Denkmaldatenbank
Heim, Kinderheim Alte Jakobstraße 10, 12, 13 Ritterstraße 69
09031074 | |
Bezirk | Friedrichshain-Kreuzberg |
Ortsteil | Kreuzberg |
Adressen | Alte Jakobstraße 10, 12, 13 Ritterstraße 69 |
Denkmalart | Gesamtanlage |
Sachbegriff | Heim & Kinderheim |
Datierung | 1966-1968 |
Entwurf | Taut, Max (Architekt) |
Entwurf | Bornemann, Fritz (Architekt) |
Entwurf | Mattern, Hermann (Gartenarchitekt) |
Bauherr | Senat von Berlin |
Eine Besonderheit im Stadtgrundriss der Luisenstadt stellt das ehemalige Hauptkinderheim in der Alten Jakobstraße 10-13 dar. (1) Die weitläufige Anlage zeichnet sich gegenüber der umgebenden Wohnbebauung durch eine markante Grundrissstruktur und eine vielfältige Formgebung aus. In ihrer überlieferten Form ist sie baulicher Ausdruck zeitgenössischer Sozialpolitik. Das Kinderheim wurde 1964-68 im Auftrag des Berliner Senats errichtet und sollte als zentrales Durchgangs- und Beobachtungsheim für die Aufnahme von bis zu vierhundert "erziehungsschwierigen" oder vernachlässigten Kindern mit problematischem familiären Hintergrund dienen. Es handelt sich um das letzte Werk des Architekten Max Taut, der die Berliner Architekturlandschaft durch einzigartige Bauten nachhaltig geprägt hat. Da Taut noch vor Fertigstellung der Anlage starb, wurde die Ausführung von Fritz Bornemann geleitet.
Das Hauptkinderheim war ein zentraler Bezugspunkt für den Wiederaufbau der westlichen Luisenstadt. (2) Funktion und Bauweise zeigen, dass das umgebende Viertel in den 1960er Jahren - in vollständiger Abkehr von der Vorkriegssituation - als städtische Randlage ohne jegliche Cityfunktion galt. Die Anlage folgt dem städtebaulichen Ideal der aufgelockerten und durchgrünten Stadt. Das Heim wurde in offener Bauweise ausgeführt und in eine großzügig bemessene, von Hermann Mattern geplante Grünanlage eingebettet. Taut entwickelte für das Heim eine gleichermaßen sachliche wie freundliche Architektur, denn der Bau sollte auf die Gemütsverfassung der Kinder möglichst positiv einwirken. So entstand eine lebhaft in Höhe und Tiefe gestaffelte Gesamtanlage, die sich aus unterschiedlichen Baukörpern zusammensetzt und gegen die Straße zu weiten Teilen durch grüne Zonen abgeschottet ist. Gestalterisch und funktional sind die Bestandteile auf gelungene Weise in das umgebende Gartenareal eingebunden. Mit zahlreichen nach Süden orientierten Loggien, Terrassen und grünen Spielhöfen erzeugte man eine beispielhafte Aufenthalts- und Wohnqualität.
Die Anlage gliedert sich baulich in drei Hauptgruppen. Entlang von Ritterstraße und Alter Jakobstraße ordnete Taut eine riegelförmige, ein- bis sechsgeschossige Bebauung an, die nahe an die Straßenflucht herangerückt ist. Diese Baugruppe wird durch ein östlich vorgelagertes eingeschossiges Schulgebäude sowie gartenseitig durch acht zweigeschossige Pavillonbauten ergänzt. Gemeinsam ist allen Gebäudeteilen das flache Dach. Im Tragwerks- und Fassadenaufbau liegen jedoch erhebliche Unterschiede vor. Während die Pavillons als massive Mauerwerksbauten ausgeführt wurden, zeigt etwa die Südfassade des ein- bis dreigeschossigen Flügels an der Ritterstraße die für Max Taut typische rasterförmige Rahmenbauweise, bei der das konstruktive Stahlbetonskelett nach außen sichtbar als zentrales Gestaltungs- und Gliederungselement der Fassaden eingesetzt wurde. (3) Sehr variabel ist auch die Gestaltung der Außenwandflächen: Die Fronten wurden teils verputzt, teils mit rotem und braunem Klinker verblendet, aber auch wie bei den Pavillons mit Spaltklinkern oder wie bei der Mehrzweckhalle mit Waschbetonplatten versehen. Die gleichförmig aufgereihten Pavillons sind über einen langen, verglasten Gang verbunden.
