Denkmaldatenbank
Gasbehälter, Wohnhaus, Reglerhaus, Bunker Fichtestraße 4, 6
09031136 | |
Bezirk | Friedrichshain-Kreuzberg |
Ortsteil | Kreuzberg |
Adressen | Fichtestraße 4, 6 |
Denkmalart | Gesamtanlage |
Sachbegriff | Gasbehälter & Wohnhaus & Reglerhaus & Bunker |
Datierung | 1874 |
Umbau | 1940-1941 |
Entwurf | Schwedler, Johann Wilhelm (Ingenieur) |
Bauherr | Städtische Gasbehälter-Anstalt |
In der Fichtestraße 4-6 steht Berlins ältester erhaltener Gasbehälter. Die Backsteinrotunde ist der letzte von einstmals zwanzig steinernen Behältern dieses Bautyps im Stadtgebiet. (1) Er ist ein herausragendes Zeugnis der Versorgungsinfrastruktur, die im 19. Jahrhundert in Berlin aufgebaut werden musste, um den Anforderungen der aufstrebenden Metropole gerecht werden zu können. Der zylinderförmige Bau gehörte zu einer Gasbehälter-Anstalt, die im Auftrag der Städtischen Gasanstalt ab 1874 auf freiem Feld in unmittelbarer Nähe zur Hasenheide errichtet wurde. Die Anlage umfasste vier nahezu baugleiche Gasbehälter. Die Gasbehälter-Anstalt an der Fichtestraße war durch eine Überfüll-Leitung mit der Städtischen Gasanstalt an der Gitschiner Straße verbunden. Sie wurde gebaut, weil dort für den Behälterbau kein Platz mehr vorhanden war. Bei der kontinuierlichen Gasproduktion in der Gasanstalt und der schwankenden Abnahme durch die Verbraucher mussten jedoch genügend Reservebehälter zur Verfügung stehen. Der heute noch erhaltene Gasbehälter in der Fichtestraße wurde 1883-84 erbaut. Den Backsteinbau und die gastechnischen Einrichtungen entwarf der Technische Direktor der städtischen Gasanstalt, Baumeister Otto Reißner; für die Konstruktion, insbesondere der Kuppel, und die Statik war der bedeutende Ingenieur Johann Wilhelm Schwedler verantwortlich. Schwedler war Dozent für Baukonstruktion und Brückenbau an der Berliner Bauakademie und hat sich mit zahllosen Erfindungen vor allem im Bereich der Eisenkonstruktionen einen Namen gemacht. Er hat erstmals verlässliche Berechnungsmethoden in Statik und Konstruktion eingeführt und damit das Ingenieurwesen in Preußen auf eine wissenschaftliche Grundlage gestellt. Seine bekanntesten konstruktiven Verbesserungen sind der Schwedlerträger für Brückenkonstruktionen, der Dreigelenkbogen und die Schwedlerkuppel. Der Gasbehälter in der Fichtestraße ist mit einer der wenigen erhaltenen Schwedlerkuppeln überdeckt, die dieser in langjähriger Arbeit für Gasanstalten zur Reife gebracht hatte. (2)
Der Gasbehälter folgt dem seit Mitte der 1850er Jahre gebräuchlichen Bautyp des gemauerten Gaszylinders mit zweischaligem Wandaufbau. Eingehaust von der steinernen Hülle, befand sich im Innern der eigentliche Gasbehälter, eine zweiteilige eiserne Teleskopglocke, die 30.000 Kubikmeter Gas fassen konnte. Die Umfassungsmauer hatte den in einem Wasserbassin schwimmenden Teleskopbehälter vor Wind, Schnee und Einfrieren zu schützen. (3) Unter Verwendung von Elementen des Rundbogenstils fand man eine nüchterne, einem Zweckbau gemäße Gestaltungsweise. Die wenigen Gestaltungselemente, darunter Gesimse und rote Ziegellagen, wurden sehr sparsam, doch tektonisch sinnvoll eingesetzt. Die gleichmäßig eingeschnittenen Rundbogenfenster mildern die wuchtige Monumentalität des Backsteinzylinders. Der heute dreigeschossige Bau war ursprünglich in der Ansicht nur zweigeschossig, da er im Sockelbereich zunächst von einer hohen, äußerst raffiniert konstruierten Futtermauer umgeben war, welche die Druckkräfte des innenliegenden Wasserbassins abzufangen hatte. Die flach gewölbte eiserne Schwedlerkuppel überfängt den Bau in einem eleganten Schwung. Die genietete Binderkonstruktion verfügt über einen Durchmesser von 55 Metern bei einer Scheitelhöhe von 12 Metern. Allerdings sind die bekrönende Lüftungslaterne und die alte Deckung, eine mit Teerpappe überzogene Holzschalung, heute nicht mehr vorhanden.
