Café Kranzler die Räumlichkeiten. Nach Kriegszerstörung des Hauses war das Café zunächst in einem provisorischen Flachbau untergebracht. (8) Den Neubau gestaltete Hanns Dustmann mit einer überdachten Terrasse vor dem Erdgeschoss, einem Balkon mit weiß-goldenen Metallgittern und rot-weißen Markisen vor dem Obergeschoss sowie einem runden Pavillon auf dem Flachdach, der mit seiner ebenfalls rot-weiß gestreiften Markise und dem metallenen Zierband mit dem Namenszug die berühmte Straßenecke über Jahrzehnte prägte. (9) Die Travertinverkleidung der Wandflächen, mit Goldblech überzogene Betonsäulen, gold-eloxierte Rahmungen der Stahlfenster und eine frei tragende Wendeltreppe mit Marmorverkleidung im Inneren belegen den damaligen gestalterischen Anspruch am Kurfürstendamm als "Schaufenster des Westens". Von der anschließenden, ab 1961 erbauten Ladenzeile wurde für das Neue Kranzler Eck ein Teilstück abgerissen, die Schaufensterzone teilweise verändert. (10) Dagegen hat das achtgeschossige Bürogebäude, das so genannte Victoria-Haus, Kurfürstendamm 24, sein ursprüngliches Aussehen im Wesentlichen bewahrt. Das 1961-63 ausgeführte Gebäude wurde für den Anschluss an das "Hotel am Zoo" 1967-70 aufgestockt, die Rasterfassade des Stahlbetonskelettbaus ist wie bei allen Bauten des Victoria-Areals an den unteren Geschossen mit Travertin verkleidet, die beiden obersten Geschosse zeigen eine Stahl-Glas-Fassade.


(1) Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin, Stadt und Bezirk Charlottenburg, bearb. von Irmgard Wirth, Text- u. Tafelband, Berlin 1961, S. 562-564, 668-669, Abb. 772, 865; Geschichtslandschaft Berlin, Orte und Ereignisse, Bd. 1, hrsg. v. Helmut Engel, Stefi Jersch-Wenzel, Wilhelm Treue, Charlottenburg, Teil 2, Der neue Westen, Berlin 1985, S. 442-451; Metzger, Karl-Heinz/Dunker, Ulrich: Der Kurfürstendamm, Leben und Mythos des Boulevards in 100 Jahren deutscher Geschichte, Berlin 1986, S. 195, 208, 221; Architekten- und Ingenieur-Verein zu Berlin (Hrsg.): Berlin und seine Bauten, Teil VIII, Bauten für Handel und Gewerbe, Bd. A, Handel, Berlin 1978, S. 66 f., 83, 266 f., 291; Architekten- und Ingenieur-Verein zu Berlin (Hrsg.): Berlin und seine Bauten, Teil VIII, Bauten für Handel und Gewerbe, Bd. B, Gastgewerbe, Berlin 1980, S. 94 f., 120; Architektur und Wohnform 71 (1963), S. 278-281; BW 54 (1963), S. 107; Durth, Werner/Gutschow, Niels: Träume in Trümmern, Bd. 2, Braunschweig-Wiesbaden 1988, S. 922; Krausse-Jünemann, Eva-Maria: Hanns Dustmann (1902-1979), Kontinuität und Wandel im Werk eines Architekten der Weimarer Republik bis Ende der fünfziger Jahre, Kiel 2002, S. 209-219, Abb. 191-203; Dorsemagen, Dirk: Büro- und Geschäftshausfassaden der 50er Jahre, Konservatorische Probleme am Beispiel West- Berlin, Diss. Berlin 2004, Kat.-Nr. 25; Von Haus zu Haus am Kurfürstendamm, Geschichte und Geschichten über Berlins ersten Boulevard, hrsg. v. Museum Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin, Berlin 2011, S. 19-23; Baukunst der Nachkriegsmoderne, Architekturführer Berlin 1949-1979, hrsg. v. Adrian von Buttlar, Kerstin Wittmann-Englert, Gabi Dolff-Bonekämper, Berlin 2013, S. 244 f.

