Denkmaldatenbank

Demonstrativbauvorhaben Reinickendorf

Obj.-Dok.-Nr. 09012051,T
Bezirk Reinickendorf
Ortsteil Reinickendorf
Adressen Holländerstraße
37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51

Julierstraße
1, 2, 3, 3A, 3B, 4, 5, 5A, 5B, 6, 8, 8A, 8B, 8C

Septimerstraße
1, 1A, 1B, 1C, 1D, 1E, 1F, 1G, 1H, 2, 2A, 2B, 2C, 2D, 2E, 2F, 3, 3A, 3B, 3C, 3D, 3E, 3F, 3H, 4, 4A, 4B, 5, 5A, 5B, 5C, 5D, 5E, 5F, 5G, 5H, 6, 6A, 6B, 7, 7A, 7B, 7C, 8, 8A, 8B, 9, 9A, 10, 10A, 10B, 11, 11A, 11B, 12, 13, 13A, 14, 15, 15A, 16, 17, 17A, 18, 19, 19A, 19B, 20, 21, 21A, 21B, 22, 23, 23A, 23B, 24, 25, 25A, 25B, 25C, 25D, 25E, 25F, 26, 27, 27A, 28, 29, 29A, 30, 31, 31A, 31B, 32, 33, 33A, 33B, 34, 35, 35A, 35B, 36, 37, 37A, 37B, 37C, 37D, 38, 39, 39A, 40, 41, 41A, 42, 44, 44A, 44B, 46, 46A, 46B, 46C

Winterthurstraße 2, 2A, 4, 4A, 5
Denkmalart Gesamtanlage
Sachbegriff Siedlung
Datierung 1959-1964
Entwurf Lichtfuß, Georg & Schild, Alfred (Architekt)
Bauherr Gagfah

Wohnungsbau im Demonstrativprogramm

Mit zu den bedeutendsten Aufbaumaßnahmen Berlins gehört die im zweiten Demonstrativbauvorhaben gemeinsam vom Bund und vom Senat von Berlin finanziell geförderte Wohnsiedlung in Reinickendorf-Mitte, zwischen Gotthardstraße und Holländerstraße gelegen. Um den schwierigen, innerstädtischen Bodenverhältnissen zu entgehen, wurden seit Anfang der 50er Jahre zunehmend in den Randbezirken zusammenhängend geplante Siedlungen mit mehr als 1000 Wohneinheiten errichtet, die in Wohnungsgröße, Standard und gemeinschaftlichen Einrichtungen an den Großsiedlungsbau der Weimarer Republik anknüpfen. Die neuen Wohnsiedlungen sind von den Leitbildern der Berliner Stadtentwicklungsplanung und der Stadtgestaltung der Nachkriegszeit geprägt: "In diesen Wohngebieten wird das künftige, das neue Gesicht Berlins erkennbar: Großstadtwohnungen in lockerer Bauweise mit Sonne und Grün, mit Kinderspielplätzen, Einkaufszentren, Arztwohnungen und allen notwendigen Einrichtungen. Diese Bauvorhaben sind nicht etwa Ausweichprojekte, sondern ein wichtiger Bestandteil des Programms, die Wohndichte der Innenstadt, in der an vielen Stellen 1200 Menschen auf einem Hektar leben, aufzulockern, wie es auch im Flächennutzungsplan und im Generalbebauungsplan erkennbar ist. Denn künftig sollen nicht mehr als 500 Menschen auf einem Hektar Stadtgebiet wohnen - Entkernung sagt der Fachmann dazu. In Analogie zu amerikanischen Wohnungsprojekten, die zur Sanierung der dichten Innenstädte am Stadtrand parkähnliche Siedlungen in Strukturmischung aus flachen und hohen Haustypen vorsahen, entstand die erste Siedlung dieser Art - noch zum Teil im Notprogramm - bereits 1951 bis 1953 in Lankwitz-Ost, durch den Senator für Bau- und Wohnungswesen und die gemeinnützigen Gesellschaften DeGeWo und Gagfah erbaut. Weitere Siedlungen mit einem Wohnungsumfang zwischen 1150 und 1800 Einheiten kommen bis 1957 in Spandau-West, Tegel, Wedding, Britz-Süd und Charlottenburg-Nord zur Ausführung."

