Denkmaldatenbank

Kraftwerk Charlottenburg

Obj.-Dok.-Nr. 09020662
Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf
Ortsteil Charlottenburg
Adressen Am Spreebord 5

Quedlinburger Straße 15
Denkmalart Gesamtanlage
Sachbegriff Kraftwerk
Datierung 1899-1900, 1925, 1928, 1929, 1955-1966
Entwurf Klingenberg, Georg & Schönburg & Ruths & Rathge, Willy (Architekt)
Entwurf Siemens-Bauunion
Bauherr Stadt Charlottenburg & Bewag

Auf einer Fläche von fast 70.000 Quadratmetern am Nordufer der Spree veranschaulicht das Kraftwerk Charlottenburg, Am Spreebord 5, Quedlinburger Straße 15, mit der eindrucksvollen Reihe seiner Bauten aus unterschiedlichen Bauphasen zwischen 1900 und 1994 die mehr als einhundertjährige Geschichte der Berliner Stromversorgung. (1) Die Entwicklung der Kraftwerkstechnik von den ersten Drehstromgeneratoren um 1900 über die Umstellung auf Dampfturbinen ab 1905, die Produktion von Fernwärme ab 1912 sowie die Hochdruckgeneratoren und Dampfspeicher in den 1920er Jahren bis zur Einführung von Gasturbinen und Umwelttechnik in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg spiegelt sich in den Gebäuden entlang des Spreeufers wider: Von Osten nach Westen sind dies das 1899-1900 errichtete Maschinenhaus mit Direktorenwohnhaus, das 1955-56 als hoher Backsteinblock erneuerte Kesselhaus und das Schalthaus von 1925-26, an die sich die Neubauten der 1970er bis 1990er Jahre für Gasturbinen- und Rauchgasreinigungsanlagen anschließen. Auf dem nördlichen Teil des Geländes haben sich mit Schalthaus und Dampfspeicheranlage zwei weitere Bauten der 1920er Jahre an der Quedlinburger Straße erhalten. Seit der Umstellung der Stromproduktion auf Erdgas im Jahr 2001 werden die historischen Gebäude teilweise nicht mehr benötigt. (2)

Nachdem in Berlin bereits in den 1880er Jahren die ersten Kraftwerke in Betrieb gegangen waren, beauftragte die Stadt Charlottenburg 1899 die Frankfurter Elektrizitäts-AG mit dem Bau eines kommunalen Kraftwerks für den rapide gestiegenen Strombedarf der Industrie, für die Beleuchtung von Straßen und Haushalten sowie für eine geplante elektrische Straßenbahn. Mit Kessel- und Maschinenhaus sowie einem Direktorenwohnhaus entstand es unter der Leitung des Kraftwerksingenieurs Georg Klingenberg auf dem Gelände der damals noch unbebauten Spreebordwiesen. Das Kraftwerk wurde 1900 in Betrieb genommen und von der Elektrizitäts-AG betrieben, bis es 1910 von der Stadt Charlottenburg übernommen wurde. Wegen der großen Nachfrage, insbesondere nach Lichtstrom, wurde die Anlage bereits ab 1902 unter anderen durch Hans Winterstein, Karl Bernhard und Wilhelm Dohme mehrfach erweitert und durch Um- und Erweiterungsbauten immer wieder an den technischen Fortschritt angepasst. (3) Ab 1912 produzierte das Kraftwerk auch Dampf zum Beheizen des Charlottenburger Rathauses und leitete damit die Entwicklung der Fernwärmeversorgung in Berlin ein. (4) Die erhaltenen Bauten des Charlottenburger Elektrizitätswerks sind indes nicht nur Zeugnisse für die Geschichte der Kraftwerkstechnik im 20. Jahrhundert, sondern auch für die architektonische Gestaltung einer neuen Baugattung.

Aus der ersten Bauphase 1899-1900 sind noch das Maschinenhaus mit dem zur Spree vorgelagerten Verwaltungstrakt und das östlich anschließende Direktionsgebäude vorhanden. Das Maschinenhaus wurde bis 1930 mehrfach nach Norden verlängert, die bauzeitliche Gestaltung der Schauseite zur Spree in Formen der märkischen Backsteingotik blieb jedoch weitgehend erhalten. Hier spannt sich zwischen zwei quadratische Türme eine fünfachsige Fassade mit vier Geschossen unterschiedlicher Höhe, die von einem segmentbogenförmigen Giebel abgeschlossen wird; seine Form wird bestimmt von der Dachkonstruktion der dahinterliegenden, stützenfrei mit Bogenbindern überwölbten Maschinenhalle, die im Inneren ebenfalls mit gotisierendem Dekor ausgeschmückt wurde. In der repräsentativen Fassadengestaltung, die vom Wechselspiel der hellen Putzflächen und mit dem roten Ziegelmauerwerk sowie vom reichen Baudekor geprägt ist, kommen sowohl Reichtum und Selbstbewusstsein der prosperierenden Großstadt Charlottenburg wie auch die wachsende Bedeutung der Stromerzeugung zum Ausdruck. Im Vergleich mit dem zeitgleich von Franz Heinrich Schwechten errichteten Kraftwerk Moabit ist die Architektur jedoch deutlich konservativer. (5) Nach Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg wurde der obere Bereich der Fassade vereinfacht wiederhergestellt, ein Giebel mit Rosettenfenster und die ursprünglich steilen Dächer auf den Ecktürmen entfielen. Das Direktionsgebäude war ab 1913 erweitert worden, indem ein nördlicher Seitenflügel für Büros, Lager und Technikräume angefügt und 1930 verlängert wurde. Das zweigeschossige Backsteingebäude ist in seiner Gestaltung mit Staffelgiebel und gotisierenden Gliederungselementen an der Südseite zur Spree an das Maschinenhaus angepasst.

