Denkmaldatenbank

Versöhnungs-Privat-Straße

Obj.-Dok.-Nr. 09030384
Bezirk Mitte
Ortsteil Gesundbrunnen
Adressen Hussitenstraße 4
Denkmalart Baudenkmal
Sachbegriff Wohnanlage
Datierung 1903-1904
Entwurf Schwartzkopff, Ernst (Architekt)
Ausführung Koeppen, Carl (Baugeschäft)
Bauherr Vaterländischer Bauverein

In den Blöcken nördlich der Bernauer Straße sind alten Mietshäuser vollkommen abgeräumt und durch Neubauten ersetzt. Von der Wohnanlage Versöhnungs-Privatstraße an der Hussitenstraße 4, einem herausragenden genossenschaftlichen Reformwohnungsbau des frühen 20. Jahrhunderts, blieb nur ein Fragment erhalten, dem aber bis heute der Anspruch abzulesen ist, die Wohnverhältnisse in der dicht besiedelten Großstadt zu verbessern. (1) Der Bauherr war der Vaterländische Bauverein, eine christliche und kaisertreue Genossenschaft, die mit dem sozial orientierten Wohnungsbau eine Versöhnung der unterschiedlichen Schichten der Gesellschaft anstrebte. An der 1903-04 von Dombaumeister Ernst Schwartzkopff errichteten Wohnanlage lassen sich diese Gedanken programmatisch ablesen. Mit großen begrünten Wohnhöfen hob sich Anlage von den dichten bebauten Häuserblöcken der Rosenthaler Vorstadt ab. Über Durchfahrten erschloss die Versöhnungs-Privatstraße sechs umbaute Höfe zwischen Hussitenstraße und Strelitzer Straße, die mit wechselnden Baustilen an die Geschichte Berlins vom Mittelalter bis zur wilhelminischen Zeit erinnern sollten. Um eine patriotische und christliche Gesinnung zu vermitteln, erhielten die Höfe eine reiche Ausstattung mit Wandbildern und Statuen ("Predigt in Steinen"). Sie begann im Romanischen Hof (Hof I), von dem nur der östliche, mit romanischen Motiven dekorierte Flügel erhalten ist. Die Statue des hl. Petrus vor dem Giebelfeld des Mittelrisalits ist der einzige Rest des Bildprogramms. Der Altmärkische Hof mit dem Hohenzollerngarten (Hof II), dem heute der südliche Seitenflügel fehlt, soll an das Berlin des 14. und 15. Jahrhunderts erinnern. Schwartzkopff bediente sich der Formenwelt der märkischen Backsteingotik, die er auf die reich gegliederten, mit Balkonen und Risaliten aufgelockerten Fassaden übertrug. Vom Altdeutschen Hof mit dem Elisabethgarten (Hof III) sind zwei Flügel erhalten, die mit Erkern, Loggien, Türmchen, Giebelfeldern in Fachwerk und Maßwerkbrüstungen ein lebendiges Bild bieten. Die spätgotischen Bauformen nach dem Vorbild des Tucher- und Prellerhauses in Nürnberg verweisen auf Berlin als kurfürstliche Residenz des 16. Jahrhunderts. Am südlichen Seitengebäude des Renaissancehofs (Hof IV) ist die einstige Bauzier weitgehend entfernt.

Die Ausbildung von Wohnhöfen mit privater Erschließungsstraße war ein wichtiger Schritt zu einer verbesserten städtebaulichen Gestaltung in der verdichteten Großstadt. Der Vaterländische Bauverein schuf mustergültige Wohnungen und Gemeinschaftseinrichtungen, die im frühen 20. Jahrhundert beispielhaft waren. Bis auf die Vorderhauswohnungen, die drei Räume umfassten, hatten alle Wohnungen ein oder zwei Zimmer mit Küche, Vorratskammer und Innentoilette, dazu Balkon, Loggia oder Erker. Den Bewohnern standen Badeanstalt, Genossenschaftsbibliothek, Gemeinschaftsräume, Kindergarten und Spielplatz zur Verfügung. Nach Schäden im Zweiten Weltkrieg wurde die Wohnanlage vereinfacht wiederhergestellt, aber durch eine rücksichtslose Sanierung zwischen 1970 und 1980 erheblich verstümmelt. Barockhof und Moderner Hof (Höfe V und VI) wurden ebenso abgebrochen wie die beiden Vorderhäuser und die Seitengebäude der ersten Wohnhöfe.


(1) Der Vaterländische Bauverein zu Berlin. Berlin [1903]; Schwartzkopff, David: Der Vaterländische Bauverein zu Berlin e.G.m.b.H. 2. Auflage. Berlin 1906; Kausche, R.: Baurat Schwartzkopff, Berlin: Die Häusergruppe des "Vaterländischen Bauvereins" zu Berlin. in: Der Profanbau 6 (1906), Nr. 7 und 8, Beilage Villen und Wohnhäuser; Ebersbach, Emil: Festschrift zum 25jährigen Jubiläum des Vaterländischen Bauvereins e.G.m.b.H. am 29. Juli 1927. Berlin 1927; Zermin, Wilhelm: 1902-1952. 50 Jahre Vaterländischer Bauverein e.G.m.b.H. / Berlin. Festschrift zum 50jährigen Bestehen am 29. Juli 1952. Berlin 1952; 1902-1962. 60 Jahre Vaterländischer Bauverein eGmbH, Gemeinnütziges Wohnungsunternehmen, Berlin. Berlin 1962; BusB IV A, S. 121-123, 242; BusB IV B, S. 10-11, 139-141; Escher 1981, S. 520-521; Schwarz 1981, Bd. 2, S. 152-153; Novy 1984, S. 388-390; Schwarz 1984, Bd. 3, S. 134; Soziales Elend und christliche Mildtätigkeit. Meyer´s Hof, Lazaruskrankenhaus, Schrippenkirche und Versöhnungs-Privatstraße. in: Jetzt geht´s rund ... durch den Wedding. Hrsg. von der Ev. Versöhnungsgemeinde und von der Weddinger Geschichtswerkstatt. Berlin 1984, S. 116-121; Schimmler 1985, S. 70-71; Roik-Bogner, Christine: Wohnanlage des Vaterländischen Bauvereins. in: Geschichtslandschaft 1990, S. 44-60; 100 Jahre Vaterländischer Bauverein eG 1902-2002. Berlin 2002, S. 14-23.

Literatur:

  • Roik-Bogner, Christine/ Wohnanlage des Vaterländischen Bauvereins =Geschichtslandschaft, Wedding, 1990 / Seite 44-60 (dort weitere Lit.)
  • Kausche, R./ Baurat Schwartzkopff, Berlin. Die Häusergruppe des "Vaterländischen Bauvereins" zu Berlin in
    Der Profanbau 2 (1906) / Seite Heft Nr. 7 und 8. 1. Beilage: Villen und Wohnhäuser
  • Topographie Mitte/Wedding, 2004 / Seite 100

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Juliane Stamm
Landesdenkmalamt Berlin
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