Denkmaldatenbank
Strafgefängnis Plötzensee (ehem.), Jugendstrafanstalt, Gedenkstätte Plötzensee
09040486 | |
Bezirk | Charlottenburg-Wilmersdorf |
Ortsteil | Charlottenburg-Nord |
Adressen | Friedrich-Olbricht-Damm 8, 10, 12, 14, 16, 18, 20, 22, 24, 26, 28, 30, 32, 34, 36 Saatwinkler Damm 1 Hüttigpfad |
Denkmalart | Gesamtanlage |
Sachbegriff | Gefängnis & Gedenkstätte & Kirche & Maschinenhaus & Kesselhaus & Wohnhaus & Torhaus & Verwaltungsgebäude |
Datierung | 1868-1872, 1951-1952 |
Entwurf | Hesse & Herrmann, Heinrich & Spieker, Paul Emmanuel (Architekt) |
Entwurf | Grimmek, Bruno & Loeffler, Walter (Architekt) |
Bauherr | Senator für Bauen und Wohnen |
Noch Anfang der 1960er Jahre prägten östlich der Stadtautobahn fast vollständig Kleingärten den Stadtteil. Ausnahmen bildeten das Strafgefängnis Plötzensee und die ehemalige Kaserne des NS-Kraftfahrkorps Transportstandarte Speer, das für den Transport von Baumaterialien für die vom Generalbauinspektor Albert Speer geplante nationalsozialistische Hauptstadt Berlin verantwortlich war. Das ehemalige Strafgefängnis Plötzensee, Friedrich-Olbricht-Damm 8/36 liegt ganz im Südosten und ist die älteste erhaltene Bebauung von Charlottenburg-Nord. (1) Die heutige Justizvollzugsanstalt Plötzensee entstand 1868-79 noch außerhalb der Charlottenburger Gemarkung auf einem über 25 Hektar großen Areal des Tegeler Forstes. Nach einem Vorentwurf von Bauinspektor Carl Hesse (2) übernahmen der Geheime Oberbaurat Heinrich Herrmann und Bauinspektor Paul Spieker die Detailierung der Pläne. Spieker hatte auch gemeinsam mit Bauinspektor Otto Lorenz die Bauleitung inne. Der zum großen Teil erhaltene Gefängniskomplex für rund 1.400 Gefangene war die größte Strafanstalt im damaligen Preußen und ist eine der frühesten Berliner Gefängnisanlagen in einer aufgelockerten Bauweise. Infolge des enormen Wachstum Berlins nach der Reichsgründung 1871 reichten das Stadtvogteigefängnis am Molkenmarkt und die Anstalt in Rummelsburg nicht mehr aus. So entstand weit vor den Toren Berlins das neue Strafgefängnis für das Stadt- und Kreisgericht noch auf Tegeler Forst-Gebiet, das 1904 zum Gutsbezirk Plötzensee und 1920 bei der Eingemeindung zum Bezirk Charlottenburg kam. Die Anstalt galt hinsichtlich ihres Haftsystems als fortschrittlich, das entgegen der sonst üblichen strahlenförmigen Anlagen die Errichtung einzelner Gefängnisbauten mit umschlossenen großen Höfen vorsah, wobei man sich an das bei Kranken- und Irrenanstalten angewandte Pavillonsystem anlehnte. (3) Die symmetrische Gesamtanlage war ein Kosmos für sich - eine autarke von sechs Meter hohen Mauern umgebene Gefängnisstadt, die neben den Gefängnis- und Verwaltungseinrichtungen mit Beamtenwohnhäusern für 400 Personen auch Küche, Wäscherei, Versammlungssaal, Krankenhaus, Gaswerk, Wasserwerk mit Wasserturm und eine eigene Kirche umfasste. Zudem gab es Baracken für Arbeitsmöglichkeiten der Gefangenen. Im Zweiten Weltkrieg wurden einige Bauteile, vor allem der kreuzförmige Gefangenenhauptbau zerstört.
Alle Gebäude erhielten ein für damalige öffentliche preußische Zweckbauten typisches Stilkleid der märkischen Backsteingotik, wobei besondere Bauten mit architektonischem Anspruch gestaltetet sind. So der mittlere axiale Baukomplex mit dem Torgebäude, dem Verwaltungsbau mit angeschlossener Kirche und dem Betriebsgebäude mit hoch aufragendem Wasserturm. Eine besondere Ausschmückung bekam der längliche, nur drei Achsen tiefe Hauptbau: Ein hoher Staffelgiebel auf der Schmalseite zeigt den Verwaltungsteil an, während die gegenüberliegende Nordfront mit zwei schlanken Türmen und einer polygonalen Apsis die Anstaltskirche markiert. Der dreischiffige Kirchenraum befindet sich im Obergeschoss und ist nach teilweiser Zerstörung im Zweiten Weltkrieg in modernen Formen wiederhergestellt worden. Dabei blieb seine Ausgestaltung als neogotische Hallenkirche mit auf Eisenstützen ruhenden Kreuzrippengewölben und hohen Rundbogenfenstern erhalten. Die heutige stimmige farbige Fassung geht auf die letzte Sanierung 2011 zurück. (4) Die beiden angrenzenden Gefängnisbauten sind mit zweigeschossigen Gängen angebunden, sodass sich ein zusammenhängender Komplex ergibt. Ihre roten Ziegelfronten sind, wie auch die Aufseher-Wohnhäuser längs des Friedrich-Olbricht-Damms, eher schlicht gehalten und werden mit Seiten- und Mittelrisaliten gegliedert. Nach 1945 diente das Strafgefängnis bis 1987 als Jugendstrafanstalt. Danach wurde es als Justizvollzugsanstalt Plötzensee zu einer Einrichtung des offenen und geschlossenen Vollzugs für Männer. Seit 2005 befindet sich auf dem Gelände auch das zentrale Berliner Justizvollzugskrankenhaus.
Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 war die Strafanstalt Plötzensee ein Ort der NS-Terrorjustiz. Justiz und Strafvollzug wurden zu einem Instrument der Unterdrückung und Verfolgung von politischen Gegnern des Regimes. Plötzensee diente als Untersuchungsgefängnis für politische Strafverfahren und wurde zu einer zentralen Hinrichtungsstätte des Dritten Reichs. 2.891 Menschen aller sozialen Schichten, politischen Richtungen und unterschiedlichen Nationalität wurden hier bis 1945 als so genannte Volksfeinde durch das Fallbeil oder den Strang ermordet - darunter zahlreiche Widerstandskämpfer wie Julius Leber, Helmuth James Graf von Moltke oder die Mitglieder der von der Gestapo so genannten Roten Kapelle, des Kreisauer Kreises und der Verschwörung vom 20. Juli 1944. Aber auch viele ausländische Gefangene aus den besetzten Ländern Europas und inhaftierte Zwangsarbeiter mussten hier ab 1942 wegen kleinster Delikte sterben. "Die letzten Opfer waren 31 Menschen, die noch am 18. April 1945 hingerichtet wurden, eine Woche vor der Befreiung des Zuchthauses durch die Rote Armee. (5)
Daran erinnert die Gedenkstätte Plötzensee für die Opfer des Nationalsozialismus, Hüttigpfad 16. (6) Schon 1946 war vom Magistrat von Berlin ein Wettbewerb für eine Gedenkstätte ausgeschrieben worden, den Helmut Heide gewann, dessen Entwurf aber wegen der Spaltung der Stadt und der Berlin-Blockade 1948-49 nicht realisiert werden konnte. (7) Erst 1951-52 wurde die Gedenkstätte durch den Senat von Berlin nach Plänen des Leiters der Entwurfsabteilung beim Senator für Bau- und Wohnungswesen Bruno Grimmek eingerichtet. Grimmek hat den Ort nationalsozialistischer Verfolgung in eine würdige, stille Gedenkstätte umgewandelt, ohne ihm seine Authentizität zu nehmen. Sie entstand auf dem Gefängnisgelände und bezog die ehemalige Hinrichtungsstätte mit ein, die vom übrigen Grundstück durch eine Mauer abgetrennt wurde. Am Hüttigpfad (8) eröffnet das Eingangsportal, flankiert von zwei hohen Steinpylonen, den Zugang zu einem lang gestreckten Vorhof, der von hohen Mauern umschlossen ist. Nach einem weiteren Durchgang erweitert sich der Raum zu einem halbkreisförmigen Platz mit der eigentlichen Gedenkstätte, dem ehemaligen Richtstättengebäude, umgeben von vier Meter hohen Mauern. Der eindrückliche Gedenkraum wird einer fast 20 Meter langen und sechs Meter hohen Gedenkwand aus Tuffsteinquadern begrenzt, die vor dem ehemaligen Hinrichtungsgebäude gesetzt ist. So entsteht eine räumliche Abgrenzung zum Hof, auf dem die Gedenkfeiern stattfinden. Die Mahnmals-Wand, aus der gleichsam einer Klagemauer unregelmäßig Bossenquader hervortreten, trägt die Aufschrift aus bronzenen Lettern: "Den Opfern der Hitlerdiktatur der Jahre 1933-1945.
