Denkmaldatenbank

19. und 20. Gemeindeschule, Kaiser-Friedrich-Schule (ehem.), 3. Hilfschule (ehem.)

Obj.-Dok.-Nr. 09040468
Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf
Ortsteil Charlottenburg
Adressen Bleibtreustraße 43

Knesebeckstraße 24, 25
Denkmalart Gesamtanlage
Sachbegriff Schule
Datierung 1899-1901, 1911-1919
Entwurf Bratring, Paul & Helmcke, Walter & Seeling, Heinrich (Architekt)
Bauherr Gemeinde Charlottenburg

In der Tiefe des durch die Stadtbahn sowie Knesebeck-, Mommsen- und Bleibtreustraße begrenzten Wohnblocks befindet sich die weitläufige Schulanlage Bleibtreustraße 43, die ursprünglich aus der 19. und 20. Gemeindeschule mit der 3. Hilfsschule sowie dem Kaiser-Friedrich-Gymnasium bestand. (1) Die beiden Flügel der für mehr als 2.000 Schüler ausgelegten Gemeindedoppelschule, die durch ein gemeinsames Turnhallen- und Aula-Gebäude verbunden sind, wurden 1899-1900 nach einem Entwurf von Stadtbaurat Paul Bratring ausgeführt. Das zeitgleich errichtete, ehemals dreiflügelige Reformgymnasium mit Zugang von der Knesebeckstraße wurde 1901 eröffnet. Dort stand auch das Direktorenwohnhaus Knesebeckstraße 25, das wie der westliche Flügel der Schule für Aula und Turnhalle im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Das schmale Gebäude für die Hilfsschule direkt an der Bleibtreustraße entstand 1911-12 nach Plänen von Walter Helmcke und Heinrich Seeling. (2) Die drei Schulgebäude, die heute wegen ihrer roten Ziegelverblendung als Einheit wahrgenommen werden, bringen in der Detailgestaltung die ursprünglich unterschiedlichen Aufgaben jedoch noch deutlich zum Ausdruck. Eine wechselvolle Nutzungsgeschichte, Kriegszerstörungen und Umbauten haben Spuren hinterlassen, trotzdem stellt der große innerstädtische Schulkomplex ein wichtiges Zeugnis für die bauliche und gesellschaftliche Entwicklung in diesem Teil Charlottenburgs dar. (3)

Die ehemalige Gemeindeschule auf der südlichen Hälfte des Geländes mit schlichten viergeschossigen Bauteilen und dem doppelgeschossigen Verbindungsbau für Aula und Turnhalle tritt durch Fassaden mit einem regelmäßigen Raster aus Stichbogenfenstern und dekorativen schwarzen Glasursteinen in den roten Ziegelwänden in Erscheinung. Dagegen zeigen die beiden erhaltenen Flügel des ehemaligen Gymnasiums im nördlichen Teil eine deutlich aufwendigere Gestaltung mit Elementen der norddeutschen Backsteingotik: Staffelgiebel, ein polygonaler Treppenturm (4) im Gebäudewinkel, Blendbögen mit verputzten Zierfeldern am zweiten und dritten Obergeschoss sowie gruppierte Rundbogenfenster im obersten Geschoss unter einem friesartigen Hauptgesims setzen Akzente. Dagegen ist die etwa zehn Jahre später fertig gestellte Hilfsschule, die schon als eigenständiges Gebäude eine Besonderheit darstellte (5), der architektonische Höhepunkt der gesamten Anlage. Mit drei hohen Arkaden im Erdgeschoss hebt sich die Klinkerfassade von den umgebenden Mietshausbauten ab, auch wenn sie deren Traufhöhe aufnimmt. Darüber hinaus fällt die ornamentale Verwendung des Backsteins in der Gestaltung der Wandflächen auf: In den quadratischen Zierfeldern zwischen den Fenstern des dritten und vierten Oberschosses sind die Steine in Fischgrätmuster und konzentrischen Kreisen angeordnet; die Wandpfeiler sind durch einzelne vorstehende Steine ornamentiert. (6) Die handwerkliche Qualität des Dekors zeigt sich am Stadtwappen oder den Schlusssteinen in Sandstein, die vom Bildhauer Hans Lehmann-Borges stammen (7), und setzt sich im Innern mit schmiedeeisernen Treppengeländern und zwei Trinkbrunnen mit Märchenmotiven fort.