Als Gegenstück zu der in den zwanziger Jahren erbauten "Weißen Stadt" sollte hier eine geschlossene Siedlungseinheit entstehen, die auch den Bewohnern einen in sich geschlossenen Lebensraum vermittelt. Während die Architekten der damaligen Großsiedlungen einen städtebaulich und architektonisch wohl differenzierten, aber den Gedanken des Kollektivs und der Gemeinschaft repräsentierenden Siedlungsbau anstrebten, manifestierte der Städtebau der 50er Jahre das neue Leitbild der Individualität. Gefragt war nicht die geschlossene, städtebauliche Einheit, sondern die unbestimmte, lockere Zuordnung individueller Wohnungstypen. Das seit 1956 durchgeführte Programm sollte den Bau von Siedlungen fördern, die "eine städtebauliche Einheit bilden, um gute, interessante und richtungsweisende Beispiele des Städtebaues und der Erschließung zu zeigen." Gefördert wurden Wohnprojekte mit einer wohngerechten und gemeinschaftsfördernden Bebauung, die in überschaubare Einheiten, analog einer entsprechenden soziologischen Bevölkerungsmischung, gegliedert ist. Dies setzte eine differenzierte Bauweise mit unterschiedlichen Haustypen und Wohnungsgrundrissen voraus, die jeder gesellschaftlichen Schicht - ganz im Sinne des Scharounschen Nachbarschaftsgedankens - ihre adäquate Wohnform zuweisen konnte. Dabei übertrug man das gesellschaftliche Gruppenmodell auf die zu planenden Städte mit ihren Randsiedlungen. "Wie die Masse der Menschen durch Gruppierung und Gliederung organisiert und übersichtlich gemacht wird, so kann der Stadtraum, nur durch Gliederung in überschaubare Einheiten geordnet, d. h. "organisiert" werden."

Bei dem 1959 bis 1964 in vier Bauabschnitten ausgeführten Reinickendorfer Demonstrativbauvorhaben stand neben den städtebaulichen Zielsetzungen die Frage technischer Rationalisierungsmöglichkeiten bei Planung und Durchführung im Vordergrund - z. B. die den Bauablauf bestimmenden Zeittaktpläne. Die eingesparten Baukosten konnten in Reinickendorf zur Verbesserung des Wohnungsstandards verwendet werden. Als die Gagfah 1957 mit der Bebauungsplanung für das 19 Hektar große Baugelände begann, das von Friedhofsanlagen eingerahmt zwischen Holländer- und Gotthardstraße lag, musste das spitzwinklige Grundstück erst von Kleingärten und Lauben, die zum Teil seit der Nachkriegszeit als Dauerwohnungen genutzt wurden, geräumt werden - eine Maßnahme, die vom Bezirk im Sinne der Stadterneuerung als Sanierung der unhygienischen Lebensverhältnisse angesehen wurde."

Aus der Gesamtstruktur des Gebietes und unter raumordnerischen Gesichtspunkten entwickelte das Planungsamt Reinickendorf die Grundidee des Bebauungsplanes, einen Raum durch eine hohe Randzone mit der niedrigen, innen liegenden Einfamilienhaus-Bebauung zu bilden". Der nach den Grundsätzen für Demonstrativbauvorhaben vorgesehene "eigentumsfördernde Bau von Familienheimen" bewirkte eine wesentliche Einschränkung in der Bebauungsplanung. Um eine Belästigung der Bewohner der Einfamilienhäuser durch Einblick von der hohen Randbebauung in die Gärten zu verhindern, mussten die Zeilenbauten und Punkthäuser so gedreht werden, dass eine Einsicht möglichst vermieden wurde. Entsprechend treten immer die Giebelseiten der Zeilen und die Abseiten der Punkthäuser an die Einfamilienhausreihen heran. Ebenso schränkte der nahe Flughafen Tegel die Planungsfreiheit ein. Die Höhe der fünf Punkthäuser an der Holländerstraße musste aus Gründen der Flugsicherheit auf 59 m beschränkt werden. Die schon damals von der Fachkritik erkannte Beeinträchtigung der Wohnqualität der in der Einflugschneise liegenden Siedlung führte jedoch nicht zur Aufgabe des Projektes.