Neben dem in den 1950er Jahren nach Plänen von Erich Ritz aus der BEWAG-Bauabteilung errichteten Kesselhaus fällt das 1925-26 nach Entwurf von Alfred Schönburg errichtete 30 kV-Schalthaus auf, das mit seiner expressiv gestalteten Fassade an der Wasserseite zu den eindrucksvollsten Vertretern dieser Gattung zählt. Dem schmalen Klinkergebäude, in dem auf drei Geschossen Schalteinrichtungen angeordnet waren, ist ein symmetrisch gegliederter Kopfbau mit hohem Sockelgeschoss und weit auskragenden flachen Betondächern vorgesetzt. Ein leicht vortretender Mittelrisalit, dessen drei Fensterachsen mit kräftigen Wandpfeilern gerahmt sind, wird von Seitentrakten flankiert, deren Gebäudeecken in vertikale Fensterbänder aufgelöst sind; diese bestehen aus querrechteckigen Sprossenfenstern ohne Brüstungen, aber mit kräftigen Sohlbänken aus Betonstein. Diese Betonung der Horizontale wird am Mittelrisalit in der Gliederung der Fensterachsen durch lange querrechteckige Sprossenfenster und Brüstungsfelder gleichen Formats mit einem die Sprossenteilung der Fenster aufnehmenden Ziegelgitter aufgegriffen. Die helle Farbe der Betonsteinrahmen an Fenstern, Brüstungen und Dachgesimsen steht zu den rot verklinkerten Wandflächen in einem auffälligen Kontrast, ebenso belebt das Wechselspiel der horizontalen und vertikalen Gliederungselemente das streng funktional gestaltete Gebäude. Im Zusammenhang mit dem Ausbau des Kraftwerks Charlottenburg Ende der 1920er Jahre entstand an der Quedlinburger Straße 1926-27 nach Plänen der Siemens-Bauunion ein 110 kV-Schalthaus, das als Abspannwerk der Stromverteilung dient und bis heute in Betrieb ist. (6) Es war bis 2013 über eine offen geführte, im Innenstadtbereich eher ungewöhnliche Stromtrasse mit dem Kraftwerk Moabit verbunden; einer der Maste ist neben dem Schalthaus noch erhalten. Der rotviolette Klinkerbau auf T-förmigem Grundriss, der mit hochrechteckigen Sprossenfenstern und schmalen, nur durch abwechselnd gedrehte Ziegel strukturierten Lisenen gegliedert ist, gibt sich als Vertreter einer am Ende der 1920er Jahre typischen, gemäßigten expressionistischen Architektursprache zu erkennen. Etwa zeitgleich wurde am Kesselhaus ein neuer Schornstein errichtet, der mit einer Höhe von 125 Metern damals zu den höchsten Europas zählte. Bis zu seinem Abriss 2006 prägte er die Silhouette des Kraftwerks.

Als ein bedeutendes Zeugnis der Technikgeschichte gilt die 1929 nördlich der Maschinenhalle an der Quedlinburger Straße von Wilhelm Dohme aufgestellte Ruths-Dampfspeicheranlage, die damals zu den weltweit größten Anlagen dieser Art gehörte. (7) Die Apparatur diente bis 1995 dem Ausgleich von Belastungsschwankungen; sie ist heute der älteste erhaltene maschinentechnische Teil des Kraftwerks. Anfang der 1920er Jahre hatte der schwedische Ingenieur Johannes Karl Ruths die Behälter entwickelt, in denen Wasserdampf gespeichert und bei Bedarfsspitzen wieder abgegeben werden konnte. Die 16 Stahlzylinder mit einer Höhe von 21 Metern und einem Durchmesser von jeweils 4,5 Metern stehen aufrecht in einem Quadrat zu vier mal vier offen in einem Stahlgerüst mit zwei Bockkränen. Unmittelbar neben dem Maschinenhaus der 1900 in Betrieb genommenen Kraftwerksanlage stand das dazu gehörende und mehrfach erweiterte Kesselhaus. 1952 wurde es abgetragen und 1955-56 durch ein neues Gebäude nach Plänen von Willy Rathge, Direktor der Bauabteilung der BEWAG, ersetzt. Der 40 Meter hohe kubische Stahlskelettbau ist mit glatten roten Klinkerwänden verkleidet, die vertikalen Fensterachsen sind durch schmale Lisenen zusammengefasst. Zwar wurde das Gebäude in Material und Farbe an die Gestaltung des ursprünglichen Kesselhauses angepasst, der hohe blockhafte Baukörper hat jedoch die Schauseite des Kraftwerks zur Spree maßgeblich verändert. (8)


