Denkmaldatenbank

Wohnanlage mit ehemaligem Straßenbahn-Betriebshof

Obj.-Dok.-Nr. 09040513
Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf
Ortsteil Westend
Adressen Königin-Elisabeth-Straße 9, 11, 19, 21, 25, 27, 29, 31

Fredericiastraße 9, 9A, 9B, 10, 10A, 10B, 16

Haeselerstraße 17D, 17E, 17F, 17G

Knobelsdorffstraße
94, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 101, 102, 103, 105, 107, 109, 110, 111, 112, 113, 114, 115, 116, 117, 118, 119, 120, 121

Soorstraße 63, 64, 65, 66, 67, 68, 69, 70, 71, 71A
Denkmalart Gesamtanlage
Sachbegriff Wohnanlage & Straßenbahndepot
Datierung 1927-1930
Entwurf Krämer, Jean & Mensch, Gerhard & Salvisberg, Otto Rudolf (Architekt & Ingenieur)
Bauherr Gemeinnützige Heimstättengesellschaft der Berliner Straßenbahn-Betriebs GmbH & Berliner Spar- und Bauverein
Ausführung Berlinische Baugesellschaft

Unmittelbar an die damals fortschrittliche Reformsiedlung der Haeselerstraße schließt sich südlich eine der bedeutendsten und größten Wohnanlagen im Stil der Neuen Sachlichkeit an, das Baudenkmal Königin-Elisabeth-Straße 9/11, 19/21, 25/31. Der Komplex mit rund 600 Wohnungen und einem Straßenbahn-Betriebshof für die BVG entstand 1927-30 in Zusammenarbeit der renommierten Architekten Jean Krämer und Otto Rudolf Salvisberg. (1)

Die Anlage besitzt eine städtebaulich imposante Eingangssituation am Kreuzungspunkt der Königin-Elisabeth-Straße mit der Knobelsdorffstraße: Durch zwei deutlich zurückversetzte Wohnzeilen mit Ladengeschäften ist hier der Stadtraum platzartig aufgeweitet. Beiderseits setzten kubische, achtgeschossige Turmhäuser effektvolle Akzente. Sie besitzen zur Straße orientierte, sandsteinsichte Wandelgänge mit Dachterrassen. (2)

Im Winkel zwischen Wohnzeilen und Türmen erheben sich auf der Terrassenanlage die überlebensgroßen, aus Muschelkalk gearbeiteten Kolossalskulpturen "Arbeit" (männliche Figur) und "Heim" (Mutter mit Kind) von 1928. Sie stammen von Josef Thorak, der zu einem der populärsten Bildhauer des NS-Regimes avancierte. Die Monumentalität und Theatralik von Architektur und Skulptur überrascht im Hinblick auf die Bauzeit um 1928, denn etwa 10 Jahre später wird sie charakteristisch für nationalsozialistische Stadtinszenierungen.

Die Platzgestaltung erinnert an ein Stadttor, durch das man von der Innenstadt ins Villenviertel Westend auf dem Spandauer Berg gelangt. Der Weg führt entlang der Knobelsdorffstraße, die hier über acht Meter ansteigt. Die Wohnhauszeile an der Nordseite der Knobelsdorffstraße schließt unmittelbar an die in offener Bauweise errichtete Reformwohnanlage in der Haeselerstraße von 1913 an. (Verweis) Sie entstand ebenfalls im Auftrag des "Berliner Spar- und Bauvereins" und kennzeichnet nun eine für die 1920er Jahre typische Zeilenbauweise. Nach Kriegszerstörungen ist sie wiederaufgebaut worden. (3) In einem zweiten Bauabschnitt entstand die Wohnbebauung auf der gegenüberliegenden, der westlichen Straßenseite der Knobelsdorffstraße im Auftrag der "Gemeinnützigen Heimstättengesellschaft der Berliner Straßenbahnbetriebe eGmbH".

Die bauliche Grundstruktur beider Wohnzeilen entspricht im Wesentlichen einander: Die für die Moderne der 1920er Jahre charakteristische Anlage fasziniert durch ihren klar strukturierten Aufbau der Baumassen. Sie zeichnet sich durch eine geschickt gestaffelte, lebhafte Fassadenstruktur aus. Dem Stil der Neuen Sachlichkeit entsprechen die kubischen Grundformen, die Flächigkeit, das bandartige Zusammenfassen von Fenstern und Loggien, verschiedenfarbige Putzflächen, lineare Gesimsbänder und Walmdächer mit geringer Neigung. Insbesondere die erkerartigen, scharfkantigen Vorbauten, die durchgehende Trauflinie und die Dachausbildung belegen innovativen Gestaltungswillen der Architekten.

Die Wohnanlage umfasst auch Wohnhäuser an der Königin-Elisabeth-Straße, Haeselerstraße und Soorstraße sowie eine eigenständige Wohnanlage an der Fredericiastraße (9-10 BC). Der dreigliedrige Bau mit seiner sachlichen, die Vertikale betonenden Gliederung umschließt einen Vorplatz vis-a-vis der Meerscheidtstraße, der hier effektvoll die Blockrandbebauung aufbricht.