Von Grünflächen durchzogen, zeigt sich auch hier das für Reinickendorf typische Siedlungsbild. Die "Eingliederung in die Stadtlandschaft" mithilfe eines Grünzuges und die Absicht des Gartenarchitekten, das Siedlungsgrün mit der "Umgebung in landschaftlichen Zusammenhang zu bringen", zeichnet besonders auch dieses Wohnungsprojekt aus. Ein 60 m breiter, städtischer Grünzug mit einem in Form eines Parkteiches angelegten Rückhaltebecken für die Regenwasserentwässerung der Siedlung, der den Verlauf des alten Feldgrabens, des sogenannten "Schwarzen Grabens", nachzeichnet und gärtnerisch integriert, schirmt an der Gotthardstraße die Wohnzeilen von Alfred Schild nach Norden ab. Nach Osten bildet die aufgehobene Teichstraße einen grünen Übergang zum angrenzenden Kirchhof. Bereits in die Bebauungsplanung integriert wurden vom Stadtplanungsamt und von der Gagfah die Versorgungsstandorte für die rund 3000 Bewohner. Sie zentrieren sich am Nordausgang der Siedlung und versorgen nicht nur die Gagfah-Siedlung, sondern auch die gegenüberliegenden Wohnbauten der GSW. Innerhalb der Siedlung wurden für die Geschossbauten sieben zentrale Waschanlagen eingerichtet. Sehr modern waren die von der Gagfah versuchsweise in den Punkthochhäusern eingebauten Müllabwurfanlagen mit einer Vorrichtung zur Müllverbrennung. Nicht alle Wohnungen konnten mit einer zentralen Heizanlage versehen werden. Um sozial schwacher gestellte Mieter mit Wohnraum zu versorgen, stattete man im "verbilligten Mietwohnungsbau" des ersten Bauabschnittes - die sechs Wohnzeilen am Ostrand der Siedlung - Wohnungen mit Kachelöfen aus. Die folgenden Bauabschnitte erhielten dagegen Zentralheizungen mit sechs Blockheizwerken; die Eigenheime wurden zentralbeheizt oder mit einer Sammelheizungsanlage versorgt.

Für die architektonische Bearbeitung der 26 Wohnhäuser mit insgesamt 1033 Wohnungen - 532 Mietwohnungen, 407 Eigentumswohnungen und 94 Eigenheimen - in den vier unterschiedlichen Haustypen Zeile, Punkthaus, Reihenhaus und als Sonderfall das dreigeschossige Laubenganghaus an der Winterthurstraße - zog der Bauträger die Berliner Architekten Georg Lichtfuss und Alfred Schild heran, die in Verbindung mit der Planungsabteilung der Gagfah Grundrissgestaltung und Ausstattung nach den Richtlinien für Demonstrativbauvorhaben vornahmen. Für die Planung der Geschosswohnungen war der Wohnbedarf bestimmend, der den Bau zahlreicher Kleinwohnungen nötig machte. Alle Wohnungen der Zwei- bis Siebenspänner (siebengeschossige Appartementhäuser) haben Küchen oder Kochabteile mit eingebauten Schränken, Bäder, Abstellräume sowie Balkone, Loggien oder Wintergärten. Zur Kosteneinsparung beschränkte man sich bei den Geschosswohnungen auf vier Grundtypen, wobei die Installationsseiten der Küchen und Bäder stets Wand an Wand zugeordnet wurden.

Aus den gleichen Rationalisierungsgründen entwickelten die Architekten einheitliche Elemente und Raumteile für Küche, Bad, Treppenhaus, Haustiefe und Fenster. Bei den Einfamilienhäusern beschränkte man sich auf zwei Haustypen, die sich durch die Orientierung der Wohnräume unterscheiden. (...) Ähnliche städtebauliche und soziologische Zielsetzungen wie sie bei der Interbau 1957, dem ebenfalls im Demonstrativbauvorhaben wiederaufgebauten innerstädtischen Hansaviertel, erprobt wurden, kamen in der Mischung der Haustypen und der lockeren Bebauung auch hier in Reinickendorf zum Tragen.

Literatur:

  • Topographie Reinickendorf/Reinickendorf, 1988 / Seite 82ff, 184ff
  • Demonstrativbauvorhaben des Bundesministers für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung in Berlin-Reinickendorf, hrsg. v. Institut für Bauforschung e.V. Hannover, Hannover 1965 / Seite Teil 1, S. 1f.
  • Versuchs- und Demonstrativmaßnahmen. Schriftenreihe des Bundesministers für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung, Bonn 1976 / Seite 45ff.
  • Becker, Horst; Ritter, Joachim: Wohnungsbau und Stadtentwicklung. Demonstrativbauvorhaben des Bundesministers für Wohnungswesen und Städtebau, München 1967 / Seite 48, A32
  • BusB IV A 1970 / Seite 442f.
  • Schäfer/Schmaljohann: Wohnen in Reinickendorf, 1967 / Seite 16ff.
  • Bodenschatz, Harald: Platz für das Neue Berlin. Die Geschichte der Stadterneuerung seit 1871, Berlin 1987 / Seite 155
  • Bauwelt 51 (1960) 21 / Seite 594
  • Bauwelt 51 (1960) 24 / Seite 678

Teilobjekt Betonlitfaßsäulen

Teil-Nr. 09012051,T,001
Sachbegriff Litfaßsäule
Adressen Septimerstraße

Kontakt

Juliane Stamm
Landesdenkmalamt Berlin
Redaktion Denkmalinformationssystem

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