(1) Heute wird der gesamte Komplex von der Joan-Miro-Grundschule (Staatliche Europa-Schule) genutzt. Auf dem Grundstück Knesebeckstraße 28, wo das ursprüngliche Mietshaus im Krieg zerstört worden war, wurde in den 1960er Jahren eine Turnhalle errichtet. Der Durchgang im Gebäude Bleibtreustraße 43 wurde 2010 geschlossen, um einen Raum für die Ganztagsbetreuung zu schaffen. Ein weiterer zur Schule gehörender zweigeschossiger aufgeständerter Neubau mit Durchfahrt entstand ebenfalls in den 1960er Jahren auf dem Grundstück Bleibtreustraße 44, der heute als Hauptzugang dient. Vgl. www.berlin.de/ba-charlottenburg-wilmersdorf/ueber-den-bezir k/gebaeude-und-anlagen/schulen/artikel.158781.php

(2) Gundlach, Wilhelm: Geschichte der Stadt Charlottenburg, Bd. 1, Berlin 1905, S. 519; Bericht über die Verwaltung und den Stand der Gemeinde-Angelegenheiten der Stadt Charlottenburg für das Verwaltungsjahr 1911, Charlottenburg 1912, S. 83; Charlottenburg 1913, S. 79; BW 3 (1913) H. 28/29, Kunstbeilage; BAW 15 (1913), S. 477, 502 ff. (Abb. 671-675); Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin, Stadt und Bezirk Charlottenburg, bearb. von Irmgard Wirth, Text- u. Tafelband, Berlin 1961, S. 288-289; Architekten- und Ingenieur-Verein zu Berlin (Hrsg.): Berlin und seine Bauten, Teil V, Bd. C, Schulen, Berlin 1991, S. 61-63, 377 f., 400.

(3) Das Gymnasium besuchte ab 1902 der junge Walter Benjamin, der mit seiner Familie in der nahe gelegenen Villa in der Carmerstraße wohnte. In seinem Buch "Berliner Kindheit um 1900" beschrieb er seinen Schulalltag. Siehe Carmerstraße 3.

(4) Der Turmhelm wurde rekonstruiert.

(5) Entsprechend der Reformpädagogik der Zeit wurden auch in Charlottenburg zu Beginn des 20. Jahrhunderts Hilfsschulen eingerichtet, die sich der Förderung schwächerer Schüler zuwandten und diese in denselben Fächern unterrichteten wie die Normalschulen, zuzüglich Handarbeit als obligatorisches Fach für Jungen und Mädchen. Hilfsschulen erhielten nicht notwendigerweise ein eigenes Gebäude, sondern waren häufig als Abteilungen in den Gemeindeschulen untergebracht, ihre Klassenstärke war mit durchschnittlich 20 Schülern etwas geringer als an der Normalschule. Vgl. BusB V C, S. 61 f.

(6) Eine ähnlich kreative Verwendung des Backsteins vor dem Ersten Weltkrieg findet sich in Weißensee an den kommunalen Bauten von James Bühring (1871-1936), der von 1906 bis 1915 Stadtbaurat war. Heinrich Seeling (1852-1932) war von 1907 bis 1921 Stadtbaurat von Charlottenburg.

(7) Hans Lehmann-Borges (1879-1945) war Mitglied des Werkbundes und der Kunsthandwerker-Genossenschaft Gildenhall, die Anfang der 1920er Jahre in Neuruppin gegründet wurde. Vgl. Bake, Kristina: Die Freiland-Siedlung Gildenhall - Versuch einer konkreten Utopie um 1920. In: Repussard, Catherine (Hrsg.): De la Lebensreform à l'altermondialisme (Recherches germaniques, Hors-Série, Nr. 11) Strasbourg 2016, S. 129-158.

Literatur:

  • Inventar Charlottenburg, 1961 / Seite 288-289
  • Gundlach I, 1905 / Seite 519
  • BusB V C 1991 / Seite 377-378, 400
  • Berliner Architekturwelt 15 (1913) / Seite 502ff.
  • BHW (1913) 28/29, Kunstbeilage / Seite 66-67
  • Bericht über die Verwaltung und den Stand der Gemeinde-Angelegenheiten der Stadt Charlottenburg, 1899 / Seite 19

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Juliane Stamm
Landesdenkmalamt Berlin
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