(2) Das Neue Kranzler Eck ist ein 16-geschossiges verglastes Bürogebäude, das mit einer spitz zulaufenden Ecke wie ein Schiffsbug weit in den Kurfürstendamm hineinragt und hier von der Lichtinstallation "Lichtbug" des französischen Künstlers Yann Kersalé akzentuiert wird. Für den Neubau wurde ein Teil der Ladenzeile am Kurfürstendamm abgerissen und der Innenhof u.a. mit einer großen Voliere neu gestaltet. Zeitgleich wurden die denkmalgeschützten Bauten des Victoria-Areals saniert, die Fassaden gereinigt und die Fenster erneuert. Da das Eckgebäude für ein Modegeschäft umgebaut wurde, zog das Café Kranzler 2001 in die Rotunde, 2016 schloss es endgültig. Seitdem gibt es hier wieder ein Café. Vgl. Dorsemagen 2004, Nr. 25; Von Haus zu Haus am Kurfürstendamm 2011, S. 19-23; Baukunst der Nachkriegsmoderne 2013, S. 244 f.

(3) Im Wettbewerbsentwurf plante Hanns Dustmann ein 17-geschossiges Hochhaus im Zentrum der Anlage als Antwort auf das gegenüberliegende Allianz-Hochhaus, das jedoch nicht ausgeführt wurde. Auf diesen Teil des ursprünglichen Entwurfs bezieht sich der Neubau von Helmut Jahn. Vgl. BW 46 (1955), S, 675, 745-749.

(4) Die Warenhausbauten im Wilhelminischen Kaiserreich, wie zum Beispiel Alfred Messels Wertheimbau am Leipziger Platz, stellten lichttechnisch ein Fiasko dar: Die Verkaufsflächen waren durch Fenster nicht ausreichend zu beleuchten und die Ware ließ sich im Gegenlicht nicht vorteilhaft präsentieren; künstliche Beleuchtung bereitete noch technische Schwierigkeiten. Erst mit der Entwicklung des elektrischen Lichts wurden jene fensterlosen, ausschließlich künstlich beleuchteten Bauten möglich, die in den nachfolgenden Jahrzehnten den Prototyp des modernen Kaufhauses darstellten.

(5) Diese Gestaltung verdeutlicht die nicht tragende Funktion der Wände und knüpfte an Vorbilder in der Wandgestaltung größerer Speichergebäude der Weimarer Republik an (z.B. in Berlin der Eierspeicher an der Oberbaumbrücke, Bezirk Kreuzberg-Friedrichshain). Im Detail wurde hier allerdings ein nicht ausgeführter, aber 1954 publizierter Entwurf von Willem Marinus Dudok für das Kaufhaus Bijenkorf in Rotterdam rezipiert. Vgl. Baukunst der Nachkriegsmoderne 2013, S. 244 f.

(6) Eine "soziologische Standort-, Verkehrs- und tiefbautechnische Analyse des Gebiets" war Grundlage für den Entwurf. Ein gewisses Gedränge vor den Schaufenstern sollte verkaufsfördernd sein. Vgl. Wedepohl, Edgar: Der Wettbewerb der "Victoria" um Berlins berühmte Kurfürstendammecke. In: BW 46 (1955), H. 38, S. 745-749; Hoh-Slodczyk, Christine: Der Berliner City-Betrieb als Herausforderung für den Denkmalschutz. In: Architektur und Städtebau der Fünfziger Jahre, hrsg. v. Werner Durth u. Niels Gutschow, Schriftenreihe des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz, Bd. 41, S. 134-143, S. 141 f.

