Denkmaldatenbank

Wiesenburg - Asyl für Obdachlose

Obj.-Dok.-Nr. 09030335
Bezirk Mitte
Ortsteil Gesundbrunnen
Adressen Wiesenstraße 55
Denkmalart Gesamtanlage
Sachbegriff Obdachlosenheim
Datierung 1895-1896
Umbau 1905
Entwurf Töbelmann, Georg (Architekt)
Entwurf Schnock, Otto (Maurermeister)
Bauherr Berliner Asylverein von 1868

Auf einem abgeschiedenen Grundstück an der Wiesenstraße 55 errichtete der Berliner Asylverein für Obdachlose 1895-96 das Obdachlosenasyl "Wiesenburg", das 1905-07 um ein Frauenasyl erweitert wurde. (1) Die sozialgeschichtlich bedeutsame Baugruppe erinnert zum einen an Wohnungsnot und soziale Probleme im Berlin des ausgehenden 19. Jahrhunderts, zum anderen an Fürsorge und Wohltätigkeit des liberalen Bürgertums. Der 1868 gegründete Asylverein, geleitet von Bankier Gustav Thölde, vereinte einflussreiche, liberal oder sozialdemokratisch eingestellte Bürger, die ihr Vermögen einsetzten, um die Not der Obdachlosen zu lindern. Architekt Georg Töbelmann schuf eine mustergültige Anstalt. Die Baugruppe ist von der Wiesenstraße abgerückt, um eine Ansammlung der Obdachlosen auf öffentlichem Straßenland zu vermeiden. Zum Eingang führt eine Privatstraße, die den Bahndamm der Ringbahn begleitet. Die roten Backsteinfassaden sind mit Fenstereinfassungen und Gesimse aus Kunststein, mit Giebeln und verputzten Blendflächen im Stil der deutschen Neorenaissance geschmückt. An der Ecke erhebt sich das dreistöckige, mit Volutengiebeln hervorgehobene Beamtenwohnhaus. (2) Die benachbarte Sammelhalle besitzt eine gestaffelte Giebelfront, dann folgt das Kesselhaus, zu dem ein eckiger Wasserturm gehört. Die Obdachlosen versammelten sich in der Eingangshalle, konnte sich im Waschraum oder im Badesaal gründlich reinigen, und betraten dann die in der Längsachse angeordnete Speisehalle. Der langgestreckte Raum erschloss die links und rechts abgehenden Schlafsäle, die jeweils fünfzig Betten enthielten. Mit den Sheddächern über den Schlafsälen wurde ein Motiv der Industriearchitektur übernommen. Das 1905-07 angefügte Frauenasyl, das nur über einen Zugang an der Kolberger Straße zu betreten war, folgt einem ähnlichen Grundriss. Durch die Sammelhalle, ein polygonales Gebäude mit großen Bogenfenstern, und durch Wasch- und Badesaal gelangt man zum Speiseraum. Wirtschaftseinrichtungen und Schlafsäle staffeln sich an der vorbeifließenden Panke. Heizung, künstliche Lüftung, Licht- und Wasserversorgung folgten dem neuesten Stand der Technik. Nach dem liberalen Verständnis des Asylvereins wurde auf christliche Mission verzichtet. Daher fehlt ein Andachtssaal. Das Obdachlosenasyl sorgte sich um die Gesundheit der Bedürftigen, nicht um deren moralische Erziehung, es nahm Menschen auf, ohne nach dem Namen oder dem persönlichen Schicksal zu fragen. Die Polizei hatte keinen Zutritt. Das Männerasyl wurde 1945 erheblich zerstört. Es stehen nur noch die Umfassungsmauern, abgesehen vom Beamtenwohnhaus, das als Wohngebäude dient. Das Frauenasyl, seit dem Ersten Weltkrieg gewerblich genutzt, (3) blieb erhalten, ist aber heute verwahrlost und verfallen.