Nachdem der Gasbehälter bereits in den 1930er Jahren seine ursprüngliche Funktion verloren hatte, erfolgte 1941-42 der Einbau eines Mutter-Kind-Bunkers durch den Baustab Speer. Äußere Zeichen dieses Eingriffs sind noch heute die der Ziegelwand vorgelagerten Eingangsbereiche aus Stahlbeton. Innen enthält der Bunker 750 fensterlose Kabinen, in die bei Luftangriffen Familien mit Berechtigungskarten eingelassen wurden. Das Gebäude ist im Volksmund auch als Fichtebunker bekannt. Nach Kriegsende diente der Bunker mit seinem immensen Raumbestand zunächst als Flüchtlingsunterkunft und wurde dann lange Zeit auch als Vorratslager (Senatsreserve) des Landes Berlin genutzt. (4)
Auf dem nördlichen Teil des Grundstücks stehen zwei zugehörige, gut erhaltene rote Backsteingebäude von 1874. Es handelt sich um ein zweigeschossiges, unterkellertes Beamtenwohnhaus sowie um das eingeschossige Regulierungshaus, vom dem aus die Arbeitsabläufe der Gasbehälter-Anstalt gesteuert wurden. Für beide Bauten lieferte Otto Reißner die Entwürfe.
Seit 2006 befindet sich das Gebäude in Privatbesitz. Auf dem Bunker, unter der erhaltenen Schwedlerkuppel und von der Fichtestraße kaum sichtbar, steht eine 2010 fertig gestellte kreisrunde Wohnanlage (Circlehouses) von Architekt Paul Ingenbleek.
(1) Gasbehälter der städtischen Gasbehälter-Anstalt an der Fichte-Straße in Berlin. In: Zeitschrift für Bauwesen 26 (1876), S. 179-196, Blatt 33, 34; BusB 1877, S. 209; BusB 1896, Bd. 1, S. 383-384, 389-390; Die städtischen Gaswerke in Berlin. 1847-1897. Rückblick am fünfzigsten Jahrestag ihres Bestehens, Berlin 1897; 100 Jahre Berliner Städtische Gaswerke. 120 Jahre Gasversorgung in Berlin, Berlin 1947; Klinkott 1988, S. 218-222; Haspel, Jörg: Gasometer-Denkmalpflege. In: Großstadtdenkmalpflege. Erfahrungen und Perspektiven, Berlin 1997, S. 45-48; Sperl, Dina: Gasbehälter in Berlin, Ausst.-Kat. Deutsches Architekturzentrum, Berlin 1996, S. 5-12; Feuer und Flamme für Berlin. 170 Jahre Gas in Berlin. 150 Jahre Städtische Gaswerke, Berlin 1997; Bärthel, Hilmar: Die Geschichte der Gasversorgung in Berlin, Berlin 1997; Dehio Berlin 2006, S. 314.
(2) Weitere Bauten von Johann Wilhelm Schwedler (1823-1894) waren: Die Kuppel der Synagoge in der Oranienstraße und die Hallenkonstruktionen des Hauptbahnhofs in Frankfurt a. M. Seit 1864 hat man in Berlin alle Gasbehälter mit dieser so genannten Schwedlerkuppel ausgestattet. Zu Schwedler vgl.: Knippers, Jan, Ingenierporträt. Johann Wilhelm Schwedler. Vom Experiment zur Berechnung. In: Deutsche Bauzeitung 4 (2000), S. 105-110.
(3) Funktion und Aufbau von Gasbehältertypen wie in der Fichtestraße sind anschaulich beschrieben in: Das Gaswerk Schöneberg in der Torgauer Straße, Berlin 2005, S. 120 ff. Ausführliche Konstruktionsdetails des Gasbehälters in der Fichtestraße in: Gasbehälter der städtischen Gasbehälter-Anstalt an der Fichte-Straße in Berlin. In: Zeitschrift für Bauwesen 26 (1876), S. 179-196, Blatt 33, 34.
(4) Während nach Kriegsende die übrigen drei Gasbehälter abgetragen wurden, war der Fichtebunker aufgrund dieses Einbaus gleichsam unzerstörbar geworden.
Literatur:
- BusB I/II 1877 / Seite 209
- Topographie Friedrichshain-Kreuzberg/Kreuzberg, 2016 / Seite 332 f.
- Lorenz, Werner; May, Roland; Staroste, Hubert: Ingenieurbauführer Berlin, Petersberg 2020 / Seite 288f.
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