Die dahinterliegende Hinrichtungsstätte ist ein eingeschossiger schmuckloser Rohziegelbau mit flach geneigtem Satteldach. In der ehemaligen Waschbaracke des Strafgefängnis Plötzensee fanden ab 1937 die Hinrichtungen statt, die vorher auf dem Hof durch den Scharfrichter mit dem Handbeil vollstreckt worden waren. Der im Krieg teilzerstörte Bau wurde restauriert zu einem Ort des Gedenkens und der Dokumentation. (9) Er enthält zwei Räume: Nördlich ist der eigentliche Hinrichtungsraum, damals wie heute durch einen schwarzen Vorhang geteilt, als Gedenkraum leer und authentisch gelassen. Von den acht Haken an einem Eisenträger für gleichzeitige Hinrichtungen durch den Strang sind noch fünf zu sehen. Die angrenzenden zwei Nebenräume, wo die Verurteilten auf ihre Hinrichtung warten mussten, sind zusammengelegt. Hier wird eine Dokumentationsausstellung zur Praxis der NS-Justiz gezeigt und an die hier ermordeten Opfer erinnert. Seit 1955 ist das Gedenken an den Widerstand, der gegen das NS-Regime geleistet wurde, mit dem Gedenken an die Opfer der Konzentrationslager symbolisch verbunden. Im Nordwesten des Hofes ist hierfür eine von Karl Wenke und Joachim Ihle gestaltete große steinerne Urne aufgestellt, die Erde aus deutschen Konzentrationslagern enthält. In den Rand des Deckels ist eine Inschrift eingelassen: "Den Opfern der Konzentrationslager in ehrendem Gedenken gewidmet." Eindrücklich bezeugt so die erste Berliner Gedenkstätte für die Opfer des NS-Unrechtsstaates bereits in den frühen Nachkriegsjahren die Erinnerung an Dimension und Gräuel der Verbrechen für die Zukunft zu bewahren. (10)
(1) ZfB 27 (1877), Sp. 339-352, Atlas 49-61; ZfB 28 (1878), Sp. 149-156, 359-364, 515-518, Atlas Taf. 21-23, 42-45, 57 f.; ZfB 30 (1880), Sp. 507-522, Atlas Taf. 62-64; ZfB 31 (1881), Sp. 157-174, Atlas Taf. 35-37; DBZ 5 (1871), S. 217-219; BusB 1877, I, S. 232-237; Architekten-Verein zu Berlin u. Vereinigung Berliner Architekten (Hrsg.): Berlin und seine Bauten, Bd. II, Berlin 1896, S. 344-348; Hyan, Hans: Berliner Gefängnisse, Berlin 1920, S. 29-43; Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin, Stadt und Bezirk Charlottenburg, bearb. von Irmgard Wirth, Text- u. Tafelband, Berlin 1961, S. 169-172; Geschichtslandschaft Charlottenburg 1986, S. 215-231; Woll 1986, S. 122-126.
(2) Carl Hesse (1827-1895) wird in der Literatur häufig verwechselt mit Ferdinand Ludwig Hesse (1795-1876).
(3) Vgl. Krohne, K.: Gefängnisbaukunst, Hamburg 1887, S. 21.
(4) Architektin der Umgestaltung war Gesine Weinmiller.
(5) Endlich, Stefanie: Wege zur Erinnerung. Gedenkstätten und -orte für die Opfer des Nationalsozialismus in Berlin und Brandenburg, Berlin 2007, S. 36.
(6) NBW 1 (1946), S. 2; NBW 2 (1947), S. 82; Zipfel, Friedrich: Gedenkstätte Plötzensee, hrsg. v. der Landeszentrale für politische Bildung Berlin, 6. Aufl. Berlin 1965; Huse, Norbert (Hrsg.): Verloren, gefährdet, geschützt, Baudenkmale in Berlin, Berlin 1988, S. 216 f.; Klother, Eva-Maria: Denkmalplastik nach 1945 bis 1989 in Ost- und West-Berlin, Theorie der Gegenwartskunst Bd. 12 (= Dissertation Freie Universität Berlin 1996), Münster 1998, S. 211, 218 f.; Endlich, Stefanie: Gedenkstätten in Berlin. In: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus. Eine Dokumentation, Bonn 1999, S. 30, 36-38; Endlich, Stefanie: Wege zur Erinnerung. Gedenkstätten und -orte für die Opfer des Nationalsozialismus in Berlin und Brandenburg, Berlin 2007, S. 35-40; Oleschinski, Brigitte: Gedenkstätte Plötzensee, hrsg. v. der Gedenkstätte Deutscher Widerstand Berlin, 4. Aufl. Berlin 2002.
(7) Bauhaus in Berlin, Bauten und Projekte, hrsg. v. Bauhaus-Archiv, Berlin 1995, S. 109.
(8) Der Hüttigpfad ist benannt nach Richard Hüttig (1908-34), der als erstes politisches Opfer in Plötzensee am 14. Juni 1934 hingerichtet wurde.
(9) Ursprünglich war das ehemalige Hinrichtungsgebäude von einer begrünten Holzpergola umgeben, die später wieder entfernt wurde.
(10) 2002-03 wurde die ursprüngliche Gestaltung des Außenbereichs denkmalgerecht wiederhergestellt.
Literatur:
- Inventar Charlottenburg, 1961 / Seite 169f.
- Kreuter, Marie-Luise: Gefängnis und Gedenkstätte Plötzensee, in: Geschichtslandschaft, Charlottenburg 1, 1986 / Seite 215-231
- Sandvoß, Hans-Rainer: Widerstand in Pankow und Reinickendorf, Berlin 1992 / Seite 8-9
- Verloren - gefährdet - geschützt, Berlin 1988 / Seite 216-217
- BusB I/II 1877 / Seite 234-237
- BusB II/III 1896 / Seite 345-348
- Zipfel, Friedrich u.a.: Gedenkstätte Plötzensee, Berlin 1984 / Seite .
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