(1) Berliner Neubauten. 80. Das neue Männerasyl des Berliner Asylvereins für Obdachlose in der Wiesenstraße 55-59 zu Berlin. Architekt: Georg Töbelmann in Berlin. in: Deutsche Bauzeitung 31 (1897), S. 254-256; Schwarz 1981, Bd. 2, S. 164-165; Wohnsitz: Nirgendwo. Hrsg. vom Künstlerhaus Bethanien. Berlin 1982, S. 143-164; Kerner, Karin und Trappmann, Klaus D.: Aus dem dunkelsten Berlin. in: Boberg/Fichter/Gillen 1984, S. 272-276; Schwarz 1984, Bd. 3, S. 85-86; Wiesenburg. in: Jetzt geht´s rund ... durch den Wedding. Hrsg. von der Ev. Versöhnungsgemeinde und von der Weddinger Geschichtswerkstatt. Berlin 1984, S. 38-44; Schimmler 1985, S. 85-87; Wegener, Caroline: Revitalisierung des ehemaligen Asyls Wedding an der Wiesenstraße. in: Konzeptionen für einen umweltorientierten Wohnungs- und Städtebau. Hrsg. vom Senator für Bau- und Wohnungswesen. Berlin 1987, S. 14-18; Dettmer 1988, S. 92; Verloren - gefährdet - geschützt. Baudenkmale in Berlin. Hrsg. v. Norbert Huse. Berlin 1988, S. 178-179; Peters, Dietlinde: Der "Berliner Asylverein für Obdachlose" ("Wiesenburg"). in: Geschichtslandschaft 1990, S. 117-130; Knorr-Siedow, Thomas und Willmer, Walther: Denkmalschutz für die "Wiesenburg". Überlegungen gegen die Umwandlung von Wohlfahrt in Reingewinn. in: Schriftenreihe Wedding, Bd. 2. Armut und Obdachlosigkeit im Wedding. Berlin 1991, S. 3-6; Ripp, Winfried: Der Berliner Asyl-Verein für Obdachlose. Private Obdachlosenfürsorge eines liberalen Bürgervereins im Widerstreit mit der konservativen Obdachlosenpolitik Friedrich von Bodelschwinghs. in: Schriftenreihe Wedding, Bd. 2. Armut und Obdachlosigkeit im Wedding. Berlin 1991, S. 7-26; Dehio Berlin 2000, S. 477; BusB VII B, S. 31-33.

(2) Wohnhaus für die Bediensteten das Obdachlosenasyls. Am Giebel ist zu lesen: "1868 / 1896" sowie "BERLINER / ASYL / VEREIN".

(3) 1914 wurde im Frauenasyl eine Fabrik für Armeekonserven eingerichtet. 1924 siedelte sich die SUM-Vergasergesellschaft an, die schrittweise die gesamte Baugruppe übernahm. Das Männerasyl wurde nach dem Ersten Weltkrieg gewerblich genutzt, weil der Berliner Asylverein nicht mehr genügend Geld aufbringen konnte. Nur von 1926 bis 1931 war es für Obdachlose geöffnet.

Literatur:

  • Verloren - gefährdet - geschützt, Berlin 1988 / Seite 178
  • BusB II/III 1896 / Seite 481
  • Deutsche Bauzeitung 31 (1897) / Seite 254f.
  • Die Einweihung des neuen Männer-Asyls in Berlin N Wiesenstraße 55, 2. Auflage, Berlin 1903 / Seite ..
  • Ansichten, Bauplan und Baubeschreibung des vom Berliner Asyl-Verein für Obdachlose erbauten Männer-Asyls, o.O.,o.J. / Seite ..
  • Grulich, Paul, Dämon Berlin. Aufzeichnungen eines Obdachlosen, Berlin 1907 (Sonderdr. aus Das DeutscheBlatt) / Seite 22f., 27f.
  • Lange, Annemarie, Das Wilhelminische Berlin, Berlin 1967 / Seite 103f.
  • Wille, Klaus Dieter, 41 Spaziergänge in Reinickendorf und Wedding, Berlin 1979 / Seite 174
  • Peters, Dietlinde/ Der "Berliner Asylverein für Obdachlose" ("Wiesenburg") =Geschichtslandschaft, Wedding, 1990 / Seite 117-130
  • Topographie Mitte/Wedding, 2004 / Seite 188

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Landesdenkmalamt Berlin
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