(1) Gundlach, Wilhelm: Geschichte der Stadt Charlottenburg, Bd. 1, Berlin 1905, S. 560-562; Zeitschrift des Österreichischen Ingenieur- und Architekten-Vereins 1912, S. 341 f.; WMH 8 (1924), S. 279; DBZ 61 (1927), S. 30, 33; BW 20 (1929), S. 535 f.; Schweizer Baumeister-Zeitung 93 (1929), S. 290; Matschoß, Conrad: 50 Jahre Berliner Elektrizitätswerke, 1884-1934, Berlin 1934; Baugilde 20 (1938), S. 207; Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin, Stadt und Bezirk Charlottenburg, bearb. von Irmgard Wirth, Text- u. Tafelband, Berlin 1961, S. 613 f.; Slotta, Rainer: Technische Denkmäler in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, Bochum 1977, S. 228-33; Geschichtslandschaft Berlin, Orte und Ereignisse, Bd. 1, hrsg. v. Helmut Engel, Stefi Jersch-Wenzel, Wilhelm Treue, Charlottenburg, Teil 1, Die historische Stadt, Berlin 1986, S. 270-283; Wörner, Martin/Mollenschott, Doris/Hüter, Karl-Heinz: Architekturführer Berlin, 5. Aufl. Berlin 1997, S. 156; Engel, Helmut: Das Kraftwerk Charlottenburg. In: Berlin leuchtet, Höhepunkte Berliner Kraftwerksarchitektur, hrsg. von der Stiftung Denkmalschutz Berlin, Berlin 2003, S. 24-37; Kraftwerke in Berlin, Das Erbe der Elektropolis, Berlin 2003, S. 46 ff.; Bezirkslexikon Charlottenburg 2005, S. 427 f.; Architekten- und Ingenieur-Verein zu Berlin (Hrsg.): Berlin und seine Bauten, Teil X, Bd. A (2), Anlagen und Bauten für Versorgung - Stadttechnik, Petersberg 2006, S. 197 f., 212 ff., 236 ff., 377 f. (dort weitere Literatur); Elektropolis Berlin, Architektur- und Denkmalführer, hrsg. v. Thorsten Dame, Berlin 2014, S. 221-223.

(2) 2002-03 Ideenwettbewerb zur Entwicklung von Konversionskonzepten. Vgl. Konversion, Ideenwettbewerb zur Nachnutzung des Kraftwerkes Charlottenburg, hrsg. von der Bewag AG und der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, Berlin 2003.

(3) BusB X A (2), S. 377.

(4) In den 1920er Jahren waren bereits weitere öffentliche (Stadtbad, Deutsche Oper, Schillertheater) und viele private Gebäude an das Fernwärmenetz angeschlossen, das bis heute von dem nun mit Gas betriebenen Kraftwerk Charlottenburg beliefert wird. Vgl. Geschichtslandschaft Charlottenburg 1986, Teil 1, S. 278; Kraftwerke in Berlin, Das Erbe der Elektropolis, Berlin 2003, S. 46.

(5) Der Elektrotechniker und Ingenieur Georg Klingenberg (1870-1925), nach dessen Plänen mehr als 70 Kraftwerke weltweit gebaut wurden, war für die Projektierung der gesamten Anlage zuständig, ob er auch der Verfasser des Fassadenentwurfs ist, ist nicht bekannt. Während Schwechten in Moabit eine "gelungene Symbiose von Ingenieurkonstruktion und Baukunst" schuf und - um auf die Zweckbestimmung des Bauwerks hinzuweisen - "auf die übliche Bauzier" weitgehend verzichtete, war in Charlottenburg die Hallenkonstruktion ursprünglich hinter einer reich mit gotisierendem Schmuck, mit Ecktürmchen und Giebelbekrönung versehenen Fassade verdeckt. Vgl. Kraftwerke in Berlin, Das Erbe der Elektropolis, Berlin 2003, S. 39 (Zitate); BusB X A (2), S. 198, 377.

(6) BusB X A (2), S. 213; Elektropolis 2014, S. 222.

(7) Geschichtslandschaft Charlottenburg 1986, Teil 1, S. 278; BusB X A (2), S. 213 f.; Elektropolis 2014, S. 222.

(8) Die direkt am Spreeufer, östlich des Direktorenhauses, stehende Kalkmehlstation und Ammoniakanlage wurden 1987-89 errichtet. Vgl. BusB X A (2), S. 238, 377.

Literatur:

  • Inventar Charlottenburg, 1961 / Seite 613-14, dort weitere Lit.
  • Gundlach, 1905 / Seite 560
  • Wasmuths Monatshefte für Baukunst 8 (1924) 9/10 / Seite 279
  • Die Baugilde 20 (1938) / Seite 270-283
  • Hoffmann, Andreas/ Kraftwerk Charlottenburg =Geschichtslandschaft, Charlottenburg 1, 1986

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Juliane Stamm
Landesdenkmalamt Berlin
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