Denkmaldatenbank

Kaiserin-Auguste-Viktoria-Haus

Obj.-Dok.-Nr. 09040508
Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf
Ortsteil Charlottenburg
Adressen Heubnerweg 8, 10
Denkmalart Gesamtanlage
Sachbegriff Säuglingsklinik & Krankenhaus & Stall & Einfriedung & Forschungseinrichtung
Datierung 1907-1909, 1911-1913, 1961-1964
Entwurf Messel, Alfred & Hoffmann, Ludwig (Architekt)
Entwurf May, Edmund (Architekt)
Entwurf Otto, Harald (Architekt)

Zwischen Heubnerweg und Schlosspark, fällt eine repräsentative Bauanlage auf, die so gar nicht zu den Ziegelbauten der ehemals kommunalen Fürsorgeeinrichtungen in der Umgebung zu passen scheint. Die seit 1996 von der European Business School ESCP (1) genutzten Gebäude Heubnerweg 8/10 beherbergten ursprünglich eine medizinische Einrichtung von überregionaler Bedeutung: Das "Kaiserin-Auguste-Viktoria-Haus zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit im Deutschen Reich" (2) war 1907-09 nach Entwurf von Alfred Messel in Zusammenarbeit mit dem Berliner Stadtbaurat Ludwig Hoffmann (3) als mehrflügeliger, in den frühklassizistischen Formen der Zeit um 1800 gestalteter Komplex errichtet worden. Unter der Schirmherrschaft der Kaiserin hatte man 1905 ein Komitee gegründet und nach einem landesweiten Spendenaufruf die Mittel aufgebracht für diese neuartige Anstalt, deren wichtigste Aufgabe die wissenschaftliche Erforschung der Ursachen für die in Deutschland damals ungewöhnlich hohe Säuglingssterblichkeit war. (4) Das etwa 1,7 Hektar große Grundstück stellte die Stadt Charlottenburg 1906 anlässlich der Silberhochzeit des Kaiserpaares zur Verfügung. 1911-13 durch die städtische Klinik für Geburtshilfe auf dem Gelände gegenüber ergänzt, entwickelte sich dieser Teil Charlottenburgs zu einem wichtigen Standort der Berliner Kinder- und Frauenheilkunde. Das Kaiserin-Auguste-Viktoria-Haus, das den Zweiten Weltkrieg mit nur geringfügigen Schäden überstand, wurde in den 1950er Jahren durch kleinere An- und Umbauten verändert und durch einige Pavillonbauten ergänzt; lediglich das Fürsorgehaus auf dem südlichen Teil des Grundstücks wurde 1961-64 durch Harald Otto umfangreich erweitert.(5) Nach umfassenden Sanierungsmaßnahmen Mitte der 1990er Jahre und der Übernahme durch die Wirtschaftshochschule zeigt sich die Anlage beinahe wieder in ihrem alten Glanz.

Die für das Säuglingsheim vorgesehenen Aufgaben - wissenschaftliche Forschung, Materialsammlung, Ausstellungen, Veröffentlichungen zum Thema Säuglingssterblichkeit, Pflege und Fürsorge für Mütter und Kinder, Aus- und Fortbildung des Pflegepersonals - bestimmten das Bauprogramm: Das Hauptgebäude besteht aus drei symmetrisch angeordneten Baukörpern, von denen der mittlere, mit zwei Trakten parallel zur Straße und einem Saalbau in der Mitte, für Verwaltung, Bibliothek und Büros sowie für Veranstaltungen und Vorlesungen angelegt war; im rückwärtigen Teil waren darüber hinaus Versorgungs- und Wirtschaftsräume untergebracht. Die beiden lang gestreckten Seitenflügel dienten der Versorgung der Mütter und Säuglinge im Nordbau sowie der Schwangeren und Wöchnerinnen im Südbau. Die zweigeschossigen Häuser wurden durch je zwei offene und geschlossene, überdachte Bogengänge so miteinander verbunden, dass sie zwei Gartenhöfe umschließen, die mit Brunnen, Blumenbeeten und Pergolen reizvoll gestaltet wurden. (6) Bewusst als separate Bauten auf dem Gelände waren nördlich des Haupthauses ein Stall sowie im Süden das Maschinenhaus und das Fürsorgehaus für die ambulante Versorgung errichtet worden. (7) Sämtliche Bauten sind einheitlich gestaltet mit hellgelb gestrichenen Putzfassaden, weißen Sprossenfenstern und hohen Mansardwalmdächern, die mit roten Biberschwänzen gedeckt und mit übergiebelten Gauben geöffnet sind. Schmuckelemente wie Pilaster und Lisenen, Streifenquaderung an den Gebäudeecken sind sparsam verwendet. Die mit Wappenkartusche, Kaiserkrone und Putten geschmückte Kalksteinrahmung des Haupteingangs, der von Dreiecksgiebel und Ovalfenster überfangen wird, zeichnet die Straßenfassade aus. Die Vorfahrt mit Rondell und zwei Kandelabern wurde wieder hergestellt. Der große Fest- und Vortragssaal, der mit zwei seitlichen, von ionischen Säulen getragenen Emporen und Thermenfenstern gegliedert ist, wurde ohne die gewölbte Decke und die halbrunde, ebenfalls von eingestellten ionischen Säulen flankierte Apsis, die bereits in den 1950er Jahren verändert wurde, rekonstruiert.


