Denkmaldatenbank
Ev. Gemeindezentrum Plötzensee
09020004 | |
Bezirk | Charlottenburg-Wilmersdorf |
Ortsteil | Charlottenburg-Nord |
Adressen | Heckerdamm 226 |
Denkmalart | Baudenkmal |
Sachbegriff | Gemeindezentrum & Kirche ev. & Wohnhaus & Kindergarten |
Datierung | 1968-1970 |
Entwurf | Neumann, Gerd & Grötzebach, Dietmar & Plessow, Günter (Architekt) |
Bauherr | Evangelische Kirche Berlin (Kirchenverwaltung) |
Das Evangelische Gemeindezentrum Plötzensee, Heckerdamm 226/228, wurde 1968-70nach einem Entwurf der Architektengemeinschaft Gerd Neumann, Dietmar Grötzebach und Günter Plessow errichtet. (1) Hier verbindet sich das Gedenken an die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung mit einem modernen Gemeindezentrum, das Ort der Spiritualität, aber auch der Sozialarbeit für die Bewohner der benachbarten 1961-64 erbauten Paul-Hertz-Siedlung sein soll. In der Multifunktionalität des Zentrums für vielseitige kirchliche Nutzungen unter einem Dach "manifestierte sich der Gedanke, dass Gottes Wort nicht auf den Kirchenraum zu beschränken ist." (2) Diese theologische Position geht auf das Kirchenverständnis Dietrich Bonhoeffers einer "Kirche für andere" (3) zurück, das die Architekten zusammen mit der Gemeinde umzusetzen suchten. Es entstand ein dichtes Bauensemble, das auf jegliche architektonisch-sakrale Repräsentation verzichtet, sich in die Umgebung einfügt, seine soziale Aufgabe erfüllt und dem Gedenken an die Opfer des NS-Regines gerecht wird.
Um einen Binnenhof ist eine Vierflügelanlage über unregelmäßigem Grundriss gruppiert. Im Nordosten liegt zurückgesetzt vom Heckerdamm der zweigeschossige Hauptbau, der die Gedenkkirche mit Gemeindesaal im Obergeschoss, Gruppen- und Jugendräume im Erdgeschoss aufnimmt. Ein großzügiges Treppenhaus verbindet ihn mit einem straßenseitigen zweigeschossigen Trakt, der ehemals Hausmeisterwohnung, Verwaltungs- und Jugendräume sowie zwei Schwesternappartements beherbergte. Heute sind hier Mietwohnungen und Gewerberäume untergebracht. Daran schließt sich als Westflügel des Komplexes, durch einen schmalen Durchgang getrennt, das ebenfalls zweigeschossige Pfarrhaus an. Der in die Tiefe des Grundstücks orientierte Bau nimmt zwei Pfarrwohnungen auf. Davon eingeschossig abgesetzt begrenzt im Norden die Kindertagesstätte der Kirchengemeinde den Hof. Der differenziert gegliederte Bau zeichnet sich durch Gruppenräume und überdachten Terrassen zum großen Garten aus. Allen Gebäuden gemeinsam ist eine für die Nachkriegsmoderne der 1960er Jahre charakteristische kubisch-kompakte Bauweise. Die farbigen Putzfassaden sind bis auf die Kirche durch flache Nischen, Loggien und verschiedene Fensterformen sehr abwechslungsreich gegliedert.
Lediglich ein Betonkreuz am Zugang zur Kirche weist auf ihre sakrale Nutzung hin. (4) Sie zeigt sich nach Außen als große, fensterlose Wandfläche in Sichtbeton mit einem zurückgesetzten blau gestrichenen Betonkubus darüber. Im Inneren verwirklichten die Architekten in Zusammenarbeit mit dem damaligen Pfarrer Bringfried Naumann einen eigenständigen quadratischen Kirchenraum, der konsequent den Zentralraumgedanken umsetzt. In den Raum ist ein auf acht Rundstützen aufgeständerter Betonkasten eingestellt, dessen hervortretende Stege in der Decke ein Kreuz bilden. Sein Oberlicht lässt Licht in den sonst fensterlosen Raum eindringen. Im Zentrum ist der Altar eingerichtet, der allseitig tribünenartig von Bankblöcken umfasst ist. Orgel, Lesepult, Taufe und Kanzel stehen in den vier Ecken des Kirchenraumes. Zeittypische Materialien wie Holz und Sichtbeton dominieren die Gestaltung. Dazu passende Kugelleuchten erhellen in Reihe gehängt den zentralen Altarbereich. Hier gibt es keinen besonderen Raum für den Pfarrer, er sitzt gleichberechtigt mit der Gemeinde am Abendmahlstisch. Diese räumliche Lösung ist die konsequente Umsetzung des Hauptgedanken aller Liturgiereformen sowohl in der evangelischen wie auch in katholischen Kirche nach dem zweiten Weltkrieg: Die Forderung nach einer gleichberechtigten Beteiligung der Gemeinde am Gottesdienst. Der Gemeinderaum wird umschlossen vom Wiener Künstler Alfred Hrdlicka 1969-72 geschaffenen großen Zyklus "Plötzenseer Totentanz". Das bedeutende Kunstwerk definiert den Ort des Gottesdienstes auch als einem Ort des Gedenkens und Erinnern, gibt ihm die Bedeutung eines Mahnmals. Der Zyklus ist die erste Neuschöpfung eines Totentanzes im 20. Jahrhunderts. Im Gegensatz zu mittelalterlichen Darstellungen des Totentanzes, die von der Macht des Todes handeln, ist es hier der handelnde Mensch, der den Tod verursacht. Auf 16 großformatigen Holztafeln werden in aschedunklen Zeichnungen Szenen der Hinrichtungen in Plötzensee mit biblischen und gegenwartsbezogenen Szenen verbunden. (5) So widerspiegeln Kunst und Architektur des Kirchenraums das theologische Konzept des Gemeindezentrums: Der Opfer der Vergangenheit gedenken und den Opfern der Gegenwart helfen, die Sozialarbeit als "Gottesdienst im Alltag" auffassen. Heute ist das evangelische Gemeindezentrum mit der katholischen Gedenkkirche Maria Regina Martyrum zugleich Ort des Ökumenischen Gedenkzentrums Plötzensee Christen und Widerstand.