(7) In dem 1894-95 von Christoph Osten und Max Welsch errichteten Mietshaus begründete 1896 das "Kleine Café" die Caféhauskultur am Kurfürstendamm. Ab 1898 nannte es sich "Café des Westens", das sich bis 1912 zum Treffpunkt der Vertreter der literarischen und künstlerischen Avantgarde, von Schauspielern und Verlegern entwickelte; bald wurde es als "Café Größenwahn" bezeichnet. Nachdem das Café des Westens in den Neubau Kurfürstendamm 26 umgezogen war, verlagerte sich der Treffpunkt der Literaten ins Romanische Café am Auguste-Victoria-Platz. Im Haus Kurfürstendamm 18-19 eröffnete 1932 der österreichische Hofkonditor Johann George Kranzler eine Filiale seines Cafés an der Friedrichstraße. Vgl. Geschichtslandschaft Berlin, Orte und Ereignisse, Bd. 1, hrsg. v. Helmut Engel, Stefi Jersch-Wenzel, Wilhelm Treue, Charlottenburg, Teil 2, Der neue Westen, Berlin 1985, S. 442-451; Von Haus zu Haus am Kurfürstendamm 2011, S. 19-21.

(8) Der Flachbau in der Ruine des Hauses wurde nach Entwurf von Paul Schwebes 1951 ausgeführt. Vgl. Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin, Stadt und Bezirk Charlottenburg, bearb. von Irmgard Wirth, Text- u. Tafelband, Berlin 1961, S. 563.

(9) Hanns Dustmann (1902-1979) kam 1929 nach dem Studium in Hannover und München nach Berlin und wurde Mitarbeiter im Büro von Walter Gropius und im Reichsbankbaubüro unter Heinrich Wolff. Ab 1937 arbeitete er in der Bauabteilung der Hitler-Jugend und bei Albert Speer. Nach dem Krieg entwarf er als selbstständiger Architekt zahlreiche Bank-, Versicherungs- und Bürogebäude. Die verglaste Rotunde des Café Kranzler erinnert an einen Entwurf für ein Yacht-Clubhaus in Buenos Aires von Walter Gropius von 1931, an dem Dustmann mitgewirkt haben soll. Vgl. Krausse-Jünemann, Eva-Maria: Hanns Dustmann (1902-1979), Kontinuität und Wandel im Werk eines Architekten der Weimarer Republik bis Ende der fünfziger Jahre, Kiel 2002; Baukunst der Nachkriegsmoderne 2013, S. 245. (10) Darüber hinaus wurden im Innenhofbereich ein Pavillon und der so genannte Brunnenhof sowie ein 1967 errichtetes Parkhaus für den Neubau aufgegeben. Vgl. Viktoria Areal, Städtebauliches Gutachten, Berlin 1992.

Literatur:

  • Bauwelt 46 (1955) 38 / Seite 745-749, 760
  • Bauwelt 47 (1956) / Seite 760
  • Inventar Charlottenburg, 1961 / Seite 562-564, 668f.
  • Ostwald, Hans: Berliner Kaffeehäuser, Berlin und Leipzig, 1905 / Seite 33-40
  • Szatmari, Eugen: Das Buch von Berlin, München um 1930 / Seite 121
  • Goetz, Wolfgang: Im "Größenwahn", bei Pschorr und anderswo,1936Pem, Heimweh nach dem Kurfürstendamm, Berlin 1952 / Seite 78f.
  • BusB VIII B 1980 / Seite 120
  • Geschichtslandschaft, Charlottenburg 2, 1985 / Seite 442ff.
  • Der Kurfürstendamm, Leben und Mythos des Boulevards in 100Jahren deutscher Geschichte, Berlin 1986 / Seite 195, 208, 221, 240
  • Architektur und Wohnform (1963) / Seite 278-281
  • Bauwelt 54 (1963) / Seite 107
  • Rave/ Knöfel: Bauen seit 1900, 1968 / Seite .
  • BusB VIII B 1980 / Seite 120
  • Zeidler/ Wimmel: Bauen in Naturstein, 1960 / Seite Römischer Travertin
  • Durth/ Gutschow: Träume in Trümmern, Bd. 2, Braunschweig,Wiesbaden 1988 / Seite 922
  • Bauwelt 55 (1964) / Seite 745f.

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Juliane Stamm
Landesdenkmalamt Berlin
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