Ins Blockinnere gelangt man über die beiden Einfahrten an der Königin-Elisabeth-Straße. Darin liegt verborgen das weitläufige Terrain des ehemaligen Straßenbahn-Betriebshofs Charlottenburg der BVG. Er wurde nach Fertigstellung der Wohnbebauung im Jahr 1930 eröffnet und bot Platz für bis zu 320 Straßenbahnwagen. Die Freifläche (heute PKW-Parkplatz) rahmen eingeschossige, backsteinsichtige Garagen und Werkstattgebäude. Den hinteren Hofbereich nimmt die ehemalige Straßenbahn-Betriebshalle (kurz: Wagenhalle) ein. Sie wurde 1967 stillgelegt, gegenwärtig dient sie als Discounter und Zweiradgroßhandel.

Die Wagenhalle entwickelte Jean Krämer gemeinsam mit dem Ingenieur Gerhard Mensch. Die Dachfläche von etwa 100 x 120 Metern ruht auf nur sechs Stützen, die die Dachlast von Blechbindern aufnehmen. (4) Horizontale Fensterbänder sowie verglaste, rechteckige Dachhäuser sorgen für eine großzügige Innenbelichtung. Von der einstigen Nutzung als Straßenbahndepot künden heute eindrucksvoll die hohen Einfahrtstore der Wagenhalle.


(1) Architekten- und Ingenieur-Verein zu Berlin (Hrsg.): Berlin und seine Bauten, Teil IV, Wohnungsbau, Bd. A, Die Voraussetzungen, Die Entwicklung der Wohngebiete, Berlin 1970, 281 f.; Architekten- und Ingenieur-Verein zu Berlin (Hrsg.): Berlin und seine Bauten, Teil IV, Wohnungsbau, Bd. B, Die Wohngebäude, Mehrfamilienhäuser, Berlin-München-Düsseldorf 1974, S. 388; Architekten- und Ingenieur-Verein zu Berlin (Hrsg.): Berlin und seine Bauten, Teil X, Bd. B (1), Städtischer Nahverkehr, Berlin-München-Düsseldorf 1979, S. 236-38 u. 253; Lichtenstein, Claude u. a.: O. R. Salvisberg. Die andere Moderne, Zürich 1995, S. 58 f., WV 126, S. 238 (dort weiterführende Lit.); o. A.: Jean Krämer, Neue Werkkunst, Berlin 1996, S. 22-25; Bauen in Berlin 1900-2000, Ausstellungskat. Berlin 2000, S. 129; Berliner Wohnquartiere 2003, hrsg. v. Berning, Maria/Braum, Michael/Giesecke, Jens/Lütke Daldrup, Engelbert/Schulz, Klaus, Berlin 2003, S. 86-89; Architekturführer Berlin, hrgs. v. Wörner, Martin/Hüter, Karl-Heinz/Sigel, Paul/ Mollenschott, Doris, Berlin 2013, S. 238, Nr. 372; Anderson, Stanford, Grunow, Karen u. Krohn, Carsten: Jean Krämer, Architekt, und das Atelier von Peter Behrens, Weimar 2015, S. 204-09.

(2) In ihrer Grundform vergleichbare Turmhäuser entwarf Jean Krämer für die 1925-27 errichtete BVG-Siedlung mit Straßenbahndepot in der Müllerstraße in Berlin-Wedding. Vgl. Anderson, Stanford/Grunow, Karen/Krohn, Carsten: Jean Krämer, Architekt, und das Atelier von Peter Behrens, Weimar 2015, S. 174 ff.

(3) Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin, Stadt und Bezirk Charlottenburg, bearb. von Irmgard Wirth, Textband u. Tafelband, Berlin 1961, S. 458. - Die Wohnbauten an der Ostseite sind heute Besitz der Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892 eG.

(4) Architekten- und Ingenieur-Verein zu Berlin (Hrsg.): Berlin und seine Bauten, Teil X, Bd. B (1), Städtischer Nahverkehr, Berlin-München-Düsseldorf 1979, S. 253.

Literatur:

  • Schallenberger: Berliner Wohnbauten, 1931 / Seite 91
  • Inventar Charlottenburg, 1961 / Seite 458
  • Hajos, Zahn: Berliner Architektur, 1928 / Seite 119
  • Wasmuths Monatshefte für Baukunst 12 (1928) / Seite 559
  • Deutsche Bauzeitung 65 (1931) / Seite 121
  • Architekten- und Ingenieurverein Berlin (Hrsg.): Berlin und seine Bauten, Teil IV, Band B, Berlin 1974 / Seite 338
  • Architekten- und Ingenieurverein Berlin (Hrsg.): Berlin und seine Bauten, Teil X, Band B (1), Berlin 1979 / Seite 236ff., 253
  • ETH Zürich / Institut für Geschichte und Theorie der Architektur (Hrsg.): O. R. Salvisberg : die andere Moderne, Zürich 1985 / Seite 58f., 238
  • Architekturführer Berlin, 1989 / Seite 58
  • Lorenz, Werner; May, Roland; Staroste, Hubert: Ingenieurbauführer Berlin, Petersberg 2020 / Seite 166f.

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Juliane Stamm
Landesdenkmalamt Berlin
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