(1) Baumeister 69 (1972), S. 1268 f.; Kunst und Kirche 40 (1977), S. 93; Kühne, Günther/Stephani, Elisabeth: Evangelische Kirchen in Berlin, Berlin 1978, S. 52 f.; Rave, Rolf/Knöfel, Hans-Joachim: Bauen der 70er Jahre in Berlin, Berlin 1981, Nr. 391; Mößinger, Ingrid/Naumann, Bringfried: Evangelisches Gemeindezentrum Plötzensee, München/Zürich 1982; Architekten- und Ingenieur-Verein zu Berlin (Hrsg.): Berlin und seine Bauten, Teil VI, Sakralbauten, Berlin 1997, S. 238, 248 f, 255 f., 427; Architekten- und Ingenieur-Verein zu Berlin (Hrsg.): Berlin und seine Bauten, Teil VII, Bd. B, Sozialbauten, Berlin 2003, S. 89 f., 303; Kirchen Berlin Potsdam, Führer zu den Kirchen in Berlin und Potsdam, hrsg. v. Christine Goetz und Matthias Hoffmann-Tauschwitz, Berlin 2003, S. 28-31; Wittmann-Englert, Kerstin: Zelt, Schiff und Wohnung, Kirchenbauten der Nachkriegsmoderne, Lindenberg im Allgäu 2006, S. 153 f.; Baukunst der Nachkriegsmoderne, Architekturführer Berlin 1949-1979, hrsg. v. Adrian von Buttlar, Kerstin Wittmann-Englert, Gabi Dolff-Bonekämper, Berlin 2013, S. 31 f.
(2) Wittmann-Englert, Kerstin: Peter Lehrecke 1924-2010. In: Kunst und Kirche 74 (2011), S. 73.
(3) Dietrich Bonhoeffer: "Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist. [.] Sie muss an den weltlichen Aufgaben des menschlichen Gemeinschaftslebens teilnehmen." Zitat in: Widerstand und Ergebung, Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, Dietrich Bonhoeffer Werke, Bd. 8, Gütersloh 1998, S. 560.
(4) Ein ursprünglich auf dem Vorplatz geplanter Campanile als Glockenturm kam nicht zur Ausführung.
(5) Die Tafeln sind an drei Seiten hinter den Bänken in vier Gruppen unterteilt: an der Westwand Kain und Abel, Tod im Boxring, Tod im Showbusiness, der aus zwei Szenen bestehende Tod des Demonstranten und Tod einer Minderheit, an der Nordwand Emaus, als Dreitafelbild Abendmahl, Ostern und Golgatha in Plötzensee, an der Ostwand Die Enthauptung Johannes des Täufers, Massenhinrichtung in Plötzensee und Die Guillotine. In allen Bildern sind die Rundbogenfenster des Hinrichtungsraumes des Strafgefängnisses Plötzensee und die Deckenhaken zu sehen, an denen die Opfer aufgehängt wurden.
Literatur:
- Evangelisches Gemeindezentrum Charlottenburg NO.in
Baumeister 69 (1972), S. 1268-1269; Günther Kühne und Elisabeth Stephani/ Evangelische Kirchen in Berlin. Berlin 1978, S. 52-53; Mößinger, Ingrid; Naumann, bringfried: Evangelisches Gemeindezentrum / Seite . - BusB VI 1997 / Seite 238, 248, 255, 256, 427
- Dehio, Berlin, 2000 / Seite 152
- Kirchen Berlin Potsdam. Führer zu den Kirchen in Berlin und Potsdam. Hrsg. v. Christine Goetz und Matthias Hoffmann-Tauschwitz. Berlin 2003 / Seite 28-31
- Börsch-Supan, Eva und Helmut; Kühne, Günther; Reelfs, Hella/ Kunstführer Berlin. Stuttgart 1991 / Seite 306
- Wittmann-Englert, Kerstin/ Zelt, Schiff und Wohnung, Kirchenbauten der Nachkriegsmoderne, Lindenberg im Allgäu 2006 & Maria Martyrum, Berlin Charlottenburg & Schnell Kunstführer Nr. 1703, Regensburg 1988
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