Das Kinderheim enthielt nach Fertigstellung einen Verwaltungstrakt mit Zentralküche, eine medizinisch-psychologische Abteilung mit Quarantänestation, ein Fürsorgestelle, Wohneinheiten für Kinder und Mitarbeiter, eine Mehrzweckhalle und eine Schule. Das Hauptgebäude nahm Verwaltungs-, Aufnahme- und Diagnoseräume sowie Wohneinheiten auf. Hier wohnten die Kinder, die lediglich für kürzere Zeit Aufnahme fanden. Die Pavillons waren indes für Kinder bestimmt, die bis zu einem Jahr im Heim verbleiben sollten. In ihnen sollten sich die Kinder nach Maßgabe eines neuen pädagogischen Konzepts zu "Heimfamilien" zusammenschließen. Deshalb umfassen die Pavillons in jedem Geschoss neben Wohnräumen auch Bäder und Küchen, die sowohl eigenständiges, individuelles Wohnen als auch gemeinschaftliches Zusammenleben erlaubten. Innovativ war das Heimkonzept auch insoweit, als die Bewohner der Pavillons über freistehende Treppenhäuser vom Garten her eine eigene Erschließung zu ihren Wohnbereichen im Obergeschoss hatten.
Von Beginn an war das Kinderheim mangelhaft ausgelastet. Das Konzept einer zentralisierten "Kinderverwahrung" schien Ende der 1960er Jahre nicht mehr zeitgemäß, und so zogen bereits zwei Jahre nach der Fertigstellung andere Nutzer ein. Neben Senatsbehörden kamen hier unter anderem ein Kindergarten und ein türkischsprachiges Theater unter. Die seit 1985 ebenfalls in der Anlage ansässige Freie Waldorfschule Kreuzberg baute Teile des alten Schulgebäudes für Unterrichtszwecke um. (4) Dem Küchentrakt wurde ein Schülerspeisesaal in erkennbar neuer Formgebung nach Entwurf von feddersenarchitekten angegliedert.
(1) Max Taut, Ausst.-Kat. Akademie der Künste, Berlin 1964, S. 6, 68-69; Max Taut, Ausst.-Kat. Akademie der Künste, Berlin 1984, S. 52, 115; Menting 2003, S. 202-204; 355-356.
(2) Als Baugrund stand ein dreieckig zugeschnittenes Grundstück an Alter Jakobstraße und Ritterstraße zur Verfügung. Dabei markiert die südwestliche Grenze des Grundstücks den Verlauf einer lange Zeit geplanten, letztlich jedoch nicht realisierten Autobahntrasse. Parallel zur Südwestgrenze des Grundstücks sollte die Südtangente verlaufen, die Teil eines umfangreichen Berliner Autobahnnetzes sein sollte. Mitte der 1970er Jahre wurde die Planung jedoch aufgegeben. Gegen die Autobahn sollte das Heim durch eine Reihe hochwachsender Bäume abgeschottet werden.
(3) Die Rahmenbauweise prägt weite Teile von Max Tauts Schaffen, vgl. hierzu Menting 2003, S. 144-150.
(4) Das Heim stand damals noch nicht unter Denkmalschutz. Der Umbau erfolgte deshalb ohne Beteiligung der Denkmalbehörden.
Literatur:
- Topographie Friedrichshain-Kreuzberg/Kreuzberg, 2016 / Seite 193 f.
Kontakt
Juliane Stamm
Landesdenkmalamt Berlin
Redaktion Denkmalinformationssystem
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