(1) Ecole Spéciale de Commerce et d'Industrie. Die private ESCP Europe hat sechs Standorte in Europa, der Standort Berlin ist eine staatlich anerkannte Hochschule für Wirtschaft. Vgl. www.escpeurope.eu/de (2) Baumeister 7 (1909), S. 8-12; ZdB 29 (1909), S. 493 ff.; BAW Sonderheft 9 (1911), S. 8-21; Behrendt, Walter Curt: Alfred Messel, Berlin 1911, S. 114; Grober, Julius: Das deutsche Krankenhaus, Jena 1911, S. 112-115; BW 5 (1914), H. 1, S. 23 f.; 6 (1915), H. 6, S. 9 f.; Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin, Stadt und Bezirk Charlottenburg, bearb. von Irmgard Wirth, Text- u. Tafelband, Berlin 1961, S. 200-202; Architekten- und Ingenieur-Verein zu Berlin (Hrsg.): Berlin und seine Bauten, Teil VII, Bd. A, Krankenhäuser, Berlin 1997, S. 50-54, 201; Döhl, Dörte: Ludwig Hoffmann, Bauen für Berlin 1896-1924, Berlin 2004, S. 312 f.; Habel, Robert: Alfred Messels Wertheimbauten in Berlin, Der Beginn der modernen Architektur in Deutschland, Berlin 2009, S. 747 ff.; Blauert, Elke/Habel, Robert/Nägelke, Hans-Dieter/Schmidt, Christiane (Hrsg.): Alfred Messel (1853-1909), Visionär der Großstadt, Ausstellungskat. Berlin 2009, S. 179; Alfred Messel, Ein Führer zu seinen Bauten, hrsg. von Artur Gärtner, Robert Habel und Hans-Dieter Nägelke, Kiel 2010, S. 123-129.

(3) Das im Juni 1909 eingeweihte Gebäude war eines der letzten Werke Messels, der im März 1909 starb. Die Bauleitung hatte der Architekt Edmund May, der die Gesamtleitung nach dem Tod Messels übernahm. Die Kaiserin hatte nach Besichtigung des von Ludwig Hoffmann errichteten Virchow-Krankenhauses diesen mit dem Säuglingsheim beauftragen wollen. Der schlug jedoch vor, die Arbeit zusammen mit seinem Freund Alfred Messel durchzuführen. Vgl. Hoffmann, Ludwig: Lebenserinnerungen eines Architekten, bearb. und aus dem Nachlass hrsg. v. Wolfgang Schäche, Berlin 1983, S. 192, 197 f.; Viergutz, Volker: "Das hätten wir in der Brüderstraße uns auch nicht träumen lassen.", Anmerkungen zur Freundschaft von Ludwig Hoffmann und Alfred Messel. In: Berlin in Geschichte und Gegenwart, Jahrbuch des Landesarchivs Berlin 2001, Berlin 2001, S. 97 ff.

(4) Mitglieder des "Komitees zur Errichtung einer Musteranstalt zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit" waren unter anderen der Kinderarzt und Direktor der Kinderklinik der Charité, Johann Otto L. Heubner (1843-1926), und der Gynäkologe an der Universitäts-Frauenklinik Ernst Bumm (1858-1925), Namensgeber des zwischen Sophie-Charlotten-Straße und dem Wilhelm-Stift gelegenen Ernst-Bumm-Weges.

(5) 1956 eingeschossiger Spielpavillon von Bruno Heider, 1957-58 Anbau an das Infektionshaus von Hans Bertram Lewicki, 1959 Schwesternwohnhaus von Gerhard Klose.

(6) Bildhauerarbeiten für Brunnen und Fassaden von Josef Rauch und Ernst Westphal, Relief am ehem. Stallgebäude von Bruno May, dem Bruder von Bauleiter Edmund May. Vgl. Habel, Robert: Alfred Messels Wertheimbauten in Berlin, Der Beginn der modernen Architektur in Deutschland, Berlin 2009, S. 749 f.

(7) Der Stall wurde 1910-11 von Edmund May errichtet, das Fürsorgehaus von ihm 1912-13 erstmals erweitert.

Literatur:

  • Inventar Charlottenburg, 1961 / Seite 200ff.
  • Baumeister 7 (1909) / Seite 8f.
  • Zentralblatt der Bauverwaltung 29 (1909) / Seite 493
  • Stahl, Fritz, Alfred Messel in
    Berliner Architekturwelt Sonderheft 9 (1911) / Seite 8-21
  • Alfred Messel. Werke, Band 1, Berlin 1912 / Seite 114
  • Behrendt, Walter Curt, Alfred Messel, Berlin 1911 / Seite Ansichten, Lageplan
  • Das Kaiserin Auguste Victoria-Haus zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit im Deutschen Reiche. Berlin, Verlag von Georg Stilke 1909 (1915) / Seite 747-753
  • Habel, Robert: Alfred Messels Wertheimbauten in Berlin. Der Beginn der modernen Architektur in Deutschland, Berlin 2008

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Juliane Stamm
Landesdenkmalamt Berlin
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